Hamburg. Nawin Kumar ist einer der wenigen Edelsteinfasser in Norddeutschland. Jetzt hat er einen eigenen Werkstattladen in Eppendorf eröffnet.
Der Mann hat das richtige Fingerspitzengefühl. Wenn Nawin Kumar an seinem Arbeitsplatz sitzt, braucht er eine ruhige Hand. Und viel Geduld. Gerade hat er einen Goldring in Arbeit. In der Mitte prangt ein zartblauer Edelstein. „Ein Aquamarin“, sagt der 33-Jährige und klemmt den Ring in eine Halterung auf seinem Ateliertisch fest. Rund um den in Gold gefassten Stein hat Kumar winzig kleine Brillanten gesetzt. Er schaut durch sein Mikroskop und nickt zufrieden. An einer Seite des Rings hat er die Reihen für weitere Steinchen gestanzt, die er nach und nach einsetzt. „Am Ende sollen es 300 Brillanten sein“, sagt er. Ein echtes Ausstellungsstück – und eine Probe seiner Handwerkskunst.
Nawin Kumar ist einer der wenigen Edelsteinfasser, die im norddeutschen Raum arbeiten. 2010 war er der erste Hamburger, der von der Handwerkskammer als Landessieger in dem Handwerk ausgezeichnet wurde. Im gleichen Jahr siegte er auch im bundesweiten Leistungswettbewerb. „Ich arbeite im Hundertstel-Millimeter-Bereich aus der freien Hand. Das ist meine Leidenschaft“, sagt er auch zwölf Jahre später noch über seinen Beruf.
Jetzt hat der Edelsteinfasser in Eppendorf seinen eigenen kleinen Laden eröffnet. Und ist wieder mal wieder Pionier. „Mein Traum war es schon immer, auch eigene Schmuckstücke anzufertigen“, sagt der Hamburger, der bislang von seinem Arbeitsplatz zu Hause in der Familienwohnung in Bergedorf Auftragsarbeiten für Goldschmiede-Betriebe erledigt hat.
Edelsteinfasser: Werkstattladen am Eppendorfer Marktplatz
Jetzt sitzt er jeden Tag in seinem Werkstattladen am Eppendorfer Marktplatz und die Passanten können ihm durch die Schaufensterscheibe bei der Arbeit zusehen. Auf dem Arbeitstisch stehen Gravierstichel, Kugelfräsen, Feilen, Gummirädchen und was er sonst noch für seine Handwerkskunst braucht. Die kleinsten Fräsen sind 0,3 Millimeter groß, die größten 6,5 Millimeter. Sein größter Stolz: ein Graviersystem, dass er mit Druckluft betreiben kann. „Damit kann ich noch präziser arbeiten“, sagt der Edelsteinfasser. „Und außerdem schont es das Handgelenk.“
An den Wänden hat Kumar Fotos von besonders schönen Werkstücken aufgehängt. Seine Liebe zu den glitzernden Steine ist nicht zu übersehen. Sogar die Stühle in der kleinen Besprechungsecke sind mit leuchtenden Steinen besetzt – natürlich nicht mit echten. „Die sind sicher in meinem schweren Safe verwahrt“, sagt er und lacht.
Seine Liebe zum Filigranen hat der gebürtige Afghane aus seiner Heimatstadt Kabul mitgebracht, aus der er mit seiner Familie 1995 geflohen war. Damals war er sechs Jahre alt. „Ich mochte schon immer den Goldschmuck meiner Mutter“, erzählt er. Als er älter wurde, war es der jüngste der vier Brüder, der ihre Ketten und Armbänder reparierte.
Nach dem Schulabschluss fing Nawin Kumar mit 15 Jahren eine Ausbildung als Edelsteinfasser bei der Manufaktur Henrich & Denzel in Radolfzell am Bodensee und bei dem traditionsreichen Schmuck- und Trauring Hersteller HFC Merkle in Hamburg an. Danach arbeitete er als Geselle bei Juwelieren in Hamburg und Zürich, bevor er sich 2013 in Hamburg selbstständig machte. „Der Goldschmied macht das Schmuckstück. Ich bringe es zum Strahlen“, beschreibt er seine seltene Handwerkskunst.
Nur zwei Hamburger Werkstätten mit dem Schwerpunkt
Gerade mal zwei der insgesamt 144 aktiven Gold- und Silberschmiede, die in Hamburgs Handwerksrolle eingetragen sind, haben als Schwerpunkt „Edelsteinfasser“ eingetragen. Nawin Kumar öffnet seinen Safe und holt kleine Papiertütchen heraus, in denen Juweliere und Gold- und Silberschmiede-Betriebe ihm die Aufträge zukommen lassen. Mehrere Trauringe, ein Ring, in den er einen großen Stein fassen soll. Auch Reparaturen sind dabei.
Er arbeitet nach Stundenlohn zwischen 60 und 90 Euro. Im Schnitt schafft er zehn Steine in der Stunde. Dabei gehen enorme Werte durch seine Hände. Erst vor einigen Wochen war ein Juwelier bei ihm, der einen Diamanten fassen lassen wollte. „Das war ein Fünfkaräter, mit einem Einkaufswert von 70.000 Euro“, sagt Kumar. Hat er keine Bedenken, dass der wertvolle Edelstein Schaden nehmen könnte, wenn der Hammer und Gravierstichel ansetzt? „Man muss ruhig bleiben und sich Zeit nehmen, dann klappt es“, sagt der Profi.
Wichtiger als die Arbeit mit großen Steinen sind ihm aber die besonderen Schmuckstücke, mit vielen Details und Finessen, die man erst auf den zweiten Blick sieht. Ein Haifisch aus Weißgold zum Beispiel, kaum größer als eine Fingerkuppe, den er mit 270 schwarzen Brillanten besetzt hat. Auch Luxusuhren und Golfschläger hat er schon mit Edelsteinen bestückt. Und einen Ring für Musiker Herbert Grönemeyer. „Er wollte einen Silberring mit Klaviertastatur. Ich habe dann oben auf dem Rand 40 Brillanten eingesetzt“, erzählt Kumar.
Kumar will eigene Schmuckstücke anbieten
Künftig will er zusätzlich zu seinem Kerngeschäft als Dienstleister auch eigene Kreationen anbieten. Der Edelsteinfasser beugt sich noch mal zu einem Safe, öffnet die schwere Tür und holt eine runde Metalldose heraus. Andere verwahren in solchen Dosen Kekse oder Gummibärchen. Er hat seinen Vorrat an Edelsteinen darin: Rubine, Saphire und Brillanten, die er in der nächsten Zeit zu Schmuckstücken verarbeiten will.
Bislang hat vor allem seine Ehefrau von seinen Ideen profitiert. „Natürlich habe ich schon einiges für sie gefertigt“, sagt der Vater von zwei kleinen Söhnen. „Ich mag es gar nicht, wenn sie Modeschmuck trägt.“ In den nächsten Wochen soll auch der brillantenbesetzte Goldring fertig werden. „Der kommt dann ins Schaufenster.“