Hamburg. Experten schätzen die Entwicklung von Festgeld, Aktien und Co. ein – und sagen, was sie mit 30.000 Euro machen würden.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den lange erwarteten Schritt vollzogen. Die Leitzinssätze wurden um 0,75 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent angehoben. Es ist die stärkste Erhöhung seit Einführung des Euro vor 20 Jahren. Unsere Redaktion sprach mit Experten, wie sich das auf die Geldanlage auswirken wird – und fragte die Fachleute, wie sie 30.000 Euro anlegen würden.
Tages- und Festgeld
Der Bereich warf zuletzt wegen der Nullzinspolitik der EZB kaum Rendite ab. Doch in den vergangenen Monaten zogen die Zinsen auf niedrigem Niveau deutlich an. Bei der FMH-Finanzberatung erwartet man eine Fortsetzung dieser Entwicklung.
„Es wird in den nächsten Wochen um 0,25 bis 0,5 Prozentpunkte beim Festgeld für ein Jahr nach oben gehen“, sagt Inhaber Max Herbst. In ein bis zwei Wochen werde es sicherlich Angebote im Bereich von zwei Prozent Zinsen für zwölf Monate bei einer hohen Einlagensicherung geben.
Tagesgeld gilt nicht mehr als attraktiv
Gründe: Nach der EZB-Entscheidung wüssten die Geldinstitute nun, wie hoch der Zinsschritt tatsächlich ausgefallen ist, und würden schauen, welche Konditionen die Wettbewerber anbieten, und nachziehen. Für die Banken sei es attraktiv, Kunden höhere Zinsen zu zahlen, weil sie selbst für die Refinanzierung bei der EZB mehr Geld zahlen und zusätzlich Sicherheiten hinterlegen müssen.
Tagesgeld bleibe kein attraktives Geschäftsfeld. Nachdem viele Häuser bis vor Kurzem noch Strafzinsen für hohe Guthaben genommen haben, würden die Kunden bei solchen Angeboten nur kurzfristig ihr Geld parken und dann weiterziehen, so Herbst.
Experte: Festgeld sollte man für ein Jahr anlegen
Ein Jahr hält er für den einzig attraktiven Anlagezeitraum für Festgeld. Seine Rechnung: Kurz nach dem Zinsentscheid gab es für zwölf Monate bei hoher Einlagensicherung Angebote für 1,75 Prozent Zinsen. Für sechs Monate erhielt man nur 0,75 Prozent. Heißt: Der Zinssatz müsste in sechs Monaten auf 2,74 Prozent steigen, um letztlich auf 1,75 Prozent Rendite zu kommen.
Wie hoch die Zinsen dann sind, sei aber offen. Und für mehrjährige Festgelder gebe es nur leicht höhere Zinsen, der Anleger sei aber dafür länger gebunden. Das macht es unattraktiv.
Inflation belastet die Rendite stark
Herbst und Carsten Mumm erwarten weitere Zinsschritte. „Wir werden im Jahresverlauf weitere Leitzinserhöhungen der EZB sehen“, sagt der Chefvolkswirt von Donner & Reuschel. Damit stiegen auch Zinsen für Festgelder. Problem: Angesichts der hohen Inflationsrate ist der Realzins tief negativ, das Ersparte verliert weiterhin an Wert.
Die Bundesbank erwartet im Herbst Inflationsraten von zehn und 2023 von sechs Prozent. „Als Kapitalanlage mit einem längeren Anlagehorizont empfehlen wir Festgeld nicht“, sagt Mumm. Sinnvoll sei es, wenn man in näherer Zukunft eine Anschaffung wie eine neue Küche plane oder als Puffer für den auslaufenden Immobilienkredit – denn angesichts steigender Bauzinsen dürfte die Anschlussfinanzierung teurer werden.
Aktien
Der Deutsche Aktien-Index (DAX) erlebte seit 2017 starke Ausschläge nach oben wie unten (siehe Grafik). Wer zu einem unglücklichen Zeitpunkt eingestiegen ist, kann durchaus auf beträchtlichen Verlusten sitzen.
