Hamburg. Mein Laden in Corona-Zeiten, Teil 14: Wie die Hamburger Unternehmerin Janine Werth ihren Lebenstraum durch die Krise steuert.

Seit Beginn der Pandemie vor fast zwei Jahren hat Janine Werth schon viele Hinweise für den Einkauf in ihren Laden an die Schaufensterscheiben geklebt: Maskenpflicht, Abstandsregeln, 2G-Kontrollen – immer wieder gab es etwas Neues. Über die Formulierung, die die Einzelhändlerin am heutigen Sonnabend dort anbringen will, hat sie lange nachgedacht. „Wir schließen das Geschäft jetzt erst mal“, sagt die Inhaberin von Werte Freunde in der Hamburger Innenstadt, und man merkt, wie schwer ihr das fällt.

Der drastische Schritt ist eine Notbremse. Mit steigenden Corona-Inzidenzen seien nach Weihnachten die Umsätze schlagartig eingebrochen. „Es gibt Tage, an denen wir gerade mal ein halbes Dutzend Kundinnen haben. Da macht es im Moment wirtschaftlich keinen Sinn zu öffnen.“ Bis Ende Februar ist der Laden für nachhaltige Mode und Naturkosmetik deshalb dicht. „Es ist wieder eine komplett neue Situation“, sagt die Geschäftsfrau, die das Abendblatt seit Beginn der Krise durch alle Höhen und Tiefen begleitet. Dass sie nach monatelangen Zwangsschließungen in einen freiwilligen Corona-Lockdown gehen würde, hätte sich Janine Werth noch vor Kurzem niemals vorstellen können.

Im Laden gibt es bis März nur Kosmetikbehandlungen

Letztlich war es ein Rechenexempel. Mindestens drei Mitarbeiterinnen sind nötig, um Verkauf und Beratung von 11 bis 19 Uhr zu gewährleisten – und das sechsmal die Woche. „Wenn man den ganzen Tag nur darauf wartet, dass die Ladentür aufgeht, ist das ein Minusgeschäft und dazu noch sehr anstrengend.“ Jetzt will sie sich mit einem abgespeckten Geschäftsmodell und Kurzarbeit bis zum Frühjahr durchschlagen. Einkaufen bei Werte Freunde ist ab Montag nur noch über den Onlineshop möglich. „Kosmetikbehandlungen bieten wir weiter an. Die Nachfrage ist groß“, sagt die 43-Jährige. Viele Kundinnen buchten die Angebote als Auszeit in der zermürbenden Corona-Phase. „Wir fokussieren uns auf das, was funktioniert.“

Mit dem ungewöhnlichen Schritt, ihren Laden für die nächsten Wochen komplett zu schließen, ist Janine Werth derzeit ein Einzelfall. Aber auch andere Einzelhändler reagieren auf ausbleibende Kunden und einbrechende Umsätze, etwa indem sie die Öffnungszeiten reduzieren (das Abendblatt berichtete). Für ein Start-up wie Werte Freunde mit der Lage am Großen Burstah abseits der großen Einkaufsstraßen ist das keine Option. „Auch als ich über die sozialen Medien angekündigt habe, dass wir schließen, sind nicht mehr Kunden in den Laden gekommen“, sagt Einzelhändlerin Werth. „Die Leute haben einfach keine Lust zu shoppen.“

Hamburgerin erfüllte sich einen Lebenstraum

Es ist der nächste schwere Rückschlag im Kampf um ihre Existenz. Ja­nine Werth hatte sich mit der Eröffnung im Herbst 2018 einen Lebenstraum erfüllt und dafür inzwischen mehr als 600.000 Euro Schulden aufgenommen. Als sich die gelernte Kosmetikerin, die lange in der Naturkosmetikbranche und bei der Drogeriemarktkette Müller gearbeitet hat, nach anderthalb Jahren aus der Anlaufphase herausgearbeitet hatte, kam Corona. Schon der erste Lockdown im März 2020 hatte trotz Corona-Soforthilfe ein Loch von mehreren Zehntausend Euro in den enggestrickten Finanzplan gerissen.

Dass sie es bis jetzt immer wieder geschafft hat, hat mit ihren vielen Ideen und großem Engagement zu tun – aber auch mit einer staatlichen Auszahlung im Rahmen der Überbrückungshilfe 3. 205.000 Euro Unterstützung hatte Janine Werth im Spätsommer erhalten, zur Hälfte für Miete, Fixkosten und Digitalisierung während der Schließungsmonate von Dezember 2020 bis Mai 2021. Die andere Hälfte, knapp hunderttausend Euro, als Erstattung oder in Vorausschau für nicht verkaufte Saisonwaren.

„Wir sind nicht über den Berg"

Danach war es einige Monate richtig gut gelaufen. Höhepunkt war der Oktober, in dem Werte Freunde an einem Sonnabend einen Rekordumsatz von knapp 24.000 Euro in der Kasse hatte. Schon im November war die Lage wieder angespannt. Weitere Zugangsbeschränkungen nur für Geimpfte und Genesene hatten der Kauflaune im Weihnachtsgeschäft einen weiteren Dämpfer verpasst. „Der Jahresabschluss ist noch nicht gemacht“, sagt Janine Werth, die in Finanzfragen von ihrem Lebenspartner unterstützt wird. „Wir hoffen, dass wir ohne Verluste rauskommen.“

Gute Geschäfte sehen anders aus. „Wir sind nicht über den Berg. Es bleibt auch 2022 eine knappe Nummer“, sagt die Unternehmerin. Sie ist froh, dass sie Miete, Gehälter und die Kredittilgung zahlen kann und trotzdem der Dispo nicht am Anschlag ist. Denn während im Laden noch Daunenmäntel und dicke Pullover hängen, stehen im Lager schon die ersten Kartons mit T-Shirts und Kleidern für das Frühjahr.

Janine Werth stellt verhaltene Prognose auf

„Die Rechnungen müssen in den nächsten Wochen bezahlt werden.“ Insgesamt summiert sich das für die kommende Saison auf eine Summe von etwa 125.000 Euro. Auch in diesem Jahr wird Janine Werth wieder Fördergelder beantragen. Dieses Mal heißt das Programm Überbrückungshilfe 4. Wie viel Unterstützung sie bekommt, ist völlig offen. Ziemlich sicher ist dagegen, dass sie Geld aus 2021 zurückzahlen muss. „Da das Geschäft nach dem Lockdown glücklicherweise schneller als angenommen wieder angelaufen ist, haben wir im Sommer mehr verkauft als erwartet. Wir rechnen mit einer Rückforderung von 20.000 Euro.“

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Anders als in früheren Phasen der Krise bleibt ihre Prognose dieses Mal verhalten. „Mein Ziel ist es, dass wir auch dieses Jahr schaffen.“ Manchmal, sagt Janine Werth, sei sie richtig sauer, dass sie nicht das Geld habe, um alle ihre Ideen umsetzen zu können. Sie würde wieder Veranstaltungen anbieten, den Onlineshop ausbauen. Jetzt hofft sie einfach nur, dass die Kunden im März wiederkommen. Bis dahin soll zumindest im Laden der Frühling eingezogen sein.