Karlsruhe. Ob Klopapier, Duschgel, Schreibwaren oder Tofu: In Drogerien finden Menschen viele Dinge des täglichen Bedarfs. Ein Blick auf die Branche anlässlich der Eröffnung der ersten dm-Filiale vor 50 Jahren.
Bundeskanzler Olaf Scholz kam persönlich zur Geburtstagsfeier. Vor Tausenden dm-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern erklärte der SPD-Politiker in der Messe Karlsruhe im Juli, gerade der Einzelhandel gebe der Gesellschaft Sicherheit - und verwies auf die Corona-Pandemie: „Ihr Dasein, Ihre tägliche Arbeit, Ihre Verlässlichkeit hat unsere Städte und unsere Gesellschaft in diesen schweren Zeiten zusammengehalten und tut es auch heute tagtäglich.“
Vielleicht etwas viel Pathos, wo es doch um feuchtes Toilettenpapier, Rasierschaum und Lippenstift geht. Aber Scholz hat Recht, dass Menschen in Drogeriemärkten viele Dinge des täglichen Bedarfs finden. Das war wohl am 28. August 1973 schon so, als die erste dm-Filiale in Karlsruhe öffnete. Das ist heute so. Mit der Schlecker-Pleite ist die Auswahl im Grunde auf ein Quartett geschrumpft: dm als jüngste Kette, Rossmann, Müller und - vor allem im Norden der Republik - Budni.
Überschneidungen gibt es mit dem klassischen Lebensmitteleinzelhandel - auch Aldi, Lidl, Rewe, Edeka und Co. hätten nennenswerte Drogerieabteilungen, sagt Handelsexperte Prof. Carsten Kortum von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn. „Auf der anderen Seite haben die Drogerieketten zum Beispiel Produkte aus dem Food-Bereich ins Sortiment genommen.“ Dabei gehe es allerdings nicht um frische Ware. Der Fokus liege etwa bei dm auf hochwertigen Bio-Marken.
Auch Papier und Stifte seien eine starke Warengruppe geworden, seit es den traditionellen Schreibwarenhandel nicht mehr in der Form gebe. Hinzu können etwa Foto- und Babyprodukte sowie Tiernahrung kommen.
Müller wiederum spiele bei Spielwaren eine große Rolle und konkurriere bei Parfüm mit Douglas. Marketing-Professor Martin Fassnacht von der WHU - Otto Beisheim School of Management sagt gar: „Müller ist das neue Warenkaufhaus, der Nachfolger von Kaufhof.“ Beide Experten betonen, dass die Drogerieketten gerade mit Eigenmarken und Qualität regelmäßig bei Produkttests gut abschneiden.
dm setzt im Vergleich auf dauerhaft niedrige Preise
Im Konkurrenzkampf sticht dm etwas heraus, indem der Konzern statt auf Schnäppchen und Rabattaktionen auf Dauerniedrigpreise setzt. „Das ist ein sehr starkes Vertrauenselement“, sagt Fassnacht. Und daran will dm-Chef Christoph Werner, der die Unternehmensleitung von seinem Vater Götz (1944-2022) übernommen hat, auch trotz Inflation nicht rütteln: „Gerade in Zeiten der Unsicherheit hilft das.“
Ihm sei es ein Anliegen, kein „Verführungsmarketing“ zu machen, sagt er. Wenn Kunden gestresst durch enge Gänge hetzen und Bestplatziertes mitnehmen. Stattdessen sollten sie entscheiden können, was und wann sie einkaufen wollen. „Freiheitsfähigkeit“ nennt Werner das. Sein Vater hatte sich in der öffentlichen Debatte jahrzehntelang für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens stark gemacht.
