Berlin. Ein Top-Sanierungsexperte erklärt, warum es für einige Unternehmen jetzt finanziell schwierig wird. Lesen Sie, was die Gründe sind.

Air Berlin, Condor, Unister – der Rechtsanwalt Lucas Flöther gehört zu den erfahrensten Insolvenzverwaltern und Restrukturierungsexperten in Deutschland. Im Gespräch mit unserer Redaktion spricht er über die wirtschaftliche Lage und erklärt, warum Staatshilfen nicht immer die beste Option sind.

Herr Flöther, mit Signa befindet sich derzeit ein großer Immobilienkonzern in Schwierigkeiten. Was muss dort jetzt geschehen, um das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen?

Lucas Flöther: Im ersten Schritt ist es eine gute Entwicklung, dass man sich bei Signa nun einen erfahrenen Sanierungsexperten wie Arndt Geiwitz an Bord geholt hat. Das ist ein gutes Signal an die Belegschaft, aber vor allem auch an Gläubiger, Finanzierer und Vertragspartner des Unternehmens. Ein externer Sanierer besitzt in einer solchen Situation oftmals mehr Vertrauen als der bisherige Geschäftsführer. Frühzeitig einen Sanierungskurs einzuschlagen und volle Transparenz zu schaffen, ist ohnehin immer besser, als einfach weiterzuwursteln.

Die Signa-Krise fällt in eine Zeit, in der auch andere Branchen und Unternehmen von Schwierigkeiten berichten. Rechnen Sie in nächster Zeit wieder mit mehr Insolvenzen?

Flöther: Wir bemerken bereits in den letzten Wochen eine drastische Zunahme von Unternehmensinsolvenzen. Während es Firmenpleiten während der Corona-Zeit nur in homöopathischen Dosen gab, nähern wir uns langsam wieder den Vor-Pandemie-Zahlen an. Ich glaube auch, dass die Entwicklung zunächst einmal weiter Fahrt aufnehmen wird. Denn der Arbeitskräftemangel, die höheren Energiekosten, Investitionsrückstau und die Kriege und Krisen der Welt wirken branchenübergreifend. Da wird für einige Unternehmen die Luft dünn und man ist schnell wieder dabei, nach Staatshilfen zu rufen.

Halten Sie es für den richtigen Weg, wenn der Staat finanziell kriselnde Unternehmen stützt?

Flöther: Bei pauschalen Staatshilfen bin ich sehr vorsichtig. Ist ein Unternehmen wirtschaftlich in Schieflage, sollte man sich zunächst mal anschauen, warum das so ist, und ob man da nicht vielleicht lieber mit anderen Mitteln hilft, anstatt einfach nur Geld reinzukippen. Wir haben ja heute viele effektive Sanierungsinstrumente, die zur Verfügung stehen. In der aktuellen Lage sollten wir deshalb eher auf einen „Sanierungswumms“ setzen und nicht nur auf Pleitenvermeidung um jeden Preis. Das können wir uns nicht leisten und das ist auch im Sinne der Steuerzahler nicht zu verantworten.

Der Immobilienkonzern Signa hat Probleme. Das Unternehmen muss sich sanieren.
Der Immobilienkonzern Signa hat Probleme. Das Unternehmen muss sich sanieren. © AFP | JOE KLAMAR

Was kann ein Sanierungsverfahren bringen?

Flöther: Dass der Staat als allerletzter Notanker zur Verfügung steht, ist richtig. Aber dass das deutsche Insolvenzrecht nicht nur auf Zerschlagung und Liquidation ausgelegt ist, ist mittlerweile auch bei Geschäftsführern kleiner Unternehmen angekommen. Die Instrumentenpalette ist so breit. Damit gibt es vielfach die Möglichkeit, Unternehmen auch langfristig wieder auf gesunde Füße zu stellen. Und wenn nicht, kann man immer noch über Staatshilfen nachdenken – im Zweifel aber dann nur in Kombination mit einer echten Sanierung.

