Berlin. Lebensmittel vom Lieferdienst – warum nicht? Aber die Kuriere verdienen eine faire Behandlung. Das ist eine Frage des Respekts.
Es geht so schnell und so bequem: Ein paar Mal Wischen auf der Smartphone-App, und Minuten später steht die Tüte mit Äpfeln, Gouda, Toast, Tiefkühlpizza und einem Sechserpack Bier vor der Wohnungstür. Wahlweise auch gleich die fertige Bowl aus dem Lieblingsrestaurant. Gebracht hat es der junge Mann vom Lieferservice.
Er und seine Kolleginnen und Kollegen sind mit ihren E-Bikes und den großen quadratischen Boxen auf ihrem Rücken nicht mehr aus dem Großstadtverkehr wegzudenken. Zumindest in den Ballungsgebieten muss niemand die Wohnung für die nötigsten Einkäufe verlassen und schwere Tüten und Getränkekisten schleppen. Ein Gewinn für alle, die Erleichterung suchen bei der Bewältigung vom Alltagsstress – ob es nun Familien im Dauerchaos sind, Studierende im Examensstress oder auch Senioren, denen oft der Weg zum nächsten Supermarkt zu mühsam ist.
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Natürlich fallen einem jede Menge Gründe ein, kritisch auf diese Entwicklung zu blicken. An erster Stelle: Die Leute vereinsamen, werden zu Stubenhockern. Dann: Die Mitarbeiter der Lieferdienste werden ausgebeutet, weil die Gewinnmargen zu niedrig sind. Aufgefangen wird das mit Niedriglöhnen. Obendrein gefährden sie – immer unter Zeitdruck und mit schnellen Bikes ausgestattet – den Verkehr.
Machen Lieferdienste die Menschen zu Stubenhockern?
Diese Sorgen sind durchaus begründet. Tatsächlich aber zeigt die Entwicklung: Unternehmen, die sich um gute Arbeitsbedingungen kümmern und eine seriöse Preispolitik betreiben, haben die besten Chancen, sich als Lieferservice zu etablieren. Wer wenig zahlt, wer Mitarbeiter unter unrealistischen Zeitdruck setzt, wer obendrein bei der Ausstattung für einen Job bei Wind und Wetter spart, hat auf dem umkämpften Markt weniger gute Aussichten.
Bester Beweis ist das Berliner Start-up Gorillas, das schließlich vom Konkurrenten Getir geschluckt wurde, der nun seinerseits extrem unter Druck steht. Ein seriöser Lieferservice bedeutet natürlich für Kundinnen und Kunden: höhere Preise. Schließlich ist es eine Dienstleitung, für die Menschen ordentlich bezahlt werden wollen und sollen. Wir sprechen über Männer und Frauen, die sich täglich durch den Verkehr kämpfen – ein harter Job auf Mindestlohnniveau.
Wer sich Lebensmittel liefern lässt, muss auch dafür zahlen
Aber auch ein Job, der ein Einstieg in den Arbeitsmarkt sein kann – auch für Migrantinnen und Migranten mit Arbeitserlaubnis, denen noch Sprachkenntnisse und Weiterbildungen fehlen, bis sie in ihrem alten Beruf arbeiten können. Ein legendäres Beispiel dafür ist Syed Sadaat, ein früheres Mitglied der afghanischen Regierung, der im Sommer 2021 aus Kabul nach Deutschland flüchtete, bevor die Taliban wieder die Macht übernahmen.
Das erste Stellenangebot, das ihm in die Hände fiel: Essenslieferant. Der studierte Elektroingenieur fuhr für Lieferando Pizza aus. Inzwischen arbeitet er für einen Autozulieferer und hat sich mit seiner Frau eine Existenz aufgebaut. Syed Sadaat ist sicher ein besonderer Fall. Aber er zeigt: Es lohnt sich, einen Blick auf die Geschichte der Botinnen und Boten zu werfen.
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Die Branche ist relativ neu, der Markt ist hart umkämpft – aber wegzudenken ist er nicht. Klar ist aber auch: Es braucht gute Löhne, feste Arbeits- und Urlaubszeiten für die Fahrerinnen und Fahrer. Es ist eine Frage des Respekts, dass Verbraucherinnen und Verbraucher auch bereit sind, für diese Dienstleistung zu zahlen – oder eben selbst in den Supermarkt zu zu gehen.