Hamburg. Abendblatt-Umfrage unter Hamburger Anlageexperten. Banken erwarten nächstes Jahr bis zu 15 Prozent Plus auf dem deutschen Aktienmarkt.

Auch das zweite Corona-Jahr endet mit Kursgewinnen an der Börse. Der Deutsche Aktienindex (DAX) hat im bisherigen Jahresverlauf um mehr als 16 Prozent zugelegt. Und der HASPAX, der Index der Titel aus der Metropolregion Hamburg, ließ die Standardwerte mit einem Plus von annähernd 30 Prozent weit hinter sich. Zurückzuführen ist das vor allem auf das überragende Abschneiden der Reederei Hapag-Lloyd, deren Anteilsscheine sich um nicht weniger als etwa 195 Prozent verteuerten.

Doch auch Papiere des Industriekameraherstellers Basler zogen weit überproportional um mehr als 120 Prozent an. Die Verlierer sind ausgerechnet zwei Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien: Der Windturbinenhersteller Nordex (minus 30 Prozent) und Encavis, ein Wind- und Solarparkbetreiber (minus 26 Prozent).

Börse Hamburg: Experten erwarten Plus bis 15 Prozent

Für das Aktienjahr 2022 sind die vom Abendblatt befragten Experten zuversichtlich – Hamburger Banken erwarten für den DAX ein Plus zwischen fünf und 15 Prozent. Besonders optimistisch zeigt sich Carsten Klude, Chefvolkswirt bei M.M. Warburg & CO. Er veranschlagt den DAX zum Jahresende 2022 auf 18.000 Punkte.

„Die deutsche Wirtschaft sollte im nächsten Jahr schneller wachsen können als 2021, die Belastung der Unternehmen durch hohe Vorleistungs- und Transportkosten sollte nach und nach abnehmen“, sagt Klude. Auch das globale Konjunkturumfeld – wichtig für das Exportland Deutschland – bleibe voraussichtlich günstig.

Angesichts solcher Perspektiven komme man am Aktienmarkt kaum vorbei, zumal es Anlegern weiterhin nicht gelingen werde, mit Anleihen eine positive Rendite nach Abzug der noch auf längere Sicht erhöhten Inflationsrate zu erzielen. „Allenfalls mit Hochzinsanleihen wäre das möglich, aber da ist das Risiko vergleichbar mit dem von Aktien“, erklärt Klude.

Aktienjahr 2022: „Inflationsspitze“ und Corona-Pandemie

Nach Einschätzung von Carsten Mumm, Chefvolkswirt beim Bankhaus Donner & Reuschel, wird die „Inflationsspitze“ zwar mit dem Jahresende 2021 oder spätestens im ersten Quartal 2022 erreicht. Aber: „Eine Inflationsrate in Höhe von 3,5 bis 4,0 Prozent im Jahresdurchschnitt 2022 ist nicht unwahrscheinlich“, glaubt Mumm. Denn zumindest für Deutschland sei die geldpolitische Ausrichtung der Europäischen Zentralbank „deutlich zu expansiv“.

Wie Klude rechnet auch Mumm mit einer kräftigen Fortsetzung der Konjunkturerholung in Deutschland, sobald sich die Lieferkettenprobleme im ersten Halbjahr 2022 sukzessive lösen lassen. Unter der Annahme, dass der Einfluss der Corona-Pandemie ab dem Frühjahr zurückgehe, werde die Wirtschaft um vier bis sechs Prozent wachsen. Mumm hält einen DAX-Stand von 17.500 Punkten in zwölf Monaten für realistisch.

Abbau von Lieferengpässen in 2022

Zwar ist es seit Herbst am deutschen Aktienmarkt mehrfach um 1000 Punkte und mehr auf und ab gegangen. Dies dürfe man aber nicht überbewerten, meint Bernd Meyer, Chefanlagestratege beim Bankhaus Berenberg: „Aktuell sehen wir zwar kräftige Kursschwankungen, aber die Umsätze sind begrenzt.“ Um die Chancen der Aktien einschätzen zu können, müsse man die langfristigen Wirtschaftsperspektiven berücksichtigen – und die seien ermutigend, so Meyer: „Der Konjunkturzyklus hat noch einige Jahre der Aufwärtsbewegung vor sich.“ 2022 sei erst das dritte Jahr in diesem Zyklus – und ein solcher Zyklus umfasse im Schnitt acht oder neun Jahre.

Für das kommende Jahr erwartet Meyer ein „solides Wirtschaftswachstum“, denn: „Was jetzt in den Wintermonaten an Wachstum fehlt, dürfte vom Frühjahr an zum Großteil nachgeholt werden.“ Dafür sorgten voraussichtlich eine zunehmende Investitionstätigkeit der Unternehmen, der Abbau von Lieferengpässen, aber auch die Ausgaben privater Haushalte, die zuletzt wegen der Pandemie Ersparnisse gebildet hätten.

