Hamburg. Statt hochwertige Koffer zu verkaufen, will Inhaber Gerd Leins in einem neuen Geschäftsfeld wachsen. Und was ist mit der Reisebranche?

Gerd Leins, raspelkurze Haare, helle Strickjacke, zeigt auf das weiße Rad von Biomega, ein E-Bike zum Aufhängen in der Wohnung, so stylisch sieht es aus mit seinem minimalistischen Design. „Das sind Kunstwerke“, sagt der Hamburger über die Räder der dänischen Firma, die er neuerdings in seinem Cactus-E-Mobility-Laden im Kaufmannshaus verkauft und damit sein Leben auf den Kopf gestellt hat. Gerd Leins ist gemeinsam mit seiner Familie Inhaber der Gepäckgeschäfts Klockmann, ein Traditionsgeschäft in Sachen Reisen.

Seit 1902 steht der Name Klockmann für hochwertige Koffer. Samsonite oder Rimowa sind nur einige der Marken, die der Händler verkauft. Doch dann brachte Corona nicht nur die Krise, sondern auch Gerd Leins zum Nachdenken. Fortan soll sich der Betrieb auf die E-Mobilität konzentrieren, ein völlig neues Geschäftsfeld besetzen, und die Mitarbeiter werden damit nicht mehr Fernreisende, sondern Fahrradfahrer bedienen. Handel ist Wandel.

Reisen: Geschäftsmodell von gestern

„Ich kann nicht rumjammern und nichts tun“, sagt Leins und zuckt mit den Schultern. „Sondern ich will ein Beweis dafür sein, dass man etwas komplett Neues machen kann, auch noch in meinem Alter“, sagt der 62-Jährige. Die Überlegung ist auch aus der Not heraus geboren. „Unser eigentliches Geschäftsmodell ist durch Corona unter die Räder geraten“, sagt der Unternehmer.

Ohne Frage, Reisen und jegliches Geldverdienen rund um dieses Thema lagen während der Pandemie auf Eis. Leins glaubt aber auch nicht wirklich an eine Rückkehr zu Zeiten wie vor dem Aufkommen des Virus. Die Klimakrise bewege die Leute zum Nachdenken, die Inflation zwinge sie zum Sparen beim Urlaub, und eine wichtige Zielgruppe seines bisherigen Geschäfts fällt bis heute aus: die Chinesen.

Leins fehlen die Chinesen

Denn ein Besuch bei Klockmann war für die Asiaten ein gesetzter Termin im Reiseplan. Hier kauften sie edle Koffer, und später auch Töpfe von WMF oder Stifte von Lamy, als der Shop neben den Taschen auch noch ein Tax-Free-Angebot in seinen Räumen in der Gänsemarktpassage hatte. Die Ware aus Deutschland war für die Touristen aus der Volksrepublik hier günstiger, zusätzlich konnten sie sich mit einem Zollstempel die Mehrwertsteuer erstatten lassen.

„So bekamen wir einen festen Platz im Einkaufs-Beuteschema“, sagt Leins, denn selbst in Reiseführern wurde der Klockmann-Shop empfohlen, der vor wenigen Wochen auch deshalb schließen musste, weil die Gänsemarktpassage nun abgerissen wird. Nun müssten die Chinesen nach der Rückkehr in die Heimat mehrere Wochen in die Quarantäne, „und so viel Urlaub hat dort niemand“, sagt Leins, der nun nicht mehr an diese Kunden glaubt.

Neues Geschäft, neue Zielgruppe

Stattdessen nimmt er nun kaufkräftige Leute zwischen 40 und 60 ins Visier, die innovativ, cool und nachhaltig agierten, eine neue Generation von Fahrradfahrern. Neben den Produkten von Biomega bekommt Leins bald weitere europäische Marken ins Sortiment, Meijs Motorman und Brekr aus den Niederlanden, Urban aus Magdeburg und Poison aus der Eifel. Das Spektrum reicht vom E-Bike über Roller bis hin zu „Mopeds“ mit reinem E-Antrieb im Retro-Look. Später sollen dann noch Micro Cars dazukommen. Service werde eine wichtige Rolle spielen.

