Hamburg. Auch wegen steigender Preise sind Artikel in den beliebten Billigläden teurer geworden. Expansion der Non-Food-Discounter stockt.

Schon kurz vor der regulären Öffnungszeit geht die Schnäppchenjagd los. Die Tür des EuroShops an der Neuen Großen Bergstraße steht weit offen. Draußen vor die Schaufenster haben die Beschäftigten Verkaufsständer mit Angeboten gerollt. Immer wieder bleiben Kunden vor dem Laden im Hamburger Stadtteil Altona stehen, viele gehen rein.

Drinnen gibt es ein buntes Sortiment: Stifte und Spielzeugautos, Kerzen und Shampoo, CDs und Gartenhandschuhe – lauter Sachen, die man brauchen könnte. Hauptsache billig. Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat der selbsterklärte Tiefstpreis-Anbieter in den vergangenen Monaten die Preise erhöht – und die Strategie umgekrempelt. Die knalligroten Schilder „Jedes Teil 1€“ sind abmontiert. Auch der Slogan „Alles für 1,10 Euro“ gilt nicht mehr. Jetzt muss man vor den Regalen schon genau hinschauen. Aktuell gibt es drei Preisgruppen: 1,10 Euro, 1,30 Euro und 1,50 Euro.

Inflation: Ein-Euro-Läden 50% teurer

Das klingt erstmal nicht nach viel. Aber wenn ein Artikel um die Hälfte teurer ist, macht das schon einen Unterschied. Und vor allem: „Die Simplizität des Konzepts ist verloren gegangen“, sagt Thomas Roeb, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Kunden könnten sich nicht mehr sicher sein, was sie bezahlten.

Gerade beim Einkaufen in sogenannten Nonfood-Discounter spiele das eine Rolle. „Es geht meistens nicht um Dinge, die gebraucht und gezielt gesucht werden, sondern um Impulseinkäufe“, so der Handelsexperte. Mit schwer zu kalkulierbaren Folgen. Das Unternehmen selbst wollte sich zu der Kehrtwende nicht äußern. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir Ihre Fragen aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht beantworten wollen“, heißt es auf mehrfache Abendblatt-Anfrage in einer E-Mail der Schum EuroShop GmbH & Co. KG.

Inflation spielt Discountern in die Hände

Das Geschäft mit den Billigangeboten ist stark umkämpft. Neben den großen Lebensmitteldiscountern wie Aldi und Lidl sind Handelsketten wie EuroShop, Tedi, Action, Mac-Geiz oder inzwischen auch Flying Tiger und Hema in Deutschland auf Expansionskurs. Die Läden gehören vielerorts inzwischen ganz selbstverständlich zum Stadtbild.

Das Konzept ist immer ähnlich: Über große Einkaufsmengen, einfache Filialgestaltung und geringe Marketingausgaben werden die Preise auf Niedrigstniveau gedrückt. Die Corona-Pandemie mit langen Lockdowns hat das Wachstumstempo der auf den stationären Handel ausgelegten Ketten zwar gebremst, aber jetzt wittern die Anbieter neue Chancen.

Geiz ist immer noch geil. „Die Inflation spielt den Unternehmen in die Hände“, sagt Wirtschaftsprofessor Thomas Roeb. „In wirtschaftlich schwierigen Zeiten haben auch Billigläden, quasi die Küchenschaben des Einzelhandels, eine Zukunft.“ Allerdings werde es selbst bei einem wachsenden Gesamtmarkt nur einige wenige geben, die mit ihrem Geschäftsmodell langfristig erfolgreich seien.

Ein-Euro-Läden: Neues Sortiment „Alles 2 Euro“

Hinter EuroShops steht das inhabergeführte Familienunternehmen J. E. Schum aus der Nähe von Würzburg. Angefangen hatten die Schums 1877 als Eisenwarenhändler, später machten sie als Großhändler Geschäfte. 2004 eröffnete die Familie nach dem Vorbild der „One Dollar Shops“ in den USA die ersten 1-Euro-Läden. Heute gibt es nach Angaben auf der Firmen-Internetseite bundesweit 350 Filialen mit mehr als 3000 Mitarbeitern und 250.000 Kunden im Jahr.

In Hamburg gibt es 14 Standorte. In früheren Jahren wehrte sich Firmeninhaber Rainer Schum immer wieder dagegen „Ramsch“ zu verkaufen. „Wir richten uns an Menschen, die nicht bereit sind, für profane Dinge des täglichen Bedarfs mehr Geld auszugeben als nötig“, hatte er 2019 in einem Zeitungsinterview zu Protokoll gegeben.

