Ismaning. Das geplante europäische Datengesetz wird nach Einschätzung der Allianz das Autofahren verändern. Der größte deutsche Versicherer hofft auf neue Geschäftsmöglichkeiten.
Autos, die selbstständig die nächste Parklücke ansteuern oder automatisch die Werkstatt alarmieren: Das geplante EU-Datengesetz könnte nach Einschätzung der Allianz-Versicherung das Autofahren in Europa verändern. Wenn Brüssel die Hoheit über die von heutigen Fahrzeugen produzierte Datenfülle den Autobesitzern überträgt, könnten Versicherer und andere Unternehmen mit diesen Daten neue beziehungsweise bessere Dienstleistungen anbieten. Und der Verkehr könnte sicherer werden, argumentierte Allianz-Vorstand Klaus-Peter Röhler am Dienstag beim alljährlichen Autotag des Konzerns in Ismaning bei München.
Beispiel Unfall: „Die Daten werden im Moment des Unfalls schon übermittelt. Während ich quasi aus dem Auto krabbele, sind der Abschleppwagen und gegebenenfalls die Rettungskräfte schon unterwegs, der Termin in der Werkstatt ist schon vereinbart“, sagte Frank Sommerfeld, Chef der Allianz Sachversicherung.
Seit 2018 ist für neue Autos in Europa das Ecall-Notrufsystem für Unfälle Pflicht. Doch dessen Daten dienen der Alarmierung der Rettungsdienste bei schweren Unfällen und sind nicht für externe Dienstleister gedacht.
Auf Basis der von modernen Fahrzeugen produzierten Datenfülle sind nach Einschätzung der Fachleute jedoch noch weit mehr Dienstleistungen denkbar. Nach Röhlers Worten könnten Autos ihre Fahrerinnen und Fahrer künftig zu freien Parkplätzen dirigieren, ohne dass diese lang herumkurven müssen: „Durch die Verwendung von Millionen von Live-Kamera- und Positionsdaten aus Fahrzeugen ließe sich das Problem der Parkplatzsuche in Innenstädten lösen.“
Der „EU Data Act“ ist nicht unumstritten
Ein weiteres Beispiel wäre die Untersuchung eines Fahrzeugs ohne Werkstattbesuch. Das sagte Norbert Dohmen, Chef des Autodatendienstleisters Caruso. Das bedeutet unter anderem, dass ein Auto im Idealfall ein technisches Problem selbsttätig melden könnte, bevor ein defektes Fahrzeug auf der Straße liegen bleibt oder einen Unfall verursacht. „Wir stehen aber erst ganz am Anfang“, sagte Dohmen zur Vielzahl der technischen Möglichkeiten.
Der „EU Data Act“ soll die Nutzungsrechte an der Datenflut regeln, die vernetzte Maschinen erzeugen, Autos inbegriffen. Das Gesetz ist nicht unumstritten. Nicht nur bei Autoherstellern gibt es Befürchtungen, dass sie um die Früchte ihrer technischen Entwicklung gebracht werden, wenn sie die Daten unbegrenzt mit Dritten teilen sollen.
Der Autoindustrieverband VDA hatte 2021 vorgeschlagen, das „Berechtigungsmanagement“ für die Autodaten bei den Herstellern zu belassen. Eine verbreitete Sorge der Industrie ist, dass technische Entwicklungen und Geschäftsgeheimnisse in die Hand von Konkurrenten gelangen könnten. Die Versicherer wiederum fordern einen neutralen Datentreuhänder - sie fürchten, dass die Autohersteller das potenziell lukrative Datengeschäft für sich selbst sichern wollen.
Die EU-Kommission will mit dem Datengesetz dagegen die Rechtsposition der Nutzer stärken - übertragen auf Autos sind das deren Besitzer. Sie sollen das Recht haben, die Nutzung der Fahrzeugdaten für Wartung, Reparaturen und sonstige Dienstleistungen auf ein Unternehmen ihrer Wahl zu übertragen.