Hamburg. Shell-Deutschland-Chef Fabian Ziegler will das Unternehmen mit Blick auf den Klimawandel umbauen und macht Hamburg ein Angebot.
Seit Anfang 2020 leitet Fabian Ziegler das Deutschland-Geschäft von Shell. Der 54-jährige hat die Führungsposition in einer spannenden Phase übernommen. Schließlich geht es darum, das Unternehmen mit Blick auf den Klimawandel und CO2-Emissionen komplett umzubauen. Wie soll das geschehen? Eine Herausforderung!
Hamburger Abendblatt: Wie fühlt es sich an, Deutschland-Chef eines mit Blick auf den Klimaschutz in der Öffentlichkeit so unbeliebten Mineralölkonzerns zu sein?
Fabian Ziegler: Zunächst einmal verstehen wir uns nicht mehr als Mineralölunternehmen, sondern als Energieanbieter. Wir sehen uns als Dekarbonisierungspartner der Wirtschaft und der Gesellschaft – und dafür finden wir gerade in Deutschland mit die besten Voraussetzungen. Insofern fühle ich mich in dieser Rolle großartig, denn es gibt wenige Aufgaben, die so relevant sein wie die, die wir uns vorgenommen haben.
Die Shell-Gruppe wurde jüngst in Den Haag dazu verurteilt, ihren CO2-Ausstoß bis 2030 deutlich zu verringern. Geklagt hatten Umweltschützer. Was sagen Sie zu dem Urteil?
Ziegler: Im ersten Moment war ich geschockt. Wenn man sich etwas eingehender mit der Materie befasst, wird aber klar: Die Kläger haben sich ein einzelnes Unternehmen herausgepickt und an den Pranger gestellt. Das hilft dem Klima nicht. Außerdem argumentierten die Kläger mit Fakten, die aus der Zeit vor der Formulierung unser neuen Konzernstrategie – bis 2050 das Ziel der CO2-Neutralität zu erreichen – stammen. Klar ist aber ebenso: Die Welt muss im Hinblick auf den Klimaschutz mehr tun, und auch Shell muss mehr tun. Darum verstehen wir das Urteil, das zunächst wehgetan hat, eher als zusätzliche Motivation auf unserem Veränderungskurs.
Wie wird sich das Urteil auf die Klimaziele von Shell konkret auswirken?
Ziegler: Bisher hatten wir uns vorgenommen, die CO2-Emissionen des Unternehmens und seiner Produkte bis zum Jahr 2030 um 20 Prozent zu senken und bis 2035 um 45 Prozent. Im Moment rechnen wir durch, ob noch mehr machbar ist. Außer Frage steht, dass sich der Konzern, dessen Energieprodukte heute noch zu 90 Prozent aus fossilen Quellen stammen, dramatisch verändern muss, um solche Ziele zu erreichen.
Sie haben kürzlich gesagt, dass Shell bis 2050 in Deutschland keine fossilen, flüssigen Brennstoffe mehr verkaufen wird. Was wird das Unternehmen noch verkaufen – und wie wird eine Tankstelle dann aussehen?
Ziegler: An Industriekunden verkauft Shell dann unter anderem Wasserstoff, Schmierstoffe, die auch für die Elektromobilität eine wichtige Rolle spielen, außerdem Spezialchemie-Produkte. Und natürlich gibt es weiterhin Kraftstoffe – sowohl aus Biomasse wie auch auf Grünstrom-Basis erzeugt. Unsere Shop-Angebote an den Stationen werden wir weiterentwickeln. Wir können uns gut vorstellen, dass die Tankstelle der Zukunft mehr Charme hat als heute.
Bis wann wird Shell an allen rund 2000 Tankstellen in Deutschland auch Ladesäulen für E-Autos einrichten?
Ziegler: Bis Ende 2021 werden wir an 110 Tankstellenstandorten insgesamt 240 Schnellladepunkte haben, im Hamburger Stadtgebiet sind jetzt schon 16 von 50 Stationen damit ausgerüstet. Bis 2030 sollen es bundesweit 3000 Ladepunkte an 1000 Stationen sein.
Dauert es nicht selbst mit einer Schnellladesäule noch viel zu lange, ein Elektroauto aufzuladen?
Ziegler: Ich fahre selbst ein Elektroauto und muss sagen: Die Kundenerfahrung ist in dieser Hinsicht noch nicht perfekt. Aber sie wird sich noch signifikant verbessern. Schon mit den Schnellladesäulen, die wir jetzt an unseren Stationen installieren, kann man Strom für 80 Prozent der Reichweite in 15 bis 20 Minuten laden. Künftig dürfte sich die Ladezeit weiter an die bisher gewohnte Dauer für eine Tankfüllung annähern. Allerdings gehen wir davon aus, dass nur jeder fünfte Ladevorgang an einer Tankstelle erfolgen wird. Darum haben wir etwa mit unserer Tochter New Motion auch Angebote für Privat- und Geschäftspersonen, die ihr E-Auto zu Hause, bei der Arbeit oder unterwegs laden möchten, im Programm. Unsere Tochterfirma Sonnen produziert Batteriespeicher, über die man das Elektrofahrzeug mit Strom aus einer eigenen Fotovoltaikanlage laden kann – das nutze ich auch selbst. Und eine andere Tochtergesellschaft, die Firma Ubitricity aus Berlin, hat eine Lösung entwickelt, mit der Straßenlaternen zu Ladesäulen werden. Wir sind Feuer und Flamme, das auch in Hamburg anzubieten; und würden uns über entsprechende Ausschreibungen von Stromnetz Hamburg freuen.