Dennoch sind Insolvenzen und Sanierungsverfahren für Unternehmen oft mit einer öffentlichen Brandmarkung verbunden.

Flöther: Absolut. Dabei waren wir eigentlich auf einem guten Weg, und zwar zu einer echten Sanierungskultur. Als Condor sich im Schutzschirmverfahren befand, kauften Kunden dennoch weiter Flugtickets und vertrauten darauf, dass diese Airline sie im nächsten Sommer gut und zuverlässig in den Urlaub fliegen würde. Dieser Fall hat gezeigt, dass Insolvenzen eben nicht automatisch gleichzusetzen sind mit dem Auflösen eines Unternehmens. Wenn sich aber Politiker hinstellen und sagen, wir müssen eine Pleite mit allen Mitteln vermeiden, wirft uns das in Sachen Entstigmatisierung von Insolvenzen um Lichtjahre zurück.

Aber die Furcht vor Insolvenzen aus Verbrauchersicht ist doch verständlich. Sind es nicht oftmals Kunden, die dann ihr Geld verlieren?

Flöther: Bei einem Sanierungsverfahren wird ja versucht, den Schaden für alle so gering wie möglich zu halten. Eine Insolvenz immer direkt mit dem „Worst-Case“ zu versehen, ist ein Fehler, der wahnsinnig viel Geld kostet.

Sie sind zuletzt auch als Experte für in Schwierigkeiten geratene Kliniken aufgefallen. Warum geht es den deutschen Krankenhäusern so schlecht?

Flöther: Angesichts gestiegener Energiekosten und der Inflation ist der Kostendruck für die Betreiber enorm. Hinzu kommt eine chronische Unterfinanzierung durch die Bundesländer und ein immenser Investitionsstau. Das macht die Lage für einige Kliniken dramatisch. Ich rechne in der deutschen Krankenhauslandschaft mit einigen Veränderungen. Es wird Zusammenlegungen geben müssen, aber auch Schließungen. Hinzu kommt ein erhebliches Digitalisierungsdefizit, das übrigens vielfach auch einhergeht mit schlechter Buchhaltung und schlechtem Controlling.

Das heißt, viele Kliniken wissen nicht einmal, wie schlecht es ihnen geht?

Flöther: Buchhaltung und Liquiditätsplanung stiefmütterlich zu behandeln, ist ein Vorwurf, den man nicht nur Krankenhäusern machen kann. Selbst in größeren Unternehmen gibt es da oftmals Defizite. Gerade kommunalen Kliniken fehlt aber häufig die Sensibilität. Da gibt es bei Krankenhausgeschäftsführern mitunter diese Mär, dass der kommunale Gesellschafter schon einspringen wird. Das aber können viele Kommunen angesichts knapper Kassen gar nicht. Hinzu kommt auch, dass Gesellschafter von Unternehmen mit beschränkter Haftung eben keine uneingeschränkte Finanzierungsverantwortung trifft. Und das gilt eben auch in kommunalen Unternehmen.

Wie schwer ist die Sanierung von Kliniken?

Flöther: Mit den Mitteln, die das deutsche Insolvenzrecht zur Verfügung stellt, gelingt das oftmals. Aber natürlich ist eine Rettung häufig mit Entbehrungen verbunden. Hat eine Klinik im ländlichen Raum zum Beispiel defizitäre Abteilungen, die seit Jahren aus politischen Gründen offenbleiben, gelingt es in einem Insolvenzverfahren leichter, diese zu schließen. Gelingt es trotzdem nicht, Kosten zu reduzieren oder den Umsatz zu erhöhen, um auf ein ausgeglichenes Ergebnis zu kommen, hilft oftmals nur noch ein Investor.

Wie begehrt sind deutsche Kliniken bei Kapitalgebern?