Generell legt dm viel Wert auf Werte, gibt auch den mehr als 71.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel Freiraum - etwa wenn sich Auszubildende auf sozialen Netzwerken ausprobieren dürfen, ohne dass die Geschäftsführung alles absegnen muss. Vor kurzem machte dm Schlagzeilen, weil die rund 3300 Kolleginnen und Kollegen am Stammsitz mit dmGPT als unternehmenseigenen KI-Chatbot - ähnlich dem Original ChatGPT - arbeiten dürfen. Überhaupt hat Werner die junge Generation im Blick, verwies nicht zuletzt in seiner Rede vor Olaf Scholz auf die Letzte Generation und deren Klebeaktionen.
„Die Menschen sind von echter Sorge getrieben“, erklärt er im Nachgang. Da sei es auch Aufgabe von dm, Lösungen zu bieten, wie die Erde „enkeltauglich“ bleibt. Erst jüngst hatte der Konzern vor Gericht allerdings eine Niederlage kassiert im Rechtsstreit um Aufdrucke wie „klimaneutral“ und „umweltneutral“ auf Produkten.
Inflation schadet der Branche nicht
Aus Sicht der Wirtschafts-Professoren Kortum und Fassnacht bestehen die Drogerieketten allesamt ganz gut im Wettbewerb. „Trotz Inflation und knapper Budgets gibt es keinen Umsatzeinbruch“, sagt Kortum. Hier komme ihnen zugute, dass Menschen etwa beim Haarefärben nicht besonders experimentierfreudig seien und eher nicht von ihrer Stammmarke abwichen, um Geld zu sparen. Fassnacht nennt einen anderen Aspekt: „Bei Lebensmitteln sind wir viel preissensitiver.“
Die Drogerien gewinnen laut Kortum auch wieder Anteile von Discountern zurück. Gerade während Corona habe es eine kleine Delle gegeben, weil weniger Kosmetik benötigt wurde. Wie das Marktforschungsinstitut GFK jüngst im „Consumer Index“ schrieb, haben Drogeriemärkte im ersten Halbjahr 2023 ihren Umsatz verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um 12 Prozent gesteigert. Sie profitierten demnach - wenngleich in abnehmendem Maße - teils immer noch von einem gewissen Nachholbedarf aus den Hochzeiten der Pandemie. Größer war das Plus nur bei Discountern mit einem Mehrumsatz von 13,7 Prozent.
Online-Handel noch ausbaufähig
Ausbaufähig ist laut Fassnacht aber der Online-Handel: „Da geht noch einiges.“ Der E-Commerce-Anteil liege bei Drogerien bei etwa drei Prozent. „Da muss noch stärker was passieren.“ Gerade typische Drogerieartikel seien gut verpackt und könnten gut online gekauft werden. Allerdings sei eine Umstellung auf Online sehr teuer, gerade wenn man sie gut mit dem stationären Handel verknüpfen wolle. „Da wird erstmal Geld verloren.“ Zudem brauche man IT-Fachkräfte, die es auch nicht gerade in Hülle und Fülle gebe.
Wie sich die Online-Umsätze bei dm entwickeln, verrät Konzernchef Werner im Detail nicht. Nur so viel: Digitaler wie analoger Handel liefen gut. Insgesamt erwirtschaftete dm im Geschäftsjahr 2021/22 (Stichtag 30. September 2022) rund 13,6 Milliarden Euro Umsatz; ein Zuwachs von 10,7 Prozent binnen eines Jahres. Rund 4000 dm-Märkte gibt es in Europa, gut die Hälfte davon in Deutschland.
„Die Frage des Online-Handels wird wichtiger werden“, räumt Werner ein. „Da sind die Karten noch nicht gelegt.“ Auf absehbare Zeit will er auf verschiedene Verkaufswege setzen - auch Kombinationen, wenn man etwa über eine App auf dem Smartphone Ware vorbestellt und dann in einer Filiale seiner Wahl abholt („Click and Collect“).
So soll Kundinnen und Kunden in ihrer jeweiligen Lebenssituation entgegengekommen werden. Eine Mutter habe ein anderes Einkaufsverhalten als Alleinstehende ohne Kinder, nennt Werner ein Beispiel. Und spricht von „Einkaufen, wie es ins Leben passt“.