Können Sie dieses Modell näher erläutern?
Ziegler: An der bestehenden Straßenlaterne wird ein Modul befestigt, das dann über ein Standard-Ladekabel den Strom für das Auto liefert. Der Fahrer muss nur mit dem Smartphone einen QR-Code scannen, dann genügen wenige Klicks. Die Umrüstung einer Laterne ist drei- bis viermal günstiger als die Errichtung einer neuen Ladesäule, weil der Stromanschluss ja schon da ist. Das ist ohne allzu großen Aufwand möglich, wie erste Anwendungsbeispiele in Großbritannien und in Frankreich zeigen.
Shell stattet derzeit immer mehr Tankstellen auch mit Zapfsäulen für verflüssigtes Erdgas aus. Erdgas aber wird unter anderem mittels Fracking gefördert. Widerspricht das nicht den Nachhaltigkeitszielen?
Ziegler: LNG ist nicht mit Fracking-Gas gleichzusetzen. Der Großteil des LNG, das importiert wird, stammt aus Ländern wie Norwegen und Katar, wo Fracking nicht zum Einsatz kommt. Für uns ist Erdgas ein Übergangs-Energieträger. Auch er dient der Dekarbonisierung, vor allem wenn man damit Kohle als Energieträger ersetzt. Als Kraftstoff für Lkw verursacht LNG bis zu 22 Prozent weniger CO2-Emissionen als Diesel. Auf längere Sicht kann dafür aber Wasserstoff, erzeugt aus Grünstrom, eingesetzt werden. Gerade haben wir dazu eine Kooperationsvereinbarung mit Daimler unterzeichnet. Bis 2024 will Shell zwischen den drei Wasserstoff-Produktionsstandorten Rotterdam, Köln und Hamburg ein Tankstellennetz errichten, für 2025 ist die Auslieferung der ersten Wasserstoff-Lkw von Daimler geplant. Wir sind also ganz vorne mit dabei.
Welche Bedeutung wird Wasserstoff künftig für Shell haben – und wofür wird man diesen Energieträger einsetzen?
Ziegler: Wir glauben fest daran, dass Wasserstoff für uns ein richtig großes Geschäft wird. Und wir wollen ganz deutlicher Marktführer in Deutschland werden. Wasserstoff eignet sich aus meiner Sicht für alles, was schwer ist: für die Industrie, für den Antrieb von Lkw, längerfristig auch für Schiffe und Flugzeuge. Nicht zufällig gehört Shell zu dem Konsortium, das bis 2025 einen Wasserstoff-Elektrolyseur mit einer Kapazität von mindestens 100 Megawatt in Moorburg aufbauen will. Hamburg bietet perfekte Voraussetzungen, denn es ist alles da: Der Grünstrom wird quasi vor der Haustür erzeugt, die Kundschaft ist am Ort – Industriefirmen wie das Stahlwerk, die Schifffahrt, die Logistikwirtschaft, außerdem Airbus.
Die Shell-Unternehmensleitung hatte angekündigt, im Zuge des Konzernumbaus weltweit bis zu 9000 Arbeitsplätze zu streichen. Was bedeutet das für Deutschland und für Hamburg, wo schon in den vergangenen Jahren nach und nach rund 300 Stellen abgebaut wurden?
Ziegler: Der Jobabbau hat vor allem in Regionen mit hoher Öl- und Gasförderung stattgefunden. Dieser Geschäftszweig spielt in Deutschland eher keine Rolle, daher sind wir vergleichsweise gut durchgekommen. Dazu gehört auch, dass hier seit 2020 rund 150 Arbeitsplätze in unseren Zukunftsfeldern neu geschaffen wurden. Wir wollen ja weg vom Schrumpfen und hin zum Wachsen.
Wie hat sich die Corona-Krise auf Shell in Deutschland ausgewirkt? Mussten Sie Kurzarbeit anmelden?
Ziegler: Die Pandemie hat unser Geschäft brutal getroffen. Die Kraftstoffnachfrage hat 2020 zeitweise um 60 bis 70 Prozent nachgelassen, beim Flugtreibstoff ging es um 90 Prozent nach unten. Kurzarbeit haben wir trotzdem nie angemeldet. Zuletzt hat sich die Nachfrage deutlich erholt, bei Benzin und Diesel liegen wir aber noch unter dem normalen Niveau.