Hamburg. Reiseveranstalter ignorieren bei Corona-bedingten Rückerstattungen häufig Rechte der Kunden. Wie sich Betroffene wehren können.

Auf die Kreuzfahrt rund um England und Irland hatten sich die Hamburger lange gefreut. Endlich einmal wieder ein Tapetenwechsel, Scones statt Franzbrötchen und sich an Bord den Salzduft der Nordsee um die Nase wehen lassen. Doch dann stiegen die Corona-Zahlen und die Reise wurde wegen der Inzidenzentwicklung von der Tui abgesagt. Nicht nur das: Anfang Juni hatte der Reiseveranstalter zugesagt, das Geld für die Buchung zu überweisen, doch bis heute wartet die Familie aus Lokstedt auf die Rückerstattung.

Viele Hamburger stehen derzeit vor ähnlichen Problemen: Immer mehr Länder sind auf dem Höhepunkt der Urlaubssaison wieder zu Hochinzidenzgebieten geworden, und die Beschränkungen – hauptsächlich für Nicht-Geimpfte – erschweren die Ferienfreuden. Die Verschärfungen gelten ausgerechnet auch für die derzeit beliebten Destinationen wie die Balearen, die griechischen Inseln oder die Türkei.

Was sollten Kunden tun, die nicht reisen können oder wollen, oder deren Buchung wie im Fall der Tui-Kreuzfahrt vom Veranstalter gekündigt wurde? Welche Versicherungen greifen? Das Abendblatt beantwortet wichtige Fragen rund um die Rechte der Urlauber.

Wann dürfen Urlauber Pauschalreisen kostenlos stornieren?

Grundsätzlich gilt: Eine kostenlose Stornierung von Pauschalreisen ist in der Regel möglich, wenn ein Land als Risikogebiet eingestuft wird. Verbraucher sollten sich dabei an den Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes orientieren, empfiehlt die Verbraucherzentrale Niedersachsen. Doch diese Einschätzung hat sich während der Pandemie verändert. Letztendlich ausschlaggebend für eine kostenlose Stornierung sei „die juristische Frage, ob außergewöhnliche, unvermeidbare Umstände vorliegen“, erklärt das Auswärtige Amt.

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Wie ist diese Lage derzeit zu beurteilen?

Beispiel Spanien, das zum Hochinzidenzgebiet erklärt wurde. Ergibt sich aus dieser Hochstufung das Recht, die gebuchte Pauschalreise ohne Stornogebühren abzusagen? Die kurze Antwort: Das kann durchaus möglich sein. Aber eine höchstrichterliche Entscheidung gibt es dazu noch nicht. Ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände vorliegen, wie es das Pauschalreiserecht vorsieht, ist umstritten. Eine Reisewarnung gilt als starkes Indiz für außergewöhnliche Umstände.

Vor der Pandemie bedeutete die Warnung der Bundesregierung de facto ein kostenloses Stornorecht. Als aber lange Zeit jedes Corona-Risikogebiet eine Reisewarnung bekam, änderte sich dieser Automatismus. Mittlerweile kommt es auch darauf an, ob die Reisewarnung schon zum Zeitpunkt der Buchung bestand. Dann ergibt sich nach Ansicht mancher Gerichte nicht unbedingt ein kostenloses Rücktrittsrecht. Denn das Risiko war von Anfang an bekannt. Dieser Auffassung schließt sich auch das Europäische Verbraucherzentrum Deutschland (EVZ) an.

Was heißt das nun konkret für Spanien?

Die Reisewarnung ist ein Indiz für außergewöhnliche Umstände, aber nicht das einzige. Die vom Gesetz geforderten unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände müssen laut EVZ objektiv gegeben sein und auch noch zum Zeitpunkt der Reise bestehen. Entscheidend sei die Situation vor Ort. Erster Faktor: Für Spanien wird nun formal erneut eine Reisewarnung ausgesprochen. Die Warnungen waren für einfache Risikogebiete aufgehoben worden, nicht aber für Hochinzidenzgebiete.

Zweiter Faktor: Ungeimpfte Urlauberinnen und Urlauber müssen laut der geltenden Einreiseverordnung der Bundesregierung mindestens fünf Tage in Quarantäne, wenn sie aus einem Hochrisikogebiet heimkehren. Die notwendige zweite Impfung, um diesem Szenario zu entgehen, lässt sich in der Regel auch nicht einfach vorziehen. Und Kinder unter zwölf Jahren können sich ohnehin nicht impfen lassen. Nach Ansicht des EVZ dürfte dieser Punkt aber nicht in die Beurteilung einfließen, weil die Quarantäne erst zu Hause ansteht. Es gibt aber auch Juristen, die in einer unabwendbaren Quarantäne eine Störung der Geschäftsgrundlage nach Paragraf 313 BGB sehen. Hier bleibt abzuwarten, wie Gerichte das bewerten werden.