Haspa: Bernd Schimmer über neue Virusvarianten

Wie Klude und Meyer sieht auch Bernd Schimmer, Chef-Investment-Stratege der Haspa, die – nach Abzug der Inflationsrate – negative Realrendite bei festverzinslichen Anlagen als wesentliches Argument für die anhaltende Attraktivität des Aktienmarktes. An der negativen Realverzinsung werde sich „auf absehbare Zeit nichts ändern“, sagt Schimmer. Die Teuerungsrate hierzulande werde im Jahresdurchschnitt 2022 noch bei knapp drei Prozent liegen.

Schimmer stimmt mit den Kollegen darin überein, dass gute Aussichten für die Unternehmen schon allein wegen Nachholeffekten bestehen. Er gibt aber zu bedenken: „Eigentlich weiß keiner, wie die Wirtschaft und die Gesellschaft mit der neuen Virusvariante zurechtkommen.“ Darum dürfte zumindest der Start in das neue Börsenjahr „holprig“ verlaufen. Zwar prognostiziert der Chef-Wertpapierstratege der Haspa nur 16.500 DAX-Punkte per Ultimo 2022. Aber auch damit wäre es im langfristigen Mittel kein schlechtes Aktienjahr.

„Unwägbarkeiten“ in internationalen Konflikte

Ebenfalls ein DAX-Kursziel von 16.500 Punkten nennt Torsten Johannsen, Direktor der Otto M. Schröder Bank: „Die Inflationsrate wird höher bleiben, als sie in den vergangenen Jahren war, was die Anleger in Sachwerte wie Aktien treibt.“ Johannsen verweist aber auf eine Reihe von „Unwägbarkeiten“, darunter die politischen Spannungen zwischen den USA und China oder zwischen der EU und Russland, aber auch die Präsidentschaftswahl in Frankreich im April.

International gesehen dürften die Aktienkurse im nächsten Jahr trotz generell positiver Tendenz nicht unbedingt im gleichen Tempo vorankommen, erwartet Meyer: „China stimuliert die Wirtschaft bereits wieder, während man in den USA wegen der dort hohen Inflation zunehmend auf die Bremse tritt, Europa liegt irgendwo dazwischen.“ Daher könnten sich asiatische Aktien etwas besser entwickeln als europäische. „Für amerikanische Aktien sehen wir das geringste Potenzial“, sagt Meyer.

Mit Einschätzungen, welche Branchen gut laufen werden, tun sich die Wertpapierexperten in diesem Jahr allerdings schwerer als in der Vergangenheit. „Es ist derzeit kaum möglich zu prognostizieren, welche Branchen besonders gut laufen, weil sich das in dem von uns erwarteten Umfeld ständig wandeln dürfte“, erklärt Meyer: „Bevorzugen sollte man aber Unternehmen mit hoher Preissetzungskraft in ihrem jeweiligen Markt, weil es ihnen am ehesten gelingt, die gestiegenen Kosten an die Kunden weiterzugeben.“

Diese Tech-Aktien sind im Trend

Auch Klude sieht sich nicht in der Lage, klare Branchenpräferenzen anzugeben: „Anlegern bleibt nichts anderes übrig, als ein breit gestreutes Portfolio zu haben.“ Mumm rechnet zumindest mit einer spürbaren Kurserholung der durch die Lieferengpässe zuletzt besonders betroffenen Branchen – etwa der Automobilindustrie – im Jahresverlauf.

Mutiger in seinen Prognosen ist Johannsen, er nennt auch Unternehmensnamen. Wenn die Pandemie im Frühjahr ihren Schrecken verliere, könnten Titel aus dem Reisesektor wie die Lufthansa kräftig profitieren, sagt er. Ansonsten setzt die Schröder-Bank auf einen Mix aus Technologie- und klassischen Dividendenwerten. Als Beispiele für Letztere zählt Johannsen Adidas, BASF, Volkswagen und die Telekom auf.

„Im Technologiebereich bevorzugen wir Chiphersteller wie Infineon, aber auch die Intel-Aktie mit einer sehr niedrigen Bewertung“, sagt Johannsen. Auf der Kaufliste stehen darüber hinaus der US-Datenanalysespezialist Palantir Technologies sowie der Onlinezahlungsdienstleister Paypal.

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Kryptowährung: Klude ist skeptisch

Bei der negativen Realverzinsung seien zudem Rohstoffanlagen interessant, ergänzt Meyer – insbesondere Industriemetalle, aber auch Edelmetalle wie Gold. Als Portfolio-Ergänzung werden außer dem Gold immer häufiger auch Anlagen aus dem Umfeld der Blockchain-Technologie genannt.

„Besonders die jüngeren Anleger fragen danach“, berichtet Johannsen. Man kaufe allerdings nicht Krypto-Währungen wie Bitcoin selbst, sondern greife dann auf Zertifikate zurück. Klude bleibt jedoch skeptisch und tendiert zur Zurückhaltung: „Ich schließe nicht aus, dass es Währungen wie Bitcoin oder Ethe­reum künftig von der regulatorischen Seite her an den Kragen geht.“