Flöther: Nach einigen Insolvenzen in dem Bereich gibt es da bei Investoren mittlerweile schon eine gewisse Zurückhaltung. Es ist nicht mehr so, dass einem strategische Investoren bei einer Klinikinsolvenz die Hütte einrennen. Das war vor ein paar Jahren noch anders, weil sich durch die an Krankenhäuser angeschlossene ambulante Versorgung durchaus ja noch gutes Geld verdienen lässt. Private Investoren hatten deswegen vor allem Interesse an kleinen Häusern, weil über sie der Einstieg in große Arztpraxen mit kassenärztlicher Zulassung möglich war. Aber auch gibt es jetzt eine gewisse Zurückhaltung.

In der Öffentlichkeit haben Sie sich vor allem als Insolvenzverwalter von Air Berlin einen Namen gemacht. Obwohl die Pleite im August 2017 offiziell wurde, ist das Verfahren noch immer nicht abgeschlossen. Welche Chancen haben die Gläubiger, darunter auch viele frühere Kunden, noch Geld wiederzusehen?

Flöther: Die Chancen für ehemalige Ticket-Kunden von Air Berlin, noch etwas von ihrem Geld wiederzusehen, sind sehr gering. Natürlich gibt es noch einige Rechtsstreitigkeiten, die wir ausfechten. Aber Geld daraus würde wohl eher den vom Gesetzgeber bevorrechtigten Gläubigern zugutekommen.

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Letzter Flug - Mitarbeiter und Passagiere nehmen Abschied von Air Berlin

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    Sie gehen in Berlin gegen den früheren Vorstandchef Thomas Winkelmann vor. Worum geht es in dem Verfahren?

    Flöther: Wenn man als Vorstandsvorsitzender seine Fortführungsprognose auf die Zusage des Gesellschafters, hier Etihad, stützt und die am Ende aber nichts wert ist, hätte man vielleicht früher Insolvenz anmelden müssen. Das ist übrigens eine erstaunliche Parallele zu Krankenhäusern und kommunalen Gesellschaftern, die häufig nur warme Worte statt verbindliche Zahlungszusagen liefern. Diese Frage im Fall Air Berlin zu klären, ist nun Aufgabe des Gerichts.

    Wie ist der Stand?

    Flöther: Wir haben noch nicht mal einen Termin für die mündliche Verhandlung.

    Warum dauert das so lange?

    Flöther: Das kann ich nicht sagen. Generell ist die Geschwindigkeit deutscher Landgerichte sehr unterschiedlich. Viele sind aber personell so schwach aufgestellt, dass sich Verfahren teils jahrelang hinziehen. Auch dort spürt man den Fachkräftemangel. Wir stehen ja nicht nur in Konkurrenz zu anderen Ländern, sondern auch im Wettbewerb zu privaten Schiedsgerichten. Es gibt mittlerweile riesige Streitigkeiten, die Firmen lieber privat erledigen lassen, als deutsche Gerichte damit zu bemühen. Aus meiner Sicht besteht deutschlandweit ein großer Nachholbedarf, unsere Justiz wieder wettbewerbsfähig zu machen.

    Zur Person

    Lucas Flöther (49) gilt als einer der erfahrensten deutschen Insolvenzverwalter und Sanierungsexperten. Zu seinen größeren Fällen gehörten unter anderem die Insolvenz der Fluggesellschaft Air Berlin und die Pleiten der Internetunternehmens Unister sowie des Fahrradherstellers Mifa. Zuletzt begleitete Flöther die Sanierungen der Fluglinie Condor und der Bahngruppe Abellio. Der gebürtige Leipziger war bis 2023 Vorsitzender des einflussreichen Gravenbrucher Kreises, einem Zusammenschluss der Insolvenzverwalter in Deutschland. Flöther ist mit einer Medizinerin verheiratet und hat zwei Kinder. Er wohnt in Halle an der Saale. Flöther ist Partner der bundesweit tätigen Rechtsanwaltskanzlei Flöther & Wissing.