Hamburg. Reedereien sprechen von CO2-Verringerungen um bis zu 15 Prozent schon bei heute verfügbaren Techniken.
Mehr als 60 Jahre ist es inzwischen her, dass große Frachtsegler wie die in Hamburg gebauten Viermaster „Passat“, „Pamir“ und „Peking“ nicht mehr auf den Handelsrouten der Weltmeere kreuzen. Doch angesichts der schnell wachsenden Bedeutung des Klimaschutzes greift die Schifffahrt künftig wieder stärker auf die unerschöpfliche Kraft des Windes zurück – und Wissenschaftler aus Hamburg tragen dazu bei.
Einer von ihnen ist Michele Acciaro, Professor an der Kühne Logistics University (KLU) in der HafenCity. Er arbeitet an dem länderübergreifenden Projekt „Wasp“ (für: Wind Assisted Ship Propulsion), das die Wirtschaftlichkeit verschiedener Formen von Wind-Zusatzantrieben für Fracht- und Passagierschiffe untersuchen soll. „Seit zehn bis 15 Jahren gibt es Versuche mit unterschiedlichen Techniken und ich bin recht optimistisch, dass sie zu signifikanten Treibstoffeinsparungen im Seetransport führen können“, sagt Acciaro.
Treibstoffeinsparungen im Seetransport: Große Verringerung des Verbrauchs erwartet
„Wir gehen von einer Verringerung des Verbrauchs um rund 15 Prozent aus“, sagt Anna Braren, Geschäftsführerin der Reederei Rörd Braren aus Kollmar bei Glückstadt. Seit April ist der 87 lange Mehrzweckfrachter „Annika Braren“ mit einem so genannten Rotorsegel ausgestattet. Nach Angaben der Interessengemeinschaft „International Windship Association“ (IWSA) sind aktuell weltweit ein Dutzend große Schiffe mit zusätzlichen Windantrieben im Einsatz. Etwa die Hälfte von ihnen – auch die „Annika Braren“ – ist in das von der Europäischen Union (EU) geförderte Wasp-Projekt einbezogen worden. Mehrheitlich nutzen sie ebenfalls Rotorsegel.
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Entwickelt bereits vor hundert Jahren vom deutschen Ingenieur Anton Flettner, beruht diese Technik auf einer hohen Säule, die durch einen Motor (heute elektrisch angetrieben) in Drehung versetzt wird. Kommt der Wind von der linken Seite des Schiffs, lässt man die Rotorsäule rechtsherum drehen.
Dadurch wird die anströmende Luft auf der zum Bug hin gerichteten Seite der Säule beschleunigt und auf ihrer hinteren Seite abgebremst. Eine höhere Strömungsgeschwindigkeit bringt aber eine Absenkung des Luftdrucks mit sich und dieser Druckunterschied zieht die Rotorsäule – und damit das gesamte Schiff – nach vorne.
Auch ein Ableger von Airbus mischt in dem Markt mit
Kommt der Wind von der rechten Seite, dreht man den Rotor linksherum, der Effekt ist dann der gleiche. Bei Wind von vorne oder von hinten lässt sich kein Vortrieb erzielen, das Schiff müsste in diesem Fall „kreuzen“ wie ein Segelboot bei Gegenwind.
Auf der „Annika Braren“ ist der aus glasfaserverstärktem Kunststoff bestehende Rotorzylinder 18 Meter hoch, der Durchmesser beträgt drei Meter. Einschränkungen im Betrieb ergeben sich laut Anna Braren kaum: „Geschlossene Docks, die wegen der Deckenhöhe ein Problem sein könnten, nutzen wir ohnehin nicht. Und die geringfügige Sichtbehinderung direkt nach vorn lässt sich beheben, wenn man auf der Brücke wenige Meter zur Seite tritt.“
Das gesamte Investment einschließlich des Einbaus auf dem Schiff lag bei rund 700.000 Euro. „Wir rechnen damit, dass sich dieser Betrag nach fünf bis sechs Jahren durch Treibstoffeinsparungen amortisiert hat“, sagt Anna Braren. „Wir haben uns vorgenommen, ein Jahr Erfahrungen mit der Technologie zu sammeln, können uns aber vorstellen, dann weitere unserer elf Schiffe damit auszustatten.“
Rotorsegel seien innerhalb weniger Tage am Schiff nachrüstbar
Seit Mai 2020 fährt auch die Hybridfähre „Copenhagen“ der deutsch-dänischen Reederei Scandlines auf der Route zwischen Rostock und Gedser mit der Unterstützung eines Rotorsegels. Schon der hybridelektrische Antrieb soll den Verbrauch um 15 Prozent senken, von dem Flettner-Rotor erwartet sich Reedereichef Søren Poulsgaard Jensen weitere vier bis fünf Prozent CO2-Reduktion. „Auch eine solche Größenordnung ist keineswegs vernachlässigbar“, sagt Experte Acciaro.