Dritter Faktor: Angesichts der hohen Fallzahlen in Spanien besteht ein höheres Corona-Infektionsrisiko. Zudem führen die Behörden wieder strengere Maßnahmen ein. „Das sind alles Faktoren, mit denen Urlauber bei der Buchung ihrer Spanien-Reise noch nicht rechnen mussten“, sagt der Reiserechtler Paul Degott aus Hannover. Sich als Reiseveranstalter auf die bekannte Gefahr durch Corona zu berufen, reicht seiner Ansicht nach nicht.

Degotts Einschätzung lautet daher: „Pauschalurlauber haben eher gute Chancen, kostenlos von ihrer Reise zurücktreten zu können.“ Das EVZ sieht das ähnlich: „Reisende können aus unserer Sicht kurz bevorstehende Pauschalreisen in Länder, für die eine Reisewarnung ausgesprochen wird, grundsätzlich unter Berufung auf außergewöhnliche Umstände kostenlos stornieren.“

Was bedeutet eine kurz bevorstehende Reise?

Das heißt hier: ungefähr ab vier Wochen vor Reiseantritt, betont das EVZ. Anders beurteilt das die Reisewirtschaft: „Die Hochstufung eines Zielgebietes in ein Hochinzidenzgebiet begründet aus Sicht des Deutschen Reiseverbands nicht automatisch das Recht auf eine kostenlose Stornierung“, erklärt DRV-Sprecherin Kerstin Heinen und verweist auf das Ausstehen eines höchstrichterlichen Urteils. „Grundsätzlich bemühen sich die Reiseveranstalter, individuelle, kundengerechte Lösungen herbeizuführen“, ergänzt Heinen.

Was passiert, wenn der Veranstalter die Reise absagt

Kann ein Veranstalter die Reise nicht mehr wie geplant stattfinden lassen, muss er laut Verbraucherzentrale Niedersachsen die Kosten komplett zurückerstatten.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Und wenn die Rückerstattung nicht kommt?

Normalerweise muss das Geld innerhalb von 14 Tagen zurückgezahlt werden, sagt Thomas Laske, Jurist bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Doch teilweise dauere es derzeit sechs Monate, bis die Überweisung auf dem Konto sei. Dabei helfe nur, den Veranstalter immer wieder auf die eigenen Rechte hinzuweisen, rät Laske. „Beharrlichkeit zahlt sich aus“.

Wie sieht es mit Gutscheinen aus?

Die Internetseiten vieler Reiseveranstalter und Fluggesellschaften vermittelten bisher den Eindruck, als hätten Kunden nur die Wahl zwischen einem Gutschein und einer Umbuchung. Das ist laut Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) aber Verbrauchertäuschung. Tatsächlich sei der Anspruch auf eine Erstattung nach dem Gesetz vorrangig.

Wie genau fordere ich mein Recht ein?

Es gibt Musterbriefe, etwa vom ADAC, die Kunden im Dialog mit den Reiseveranstaltern nutzen können, wenn das Geld für eine Pauschalreise nicht zurückgezahlt wird und/oder nur ein Gutschein oder Umbuchung angeboten wird. Die Formulare sind zu finden unter https://www.adac.de/-/media/pdf/rechtsberatung/musterschreiben-rueckerstattung-pauschalreisekosten.pdf

oder unter https://www.verbraucherzentrale.de/sites/default/files/2020-05/Musterbrief_wg_Corona_stornierte_Pauschalreise.pdf

Was erleben Kunden derzeit?

Airlines und die Veranstalter von Pauschalreisen sind zu schnellen Erstattungen verpflichtet, wenn ihre Leistungen etwa wegen Corona nicht in Anspruch genommen werden können. Bei Reisen gilt eine Frist von 14 Tagen, die Kosten für stornierte Flüge müssen sogar innerhalb einer Woche zurückgezahlt werden.

 Das haben viele Unternehmen in der Coronakrise zuletzt aber nicht gemacht – etwa, weil sie finanziell angeschlagen sind. Bei der Verbraucherzentrale Hamburg beschweren sich derzeit etliche Kunden, dass sie ihr Geld nicht zurückbekommen. Diese Probleme bezögen sich nicht auf bestimmte Veranstalter, sagt Thomas Laske, sondern beträfen die gesamte Branche.