In den Läden im einheitlichen Rot sind 2000 Artikel ständig im Angebot, darunter neben einem Basisprogramm auch Aktionsware. Nach einer Stichprobe des Abendblatts lag am vergangenen Freitag laut Webseite im Filialangebot gerade mal gut ein Drittel der Artikel unter der Preisschwelle von 1,10 Euro. Im Online-Shop werden in der untersten Preiskategorie nur noch ganze Kartoneinheiten abgegeben. Dort gibt es auch ein neues Sortiment „Alles 2 Euro“ und zahlreiche Haushaltsartikel wie Grillpfannen, Funkthermometer oder einen Fleischtopf mit Preisen bis zu 25,99 Euro.

EuroShop: 1,94 Millionen Überschuss

Darüber, wie das bei den Kunden ankommt, schweigt das Unternehmen. Im jüngste im Bundesanzeiger veröffentlichen Jahresabschluss der J. E. Schum GmbH & Co. KG für das Vor-Coronajahr 2019/20 hatte der Jahresüberschuss 1,94 Millionen Euro betragen – bei einem leicht rückläufigem Gesamtumsatz von gut 168 Millionen Euro. Fakt ist, dass die Ankündigung von Unternehmenschef Schum, bis 2023 die Zahl der Filialen deutlich auf 5000 in Deutschland zu steigern, bislang nicht in Sichtweite ist.

Marktführer Tedi, der etwa zeitgleich mit den EuroShops gestartet war, hat nach eigenen Angaben inzwischen 1806 Standorte zwischen Flensburg und Füssen und ist zudem mit 744 Filialen in zehn weiteren europäischen Ländern vertreten. In Hamburg gibt es 21 Filialen, zuletzt eröffnete der Marktführer im März im Krohnstieg-Center in Langenhorn.

Im August soll ein weiterer Markt in Bergedorf dazukommen. „Unsere Expansionsstrategie passt sich weiterhin dem Markt und der Entwicklung des Landes an, mittelfristig können wir uns vorstellen bis zu 2500 Filialen in Deutschland zu betreiben“, heißt es zu den weiteren Plänen des Dortmunder Unternehmens. Auch Tedi rückt damit von hochgesteckten früheren Wachstumszielen ab. 2019 hatte es auf Abendblatt-Anfrage geheißen, man wolle auf Sicht mit 5000 Filialen im In- und Ausland vertreten sein. Zu Preiserhöhungen äußerte sich ein Unternehmenssprecher nicht konkret.

Ein-Euro-Läden: Wird alles noch teurer?

Die Pandemie war für die Ausbreitung der Billigläden eine Zäsur. Bis zum Frühjahr 2020 waren die Umsätze der Non-Food-Discounter überdurchschnittlich gewachsen, hatte die Deutsche Industriebank in einem Branchenreport ermittelt. Zwischen 2013 und 2018 waren die Haushaltsausgaben bei EuroShop & Co. nach einer Analyse des Marktforschungsinstituts GfK sogar um ein Drittel gestiegen. Danach gingen zu diesem Zeitpunkt zwei Drittel der Kunden mindestens einmal im Jahr zu einem Gebrauchswaren-Discounter. Nachdem in den vergangenen Jahren viele kleine Einzelhändler für Schreibartikel, Haushaltswaren, Bastel- und Kurzwaren aufgegeben haben, sehen sich die Non-Food-Discounter gern in der Rolle der Nahversorger.

Besonders schnell gewachsen war zuletzt die Handelskette Action. 2000 Filialen betreiben die Niederländer in zehn europäischen Ländern, in Deutschland sind es 441. In Hamburg wurde der fünfte Standort im Dezember 2021 im Rahlstedt Center eröffnet. Wie die Konkurrenz gibt auch Action keine Geschäftszahlen preis. Zum Thema Preiserhöhungen erklärte eine Sprecherin der Deutschland-Zentrale in Düsseldorf: „Wir versuchen natürlich, dies zu verhindern, aber das ist nicht immer möglich. Im Jahr 2021 haben wir unsere relative Preisposition gegenüber den Wettbewerbern verbessert.“ Man arbeite daran, das zu halten.

Die Konkurrenz ist hart. Allein in Altona gibt es im Bereich Neue Große Bergstraße/Große Bergstraße neben dem Ikea-Haus mit großem Gebrauchswarenangebot vier Non-Food-Discounter. EuroShop ist sogar mit zwei Filialen vertreten. Die meisten Kunden, die an diesem Morgen in einen der beiden Läden gehen, kaufen auch. Eine ältere Hamburgerin hat Sport-Handtücher in ihrer Tasche, für 1,30 Euro das Stück. „Es ist immer noch billiger als anderswo“, sagt sie.