Hamburg. Holsten, Beiersdorf und die Stadt Hamburg gehören zu den Kunden von design for human nature. Und es gibt weitere spannende Projekte.
Gewerbeflächen und Lagerhallen eingeklemmt zwischen Bahngleisen und Oberhafen, viel Beton und Stein. Von einer Seite versperrt eine Baustelle die Zufahrt. Besonders attraktiv ist das Quartier rund um den Hamburger Großmarkt auf den ersten Blick nicht. Hier wird gehandelt, Obst und Gemüse – insgesamt etwa 1,5 Millionen Tonnen im Jahr. Man braucht eine Menge Fantasie, um sich mittendrin mit einem Trupp von Kreativen niederzulassen. Zwei Hamburger haben genau das getan mit dem Unternehmen design for human nature.
„Wir sind immer auf der Suche nach unentdeckten Räumen, von denen aus etwas entsteht“, sagt Co-Gründer Arne Schultchen. Im Anbau des Kontorhauses am Großmarkt, einem Bürogebäude mit 14 Stockwerken aus dem Jahr 1966, entwickeln sie mit ihrem Unternehmen Ideen. Das passt besser, als man denkt: Oftmals geht es in ihrem Labor um die Zukunft des Handels.
„Einfach und selbstverständlich“
Der gerade abgeschlossene Markenrelaunch der Beiersdorf-Marke Hansaplast, die blauen Mehrweg-Transportboxen für die Fischhändler Deutsche See, die Umgestaltung der Jet-Tankstellen oder das moderne Baumarkt-Konzept Horst stammen aus der Kreativschmiede von Schultchen & Co. Und fast schon legendär ist der Entwurf des Astra-Ankerherzens als Logo für die Biermarke, das inzwischen zu einer Art Ikone geworden ist. „Wir arbeiten so, dass man am Ende denkt, das ist schon immer da gewesen“, sagt der 55-Jährige.
„Einfach und selbstverständlich“ müssten sich die Designs anfühlen. Das Ziel: „Menschen ein besseres, natürlicheres und nachhaltigeres Leben zu ermöglichen“. Gerade haben die Hamburger mit dem kassenlosen Minisupermarkt Teo, den sie für den Lebensmittelhändler Tegut mit Sitz in Fulda erdacht haben, bundesweit für große Aufmerksamkeit gesorgt.
Kreativer Experimentierraum am Großmarkt
Jetzt steht Arne Schultchen vor der offnen Kaffeeküche und trinkt noch schnell einen doppelten Espresso. Vor 25 Jahren hatte der damalige Designstudent an der Hamburger Hochschule für bildende Künste mit seinem inzwischen verstorbenen Geschäftspartner André Feldmann das Studio feldmann+schultchen gegründet. Seit sechs Jahren firmiert das Unternehmen, jetzt mit Stephan Kremerskothen, unter design for human nature.
Der etwas sperrige Name ist zugleich Denkhaltung. Den Flachdachbau am Großmarkt in Hammerbrock, erbaut von Großmarkt-Architekt Bernhard Hermkes, haben die beiden im Einklang mit dem Denkmalschutz zu einen kreativen Experimentierraum umgebaut. Hinter den alten Mahagonitüren verbergen sich offene Büros mit selbst gebauten Tischen, stabil genug zum Hinaufklettern.
Offener Versuchsaufbau
Es gibt gemütliche Loungebereiche, einen Hochsitz, eine Bibliothek, eine Terrasse mit kleinem Garten. „Münztelefon“ steht an einer Tür. Das Telefon in der Zelle gibt es immer noch. In der Werkstatt stehen Laserscanner, 3-D-Drucker, Drehbank und Kreissäge. Das Herzstück aber ist der einstige Auktionssaal, in dem die Händler früher jeden Morgen ganz früh die Waren des Tages ersteigert haben. „Jetzt nennen wir ihn Aktionssaal“, sagt Arne Schultchen.
