Hamburg. Allein sind sie zu langsam: In Lauenburg lernt ein Roboter das Busfahren. Asklepios plant, sie in den Zug nach Sylt zu setzen.

Noch vor wenigen Jahren galten sie als ein Teil der Zukunft bei den Liefer- und Paketdiensten in Deutschland. Und in Hamburg war die Bereitschaft, die innovative Technologie mindestens auszuprobieren, besonders stark ausgeprägt.

Der Paketdienst Hermes ließ einen mit kleineren Sendungen bestückten sechsrädrigen Lieferroboter über die Bürgersteige von Ottensen zu den Empfängern rumpeln. Die Pizzakette Domino’s schickte von der Filiale an der Stresemannstraße aus warme Speisen an Kunden in der näheren Umgebung. Im Schritttempo.

Nach Tests in Hamburg: Roboter sind nicht die beste Lösung

Das ist einige Jahre her und seitdem ist es still geworden um die wie von Geisterhand gesteuert durch die Straßen der Stadt rollenden Gefährte. „Wir haben wichtige Erkenntnisse gewonnen“, verkündeten Hermes und Domino’s nach Ende ihrer auf mehrere Monate angelegten Pilotprojekte. Das war das offizielle Statement. Hinter vorgehaltener Hand hieß es: Die Erkenntnis der Probeläufe war, dass die Roboter – ebenso wie Paketdrohnen – derzeit nicht wirklich hilfreich dabei sind, die Zustellung von was auch immer auf der sogenannten letzten Meile zum Endkunden zu erledigen. Sie sind nicht die beste Lösung für irgendeines der Probleme, die die Zustelldienste dabei haben.

Die Visionen, dass schon in wenigen Jahren Heerscharen von selbstständig navigierenden Mini-Lieferfahrzeugen auf den hiesigen Radwegen und Bürgersteigen unterwegs sein würden, haben sich als zumindest verfrüht erwiesen. Die Zustelldienste investierten stattdessen in E-Bikes und elektrisch angetriebene Transporter für ihre Beschäftigten und knüpften das Netz ihrer Paketshops sowie von automatisierten Abholstationen engmaschiger.

Roboter dürfen in Hamburg ohne Aufpasser ausliefern

Da und dort in Hamburg werden die sechsrädrigen Gefährte mit den Ausmaßen einer Kühlbox für die ganze Familie dennoch immer noch gesichtet. Die 2014 in Estland gegründete Firma Starship betreibt weiterhin ihre Niederlassung in Eimsbüttel und bietet Geschäftsinhabern im Stadtteil die Dienste ihrer Fahrzeuge an. Bisweilen werden Lieferroboter gesichtet, die etwas unschlüssig an Fußgängerüberwegen abwarten, ob die Autos auf der Straße tatsächlich auch für Nicht-Humanoide stoppen. Schon seit dem Jahr 2019 müssen die Starship-Roboter während ihrer Fahrten in der Stadt Hamburg nicht mehr von einem menschlichen Aufpasser begleitet werden.

Gut 50 Kilometer weiter östlich wird derweil bereits ein neues Kapitel in der Entwicklung der autonomen Auslieferung aufgeschlagen. Forscher der Technischen Universität Hamburg (TUHH) bringen in der Altstadt von Lauenburg einem Roboter namens Laura bei, unfallfrei in einen Bus zu rollen, ohne dabei die anderen Fahrgäste zu behelligen.

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An Universitäten bringen Roboter Kaffee und Snacks

Tatsächlich ist das Thema Lieferroboter weltweit noch keineswegs zu den Akten gelegt. So gab der weltgrößte Online-Händler Amazon unlängst bekannt, dass er im finnischen Helsinki ein weiteres Entwicklerteam aufbaut, dass den eigenen Lieferroboter namens Scout optimieren soll. Auch chinesische und weitere US-amerikanische Tech-Unternehmen entwickeln ihre Lösungen teils in Kooperation mit Paketdiensten weiter.

Starship gab im Frühjahr bekannt, die Zahl der Auslieferungen sei während der Corona-Pandemie sprunghaft gestiegen und habe inzwischen weltweit die Marke von 1,5 Millionen überschritten. In den Vereinigten Staaten von Amerika sind die Roboter jetzt vielfach auf dem Campus von Universitäten unterwegs, bringen Kaffee und Snacks aus der Mensa zu Dozenten und Studierenden.