Ein Rechenbeispiel verdeutlicht das: Würde der CO2-Ausstoß einer Flotte von nur zehn mittelgroßen Massengutfrachtern um fünf Prozent gesenkt, entspräche die Einsparung etwa den jährlichen Emissionen von 3600 Mittelklasseautos. Dabei seien Rotorsegel innerhalb weniger Tage und ohne allzu große Veränderungen am Schiff nachrüstbar, weiß der KLU-Experte. „Allerdings ist dafür Platz auf Deck erforderlich. Damit sind Tanker, Massengutfrachter oder Passagierschiffe besser für die Umrüstung geeignet als zum Beispiel Containerschiffe“, erklärt Acciaro.
Am Wasp-Projekt nehmen auch die beiden niederländischen Reedereien Boomsma und van Dam Shipping teil, die beide auf eine etwas andere Form der Windunterstützung setzen: Die von ihnen erprobten so genannten „VentiFoils“ sehen aus wie sehr dicke Tragflächen, die Luft durch kleine Löcher einsaugen und so dafür sorgen, dass die Strömung dicht anliegt und einen möglichst kräftigen Vortrieb erzeugt. Boomsma erwartet eine Treibstoffersparnis von etwa zehn Prozent und van Dam Shipping geht davon aus, dass sich die Investition schon nach etwa drei Jahren bezahlt gemacht hat.
Regierungen weltweit seien gefragt
Bereits im Jahr 2001 ist in Hamburg die Firma SkySails gegründet worden, die einen automatisch gesteuerten Zugdrachen für Schiffe entwickelt hat. Erfolg hatte SkySails damit jedoch nicht. Wie Unternehmensgründer Stephan Wrage eingestand, kam das Produkt zur falschen Zeit auf den Markt – mitten in der schweren Schifffahrtskrise. „Außerdem muss die Besatzung geschult werden, um mit diesem System richtig umgehen zu können, und das schadete der Akzeptanz bei den Schiffsbetreibern“, sagt Acciaro. Wrage fand aber eine andere Anwendungsmöglichkeit für seine Drachen, die nun als Höhenwindenergieanlagen zur Stromerzeugung vermarktet werden.
Trotz der schmerzlichen Erfahrung von SkySails wirbt die Firma Airseas aus Toulouse, eine Ausgründung von Airbus, heute mit dem gleichen Prinzip: Ein autonom fliegender Drachen soll Handelsschiffe ziehen und 20 Prozent des Treibstoffs einsparen.
Damit sich Technologien zum windunterstützten Schiffsantrieb wirklich durchsetzen können, sind nach Einschätzung von Acciaro aber auch die Regierungen weltweit gefragt. „Es ist immer mit Risiken verbunden, in großem Stil in eine neue Technologie zu investieren“, sagt der Wissenschaftler. „Dafür muss es Anreize geben. Unternehmen wollen nicht gegenüber Wettbewerbern, die noch abwarten, zunächst in einen Nachteil geraten.“
Das Potenzial der neuen Technik ist riesig
In der Schifffahrt gelte dies wegen ihrer Struktur ganz besonders: „Die Schiffseigner sind sehr häufig nicht die Betreiber, aber auch diese tragen die Treibstoffkosten nicht selbst, sondern geben sie an die Eigentümer der transportierten Ware weiter.“
Wenn auf der Ebene von Regierungen und internationalen Organisationen die Weichen aber richtig gestellt würden, hätten windunterstützte Schiffsantriebe aber gute Perspektiven, glaubt Acciaro: „Bis 2030 könnten etwa 30 Prozent der Weltflotte mit einer solchen Technik ausgerüstet sein.“ Eine von der EU in Auftrag gegebene Studie kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. Demnach sind bis 2030 bis zu 10.700 Installationen möglich – und laut Airseas gibt es heute weltweit 28.000 große Schiffe (Bruttoraumzahl mindestens 5000).
Der KLU-Experte kann sich sogar vorstellen, dass sich in Zukunft ein „kleiner Nischenmarkt“ für reine Frachtsegler entwickeln kann, wenn Verbraucher zunehmend besorgt wegen der Klimaauswirkungen des Konsums seien. Zwei schwedische Unternehmen, der Schiffsentwickler Wallenius Marine und der Technologiekonzern Alfa Laval, wollen nicht so lange warten. Sie haben kürzlich beschlossen, gemeinsam einen Autofrachter namens „Oceanbird“ zu entwerfen, der immerhin 90 Prozent der Antriebsenergie mittels gigantischer fester Segel erzeugt.