Günstig sind die Zweiräder, die Leins jetzt auf gut 100 Quadratmetern in der Passage im Kaufmannshaus zwischen Fleet und Große Bleichen verkauft, nicht. Die weiße Schönheit aus Dänemark kostet 3749 Euro, bietet eine Automatik mit zwei Gängen und einen verschleißarmen Zahnriemenantrieb, aber nur 50 Kilometer Reichweite mit dem unsichtbar verbauten Akku. Leins, den passionierten Motorradfahrer, hat schon vor zehn Jahren eine Probefahrt in der HafenCity mit einem damals noch nicht geschwindigkeitslimitierten E-Bike so sehr begeistert, dass er sich in der jetzigen Situation an seine Leidenschaft erinnert hat und sie zum (neuen) Beruf machen will.

Klimawandel: „Fahrrad statt Ferrari“

Schwierig wird es dagegen mit den Mitarbeitern, gibt Leins offen zu. Mit Schulungen der Hersteller und hoffentlich ebenso ansteckenden Erkundungsfahrten auf den neuen Produkten wolle er die einstigen Gepäckverkäufer überzeugen, sagt ihr Arbeitgeber. Letztlich verlaufe diese Überzeugungsarbeit parallel mit der gesellschaftlichen Entwicklung. Es gelte, sich von alten Gewohnheiten zu verabschieden, anzuerkennen, dass Nachhaltigkeit gelebt werden müsse, und zu sehen, dass der SUV oder Sportwagen dem neuen Lebensgefühl nicht mehr Ausdruck verleihen könne. Nach dem Motto: Fahrrad statt Ferrari.

Auch mit seinem Geschäft will Leins diesen Wandel vollziehen: „Wir haben vorher unser Geld mit quasi maximal klimaschädlichem Extremtourismus gemacht (Langstreckenflüge und Konsumrausch) und transformieren uns jetzt – zu faktischen Klimaschützern“, sagt der Hanseat. Zwar sollen das Koffergeschäft von Klockmann im Flughafen und die Werkstatt für Gepäck und Taschen in Fuhlsbüttel fortbestehen, aber das Wachstum soll zukünftig auf der E-Mobilität liegen.

Neuer Laden an der Binnenalster

Das vorhandene Personal wird weiterhin benötigt: Der Standort im Kaufmannshaus wird mit drei Verkäufern bespielt, „für einen weiteren, geplanten Standort werden wir dann bis zu zehn Mitarbeiter brauchen“, sagt Leins. Zwar ist der Vertrag noch nicht unterschriftsreif, aber das neue Geschäft soll in eine weitere Toplage nahe der Binnenalster einziehen. Auch hier werde wie im ersten Cactus-Laden der Lifestyle im Vordergrund stehen und, dem Design der Räder geschuldet, eine attraktive Umgebung. Die Bikes sollen anders als im herkömmlichen Fahrradhandel nicht „20-fach nebeneinandergestellt werden, sondern als Einzelstücke wirken“.

Im Kaufmannshaus fallen zudem große Kunstwerke an den Wänden ins Auge, sie geben den ausgestellten Rädern einen attraktiven Rahmen – und hängen nicht zufällig hier. Leins ist auch bildender Künstler, er hat die bunten Farbwelten selbst geschaffen. Seine kaufmännische Bildung war eher dem Wunsch der Eltern nach etwas Seriösem geschuldet. Zwischenzeitlich arbeitete der Familienvater zudem als Unternehmensberater, begleitete KarstadtQuelle bei der Restrukturierung und kaufte dann 2005 den Klockmann-Betrieb aus der Insolvenz heraus.

Der neue Weg, sagt Leins, stelle das Unternehmen nun vor große Herausforderungen, denn nicht nur die Mitarbeiter und die Kunden müssen umdenken, auch Geldgeber sitzen mit im Boot. Der Kredit, den Klockmann in der Corona-Krise bekommen hat, muss bald an die Banken zurückgezahlt werden.