Trotzdem sagt Dennis Grünert, Anlageexperte bei der Haspa: „Bei den jetzigen Inflationsraten hat man nur mit Sachwerten eine Chance, die Inflation zu schlagen. Im derzeitigen Marktumfeld ist das aber auch mit Aktien sehr herausfordernd.“ Langfristig senkte das Institut die Renditeerwartung des DAX auf nur noch fünf Prozent Zuwachs pro Jahr, ein konkretes Ziel gibt es nicht.
Börse leidet unter Vielzahl von Faktoren
Denn die Liste der aktuell belastenden Faktoren ist lang: Ukraine-Krieg, Lieferkettenprobleme und Preissprünge bei Rohstoffen, Strom und Gas sowie für die Lebenshaltung, die den Konsum drücken dürften. „Kurzfristig ist die Entwicklung am Aktienmarkt mit Vorsicht zu genießen“, sagt Mumm.
Aber: Die Börse nimmt realpolitische Entwicklungen meist ein halbes Jahr vorweg. „Ich habe in meinen 20 Jahren am Kapitalmarkt schon häufiger erlebt, dass Aktienmärkte anfangen zu steigen, wenn es gefühlt und realwirtschaftlich rabenschwarz ist“, sagt Mumm. Nach einer möglichen Rezession im Winter erwartet er ab dem zweiten Quartal 2023 einen Aufschwung – und der wird frühzeitig eingepreist.
DAX soll Donner & Reuschel 2024 neues Rekordhoch sehen
„Richtung Jahresende wird der DAX höher stehen als derzeit“, sagt er, ohne ein konkretes Kursziel zu nennen. „Spätestens im Laufe von 2024 werden wir die Hochs beim DAX einstellen.“ Der Rekord liegt bei 16.272 Punkten, derzeit sind es gut 13.000.
Der Donner&Reuschel-Chefvolkswirt gibt dem Aktienmarkt sehr gute Chancen, weil er hohe Investitionen von Staaten und Unternehmen erwartet. Die vergangenen Jahre hätten viele Mängel offengelegt, beispielsweise im Gesundheits- und Bildungssystem, dem Klimaschutz, der Digitalisierung und bei den Lieferketten. Diese müssten behoben werden.
Selbst wenn bei einer Rezession dem Staat zunächst Steuereinnahmen fehlen und er mehr Geld für Hilfszahlungen für Privatleute und Unternehmen ausgeben müsste, sieht er das als kurzfristigen Effekt. Für aussichtsreich hält er zum Beispiel Technologie- und Maschinenbauwerte – wenn sich die Firmen gut auf anstehende Veränderungen einstellen.
Haspa favorisiert kurzfristig zum Beispiel Versicherungen
Bei der Haspa heißt es, dass man mittel- bis langfristig nicht an Aktien vorbeikomme. Grünert empfiehlt eine breite, global ausgerichtete Streuung: „Es sollte ein guter Mix aus Unternehmen sein, die Wachstum versprechen, und gleichzeitig starken Substanzwerten, die zum Beispiel eine attraktive Dividende ausschütten.“ Auf kürzere Sicht favorisiere man Versicherungen, Nahrungsmittel- und Telekommunikationskonzerne.
Immobilien, Gold, Dollar
Diversifikation ist bei der Geldanlage wichtig. „Immobilien in Form von Fonds sollte man langfristig als Beimischung im Depot haben, Rohstoffe wie Gold ebenfalls“, sagt Grünert. Mumm hält offene Immobilienfonds für eine defensive, mindestens auf drei Jahre angelegte Investition.
Für den Häusermarkt erwartet er weder das Platzen einer Blase noch weiter starke Preissteigerungen. Entscheidend sei, dass es einen starken Cashflow aus laufenden Mieteinnahmen gibt – die Vermietung muss also stimmen. Wohnungen seien in Deutschland ohnehin stark gefragt, sodass es dort keine Leerstandsprobleme gebe. Und trotz des Trends zum Homeoffice ist er auch für Büros optimistisch, wenn sie hohe Qualität wie Energieeffizienz bieten.