Wie reagieren die Veranstalter?

„Im Falle von Hochinzidenzgebieten bieten wir die Reisen weiter an und der Gast entscheidet, ob er reisen möchte oder das Angebot einer kostenlosen Umbuchung bzw. Stornierung nutzt und sich das Geld zurückerstatten lässt“, so Tui. Automatische Reiseabsagen erfolgten nur bei Virusvariantengebieten.

Was sagen die Airlines?

Bei Ryanair versichert die Pressestelle, dass die Fluggesellschaft sich an die EU-Gesetze halte, wonach bei ausgefallenen Flügen je nach Wunsch der Passagiere eine Rückerstattung, Umbuchung oder ein Gutschein anfalle. „Wir erstatten die Flugtickets in der Regel innerhalb von sieben Tagen“, heißt es bei Easyjet, und weiter: „Die überwiegende Mehrheit der Kunden kann ihre Buchungen online selbst verwalten und dort eine Umbuchung, einen Gutschein oder eine Rückerstattung beantragen“.

Alle Kunden, die aufgrund von Reisebeschränkungen nicht fliegen können – unabhängig davon, ob die Flüge gestrichen wurden oder weiterhin stattfinden – , können ihre Flüge kostenlos auf ein späteres Datum umbuchen oder einen Gutschein oder eine Rückerstattung erhalten, teilte Easyjet weiter mit. Bei Eurowings hängen die Bedingungen vom Zeitraum ab.

„Zum einen können Passagiere ihren Flug ohne zusätzliche Gebühr beliebig oft umbuchen – dies ist sogar bis 40 Minuten vor Abflug möglich (auf einen neuen Flug im Reisezeitraum bis 29. Oktober 2022). Falls sie ihren Flug nicht umbuchen möchten, heißt es bei Eurowings, könnten Passagiere auch einen Voucher anfordern. Diese Option gilt für alle Flüge mit Abflugdatum vor dem 31. August 2021. Der Gutschein muss mindestens sieben Tage vor Abflug angefordert werden und ist ab Ausstellungsdatum drei Jahre lang gültig.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Wie läuft es bei Kreuzfahrten?

„Wenn eine Reise aufgrund von Corona abgesagt werden muss“, heißt es bei Hurtigruten, „erhalten unsere Gäste den gezahlten Reisepreis zurück, oder können auf eine spätere Reise umbuchen“. Die Rückerstattung des Reisepreises erfolge in der Regel innerhalb weniger Wochen. „In Ausnahmefällen kann dies aktuell bis zu vier Wochen dauern“, teilt der Norwegen-Spezialist mit.

Was gilt bei Individualreisen?

Können Urlauber ihr Ziel wegen geltender Reisebeschränkungen, eines Einreiseverbots oder der Lage der Unterkunft im Sperrgebiet nicht erreichen, können sie nach deutschem Recht ihre Unterkunft stornieren und ihr Geld zurückverlangen. Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts führt laut der Verbraucherzentrale Niedersachsen aber nicht automatisch dazu, dass eine Unterkunft nicht erreichbar ist. Hier sei im Einzelfall zu prüfen, ob der Kunde sein Geld zurückverlangen kann. Wurde die Unterkunft bei ausländischen Anbietern gebucht, gilt in der Regel dortiges Recht.

Wann greift eine Reiserücktrittsversicherung?

Die Versicherung schützt Reisende, die ihren Urlaub überraschend doch nicht antreten können, vor hohen Stornierungsgebühren. Allerdings kommt es auf den Grund für den Reiserücktritt an. Die Versicherung zahlt nicht, wenn zum Beispiel kurzfristig eine Reisewarnung für das Urlaubsziel ausgesprochen wird oder dort ein neuer Lockdown inklusive Ausgangssperre angeordnet wird.

Worauf sollte ich beim Abschluss der Versicherung achten?

Wer dennoch eine Reiserücktrittsversicherung abschließen möchte, sollte zu Corona-Zeiten darauf achten, dass diese auch die Folgen einer Pandemie absichert. Der Bdv schätzt, dass nur rund ein Drittel der Tarife einen weitgehenden Versicherungsschutz in Pandemiefällen vorsieht.

Es sei in den Vertragsbedingungen darauf zu achten, welche Umstände von der Versicherung ausgeschlossen sind - in der Regel zu finden unter dem Stichwort Ausschlüsse. „Wenn darunter „Pandemie“ zu finden ist, bin ich nicht mehr gesichert, wenn ich an Covid-19 erkranken sollte“, warnt Birgit Brümmel, Expertin für Reiseversicherungen bei der Stiftung Warentest.