Berlin. Immer mehr Stromdiscounter stellen die Lieferung ein. Deutschlands größter Versorger Eon fordert deshalb den Staat zum Handeln auf.
Angesichts zweifelhafter Praktiken von Energiediscountern fordert der Energiekonzern Eon strengere gesetzliche Vorgaben für Händler, die Endkunden mit Strom- und Gas beliefern. „Wir brauchen im Energiemarkt klare Spielregeln und Mindestanforderungen für Anbieter“, sagte Eon-Vertriebsvorstand Patrick Lammers unserer Redaktion.
Und: „Ein fairer und gerechter Markt setzt voraus, dass sich alle Anbieter an die rechtlichen und vertraglichen Bedingungen im Sinne der Kunden halten. Die Praxis sah in den vergangenen Monaten leider ganz anders aus.“
Lammers ist seit August 2021 im Eon-Vorstand zuständig für Vertrieb, Einkauf und Marketing. Der 57-jährige Niederländer war zuvor unter anderem Chef von Essent, des größten niederländischen Energieversorgers, und an führender Position bei RWE tätig.
Wettbewerb funktionierte, solange Großhandelspreise niedrig waren
Jahrelang drängten neue Anbieter auf den Markt und boten vergleichsweise günstig Strom und Gas an. Der Wettbewerb war politisch gewollt. Discounter nutzten aus, dass ihre Kosten deutlich geringer waren als die der großen Anbieter. Die Kunden profitierten von günstigen Angeboten. Das funktionierte, solange die Großhandelspreise niedrig waren. Mehr zum Thema: „Hart aber fair“: Wut auf unseriöse Anbieter im Energiemarkt
Weil sich die Wirtschaft nach dem ersten Corona-Schock schneller erholte als gedacht und die Nachfrage zulegte, stiegen die Energiepreise zuletzt rasant. Manch Anbieter hatte sich offenbar verspekuliert. Mit dramatischen Folgen für viele Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland, aber auch vielen anderen europäischen Ländern.
„Kaum wird der Markt etwas volatiler, zeigen sich die vielen unseriösen Anbieter“, sagte Lammers. Aus seiner Sicht ist auch hier die Politik gefragt: „Der Staat meinte, mehr Wettbewerb täte dem Markt gut. Dann muss er jetzt aber auch gegenüber unseriösen Anbietern auf dem Markt handeln.“ Die Bundesregierung denkt bereits über Möglichkeiten nach.
Hunderttausende Kunden fallen in Grundversorgung
Ende 2021 hatten mehrere Discounter, darunter Stromio, Gas.de und Grünwelt, ihren Kunden gekündigt und sie nicht mehr beliefert. Die inzwischen rund 30 Anbieter begründeten das mit den kräftig gestiegenen Energiepreisen, zu denen es nicht mehr möglich sei, die günstigen Verträge zu bedienen. Die Unternehmen meldeten aber keine Insolvenz an. Die Staatsanwalt Düsseldorf leitete Vorermittlungen ein.
Mehrere hunderttausend Kunden rutschten aus ihren Billigverträgen in die sogenannte Grundversorgung. Der regional größte Versorger muss jedem Kunden Strom und Gas liefern. Der Preis dafür ist jedoch deutlich höher als bei den ursprünglichen Verträgen.
Allein Eon musste in Deutschland mehrere zehntausend Haushalte zusätzlich beliefern, in Europa waren es mehrere hunderttausend. Konkretere Zahlen nennt das Unternehmen nicht. „Wir freuen uns über zusätzliche Kunden“, sagt Lammers, „aber das bereitet auch Herausforderungen bei der Beschaffung zusätzlicher Energiemengen für unsere Ersatz- und Grundversorgung.“
Eon muss für die zusätzlichen Kunden Strom am sogenannten Spotmarkt zu aktuellen Preisen kaufen, was teuer ist. Für die Bestandskunden hat der Konzern bereits langfristig Strom zu günstigeren Preisen gekauft. Für Lammers ist klar: „Wir lassen keinen Kunden im Regen stehen.“
Bundesregierung will nachbessern – und stößt auf Kritik
Fällt ein Kunde in die Grundversorgung, muss er dort wegen des Verwaltungsaufwands mindestens drei Monate bleiben. Danach können neue Verträge mit anderen Anbietern oder anderen Produkten abgeschlossen werden. Die Grundversorgung ist in der Regel teurer als andere Tarife. Und vor allem deutlich teurer als die bisherigen Angebote der Discounter. Auch unterscheiden sich die Tarife der Grundversorgung je nach Region und Anbieter. Auch interessant: Ukraine-Krise: Wie teuer wird das Gas im Kriegsfall?
Die Bundesregierung will jetzt nachbessern und einen bundesweit einheitlichen Grundversorgungstarif festlegen. Lammers hält davon wenig, schließlich kennen sich die regionalen Anbieter mit dem Markt am besten aus: Ein einheitlicher Preis sei nicht sinnvoll, es gebe ja deutliche regionale Unterschiede. Neben den Beschaffungskosten beeinflussten zudem viele verschiedene Faktoren den Preis. Lammers warnt die Politik: „Die Ersatz- und Grundversorgung kann man nicht jeden Monat anpassen, da gibt es klare Vorgaben.“ Lesen Sie mehr: Strom selbst erzeugen: Für wen sich Mini-Windanlagen lohnen
Lammers: Preise werden nicht schnell wieder sinken
Grundsätzlich rechnet das Eon-Vorstandsmitglied nicht damit, dass die Energiepreise schnell wieder sinken werden: Der Markt wandele sich gerade fundamental. „Früher gab es nur große Stromerzeuger, die verlässlich lieferten. Das ändert sich im Zuge der Energiewende.“
So schwanke das Angebot wegen der erneuerbaren Quellen stärker. Und der Energiemarkt werde kleinteiliger. „Verbraucher sind gleichzeitig Stromerzeuger, speisen zeitweise selbst Strom zum Beispiel aus ihren Solarzellen ins Netz ein.“ Das bedeute mehr Risiko, das sich in höheren Preisen niederschlage. „Bis der Markt sich wieder eingespielt hat, wird es einige Zeit dauern.“
Eon ist mit rund 78.000 Mitarbeitern einer der größten Energiekonzerne Europas. Das Essener Unternehmen betreut 1,6 Millionen Kilometer Stromnetz, in Deutschland in der Regel das Stück bis zum Endverbraucher, und versorgt europaweit gut 53 Millionen Kunden. In den ersten neun Monaten 2021 setzte Eon 48,1 Milliarden Euro um, der Gewinn vor Steuern und Zinsen betrug rund 3,9 Milliarden Euro.