Gold bleibe ein sicherer Hafen
Auch Gold könne trotz eines schwächeren Jahres 2022 weiter als sicherer Hafen angesehen werden, sollte eher wieder zulegen und gehöre in ein breit gefächertes Depot. Beim US-Dollar habe man möglicherweise den Höhepunkt der Entwicklung schon gesehen. Denn der schwache Euro sei trotz des Ausfalls der russischen Gaslieferungen stabil geblieben. Und falls die US-Notenbank die Zinsen 2023 eventuell schon wieder senkt, näherten sich die Zinsentwicklung in beiden Wirtschaftsregionen an. Der Euro könnte also die schwächste Phase bereits hinter sich gelassen haben, sagt Mumm und empfiehlt: „Die ein oder andere Dollarpositionierung ist für Anleger sinnvoll.“
Die 30.000-Euro-Frage
So weit der Marktüberblick – aber wie würden die Finanzexperten 30.000 Euro aus einem Erbe oder Lottogewinn anlegen? Grundsätzlich hänge das von Anleger, Risikobereitschaft, Anlagehorizont, Wohnbesitz, sonstigem Vermögen und Erfahrungshorizont ab, betonen alle.
„Fünf Nettomonatsgehälter als Reserve können nicht schaden“
Die wichtigsten Tipps von Aktienexperte Christian W. Röhl: Erstens: bestehende Schulden abbauen. Zweitens wegen der steigender Preise die „eiserne Reserve“ erhöhen. „Da können bei einem Normalverdiener auch bis zu fünf Nettomonatsgehälter nicht schaden“, sagt Röhl. Drittens: Wer keine Erfahrung hat, nicht auf einen Schlag zu 100 Prozent in Aktien gehen.
Ein Engagement an der Börse sollte mindestens auf fünf Jahre angelegt sein, und man müsse negative Phasen wie zum Beispiel nach dem Lehman-Crash auch aussitzen können. „Wer keine Erfahrung hat, sollte sich mit ETFs beschäftigten“, sagt Röhl. Die heißen in Langform Exchange Traded Funds und bilden Aktienindizes nach. Der MSCI World beinhaltet die wichtigsten 1600 börsennotierten Unternehmen, ein Großteil davon in den USA. Er sei ebenso eine attraktive Möglichkeit wie ein ETF auf den Eurostoxx Small oder auf asiatische Länder.
Ein Aktiendepot sollte mindestens 20 Titel beinhalten
Dank Neobrokern, über die man günstig Titel kaufen und verkaufen kann, sei mit 30.000 Euro der Aufbau eines Depots aus Einzelwerten möglich – aber es müssen viele sein. „Alle Aktienportfolios, die weniger als 20 Titel umfassen, halte ich für hochriskant“, sagt Röhl. Aus jedem Sektor sollten mindestens zwei Titel dabei sein. Für interessant hält er Firmen wie Apple, Microsoft, Louis Vuitton, Nestlé, Coca-Cola, Pepsi, Roche, Novartis oder Johnson + Johnson.
Mumm würde in Aktien investieren: „Kurzfristig kann es ruckelig werden, aber die mittel- bis langfristige Perspektive stimmt.“ Einsteigen sollte man über mehrere Monate, weil man nie den perfekten Zeitpunkt zum günstigen Kauf erwischt. Er empfiehlt bei dem Anlagebetrag eine Mischung aus ETFs auf den DAX, S&P 500, MSCI World oder Spezial-ETFs zum Beispiel aus dem Technologie-Bereich.
Zinsexperte Herbst empfiehlt ETFs
Grünert empfiehlt Kunden mit mittlerer Risikobereitschaft und längerfristigem Anlagehorizont einen gut gestreuten Mix aus festverzinslichen Anlagen, Aktien – seien es aktiv gemanagte Fonds oder ETFs – und kleinere Anteile von Immobilienfonds und Gold. Herbst hält angesichts der hohen Inflation derzeit wenig von Termingeldern: „Ich würde momentan lieber ETFs kaufen als in Festgeld anzulegen.“
Wer sich aber für Aktien entscheide, der müsse sich um sein Depot gut kümmern, sagt Röhl, der sich hauptberuflich und in Vollzeit nach einem Unternehmensverkauf um den Wertzuwachs seines Vermögens kümmert: „Mir erzählen immer wieder Leute, dass Aktien ihr Hobby seien. Da sage ich: Um Himmels willen! Geldanlage soll kein Hobby sein – denn Hobbys machen zwar Freude, kosten meistens aber Geld.“