Öffentlicher Raum birgt für Roboter Gefahren

Der Einsatz auf Firmengeländen und anderen Privatgrundstücken wie einem Uni-Campus hat einen entscheidenden Vorteil: Die autonomen Lieferanten bewegen sich auf einem begrenzten Terrain, das sie kennen oder jedenfalls schnell kennenlernen können. Im öffentlichen Raum hingegen – und insbesondere in bislang unbekannter Umgebung – können schon ein hoher Kantstein oder ein tiefes Schlagloch die Roboterfahrt jäh stoppen.

Oder übergriffige Mit-Passanten. Starship-Mitgründer Ahti Heinla, berichtete dem Wirtschaftsmagazin „Business Insider“ bereits vor einigen Jahren, Roboter seien mit Fußtritten traktiert worden. Aus Ottensen sind Beschwerden genervter Mütter überliefert, deren Nachwuchs nach dem unverhofften Auftauchen des Fahrzeugs in nachhaltigen Kreischalarm verfiel.

Asklepios lässt Starship-Roboter zwischen Kliniken pendeln

„Es gibt weiterhin regelmäßig Anrufer, die die Sichtung eines Roboters melden oder nachfragen, ob das seine Richtigkeit hat“, sagt Asklepios-Sprecher Matthias Eberenz. Der Klinikbetreiber setzt die Starship-Roboter regelmäßig in Hamburg ein.

Kurz vor Weihnachten 2020, während einer der Corona-Wellen, in denen manche Menschen die eigene Wohnung nur noch ungern verließen, startete ein kontaktloser Lieferdienst für PCR- und Antigentests. Kunden konnten sich den Testkit vom Roboter anliefern lassen, erhielten per Videokonferenz eine Anleitung zur Anwendung und gaben den Test dem Roboter mit, der ihn zur Auswertung ins Asklepios-Labor Medilys auf dem Gelände des AK Altona kutschierte. Weil bald darauf allenthalben Testzentren entstanden, ist der Service inzwischen eingestellt.

Asklepios-Labor Medilys setzt Lieferroboter von Starship Technolgies ein, um im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel COVID-Tests auszuliefern.
Asklepios-Labor Medilys setzt Lieferroboter von Starship Technolgies ein, um im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel Covid-Tests auszuliefern. © Medilys

Dafür lässt Asklepios seit Ende Februar Starship-Roboter zwischen den Standorten Heidberg und Ochsenzoll seines Klinikums Nord pendeln. Sie transportieren Blutproben, medizinische Tests und eilige Medikamente und sind nach 30 Minuten am Ziel. Beim Klinikkonzern sieht man Potenzial für mehr: „Für die Zukunft stellen wir uns vor, dass die Lieferroboter rund um mehrere unserer Klinikstandorte nördlich der Elbe im Einsatz sind und Proben zu zentralen Abholstellen bringen, von wo aus sie dann mit dem Auto ins zentrale Medilys-Labor in Altona gebracht werden“, sagt Sprecher Eberenz.

Nutzen Lieferroboter bald U- und S-Bahnen?

Dieser Tage gebe es sogenannte Validierungsfahrten im Stadtteil. Mit ihnen solle festgestellt werden, ob die Qualität medizinischer Proben während einer längeren Fahrt auf rumpeligen Hamburger Bürgersteigen leidet. „Ziel ist es, bis zu 3,5 Stunden und eine Strecke von mehr als sechs Kilometer zu absolvieren“, sagt Eberenz über die derzeit währenden Probefahrten.

Noch im Stadium eines fortgeschrittenen Gedankenspiels sind die weiteren Pläne von Asklepios: „Wir diskutieren auch ernsthaft die Option, dass die Lieferroboter U- und S-Bahnen nutzen. Sie würden sich selbstständig in einen Fahrstuhl begeben, auf den Bahnsteig fahren und dann in ein Zugabteil rollen“, so der Unternehmenssprecher. Vom S-Bahnhof Altona würden sie dann auf den Radwegen Richtung Medilys-Labor auf dem Gelände der Asklepios Klinik fahren.

Asklepios will Roboter in den Zug nach Sylt setzen

Selbst die Roboter eigenständig in Fernzügen etwa nach Sylt zu schicken, sei nicht ausgeschlossen, heißt es. „Auf Sylt haben wir ja ebenfalls eine Klinik. Und die Genehmigung, auf der Insel mit dem Lieferroboter zu fahren, ist uns bereits in Aussicht gestellt worden“, sagt Eberenz. Was Bahn und Hochbahn davon halten, ist einstweilen nicht bekannt. Man habe Kontakt aufgenommen, aber die Rückmeldungen stünden noch aus, so der Asklepios-Sprecher.

Zukunftsmusik? Ja, aber in der Lauenburger Altstadt wird sie bereits orchestriert. Dort erproben Ingenieure der TUHH derzeit einen selbstgebauten Mini-Lieferroboter. Lauenburgs automatisierte Roboter-Auslieferung heißt das Projekt offiziell. Daher der Name Laura des vierrädrigen Gefährts. Es ist kniehoch, eher hoch als breit und verfügt nur über eine flache Schublade als Laderaum. Mehr ist nicht nötig, denn Laura transportiert weder Pizzen noch Pakete, sondern Post zwischen der Stadtverwaltung im Schloss und dem Elbschifffahrtsmuseum unten am Fluss.

Lieferroboter Laura übt in Lauenburg das Busfahren

„Wir betreiben Grundlagenforschung“, sagt Johannes Hinckeldeyn, Oberingenieur am Institut für technische Logistik der Hochschule in Harburg und Technik-Chef des Projekts. Die zentrale Aufgabenstellung ist, Laura die Mitfahrt als Passagier in einem Bus beizubringen– und so ihren Aktionsradius zu vergrößern. Denn aus eigener Kraft schafft der Roboter maximal sechs Kilometer pro Stunde, also die gute Schrittgeschwindigkeit eines Menschen. Das Tempolimit dient auch der Sicherheit auf Fuß- und Radwegen, macht eine Lieferfahrt aber zu einer langwierigen Angelegenheit.

Seit Anfang vergangener Woche wird Laura nun regelmäßig an Lauenburger Bushaltestellen gesichtet. Dort wartet sie auf eines der beiden sogenannten TaBuLa-Shuttle. Die autonom fahrenden Minibusse surren bereits seit 2019 nach einem festen Fahrplan auf einem Rundkurs über die vielbefahrene B5 und die teils kopfsteingepflasterten schmalen und steilen Gassen am Elbhang und in der Altstadt. Auch das ist ein Projekt der TUHH und der Stadt sowie des Verkehrsunternehmens VHH.

Roboter-Testfahrten in Lauenburg sollen bis November gehen

Derzeit dürfen bis zu drei menschliche Passagiere mitfahren – und eben Laura. Sie fährt über die Rampe für Rollstuhlfahrer in den Bus hinein und an der Zielhaltestelle wieder hinaus. Dann geht es mit der Post zur Behörde. „Der Roboter ist technisch so ausgestattet, dass er allein navigieren kann“, sagt Hinckeldeyn. Dennoch wird er in der Anfangsphase von Projektmitarbeitern wie Anton Derda mit einem Joystick ferngesteuert. Geplant sind die Testfahrten des autonomen Roboters im autonomen Kleinbus zunächst bis November. Dann soll Laura schon selbstständiger Ein- und Aussteigen, wird aber immer noch einen menschlichen Aufpasser haben, der eingreift, wenn sie trotz aller Technik Gefahr läuft, einem anderen Fahrgast über den Fuß zu rollen.

Oberingenieur Hinckeldeyn sieht sinnvolle Aufgaben für die Roboter auch außerhalb von Pizza- und Posttransport, er denkt eher an Service- als an Lieferroboter. „Sie könnten eines Tages zum Beispiel selbstständig Straßen und Gebäude kartographieren oder Gebäude und Verkehr überwachen.“

Der erste kommerzielle Masseneinsatz für den Warentransport findet absehbar in China statt. Die Stadtverwaltung von Peking hat kürzlich unter anderem der Internet-Handelsplattform JD.com genehmigt, in einem Teil der Hauptstadt autonom navigierende Gefährte einzusetzen. Die dürfen auf der Straße fahren und bis auf Tempo 15 beschleunigen. Roboter in der Logistikbranche haben offenbar doch noch eine Zukunft – sie beginnt nur etwas später als erwartet.