Und das meint der 1,95-Mann wörtlich. In dem großen Raum, in den durch 24 Glaskuppeln in der Decke Tageslicht fällt, lässt das 20-köpfige Team Entwürfe fassbare Wirklichkeit werden. „Labor heißt bei uns, in einem offenen Versuchsaufbau gemeinsam auszuprobieren und zu erleben, was man benötigt, damit Dinge besser funktionieren und sich anfühlen“, erklärt Schultchen die Arbeitsweise.
Auftrag des Schweizer Handelskonzerns Migros
„Dazu ist es gut, sehr schnell bauen und wieder verändern zu können. Holz, Pappe und Papier sind da super!“ Gerade haben die Hamburger einen Auftrag des Schweizer Handelskonzerns Migros in Arbeit. Um was es bei dem Zukunftsprojekt genau geht, ist streng vertraulich. Nur so viel: „Mit Migros arbeiten wir wie in allen unseren Projekten. Es ist ein gemeinsamer Laborprozess, in dem wir 1:1 erprobt haben, wie sich Menschen und Produkte in einer neuartigen Umgebung näherkommen können, um einfacher, erlebnisreicher, informierter einzukaufen“, sagt Schultchen.
Auch das Konzept für den Miniladen Teo ist in dem Saal entstanden – und zwar in der heutigen Originalgröße mit 14 Meter Länge und einer Verkaufsfläche von 50 Quadratmetern. Hinter dem Projekt steckt die Idee eines Automatenladens, in dem die Kunden mit Smartphone und Kreditkarte rund um die Uhr alles einkaufen können, was sie für den Alltag brauchen.
„Bei der Entwicklung haben wir gemerkt, dass ein digitaler Laden nicht in einen Container passt, sondern eine angenehmere, eine menschlichere Form braucht, damit man dort gerne einkauft“, sagt Co-Geschäftsführer Kremerskothen. So ist die Idee entstanden, einen tonnenförmigen Holzbau zur Grundlage zu machen. Auf dem Dach wachsen Gras und Blumen. An den Außenwänden ist Platz für eine Buch-tauschbörse, eine Elektrofahrrad-Ladestation und vieles mehr, was in einer Nachbarschaft gebraucht wird.
Weitere Automatenläden sind in Planung
Der erste Teo wurde im November 2020 in Fulda eröffnet, inzwischen gibt es drei weitere der Kleinstläden in der Stadt. Die Resonanz der Kunden ist positiv, heißt es in der Tegut-Zentrale. Bis Ende 2021 will der Lebensmittelhändler bis zu zehn Teo-Shops im Großraum Fulda eröffnen. Unter anderem wurde das Konzept mit dem Innovationspreis des Handels und als Store of the Year 2021 ausgezeichnet.
Ob und wann auch Hamburger in dem neuen Minisupermarkt einkaufen können, ist noch offen. Andere Ideen des Designstudios sind dagegen in der Stadt sichtbar, darunter das Logo für die Hamburger Sportoffensive Active City, das gestrichelte Männchen beim Sprung über die Elbe als Markenzeichen der Bauausstellung IBA Hamburg oder Hamburgs grünes Herz für den Großmarkt.
Aufträge kommen meistens über Kontakte
Die Aufträge kommen meistens über Kontakte, drei bis vier sind es im Jahr. Über konkrete Umsatzzahlen schweigen die Unternehmer. Gerade hat ein Team für die Bildungsbehörde ein Konzept für die neuartige Lernumgebung für die Schule nach Corona entwickelt. Im Mittelpunkt stehen variable und robuste Allzweckmöbel auf Rollen, die zum Lernen oder Entspannen taugen und mit einem eingebauten Monitor auch zum Multimedia-Arbeitsplatz werden können.
„Die Jugend ist unsere Zukunft, und wir feiern mit unserer Arbeit ihren kreativen Spieltrieb und ihre Experimentierlust: Möbel zum Selberkonfigurieren, statt sich nur in die Reihe zu setzen“, erklärt Schultchen die Idee dahinter. „Lernkonnektiv“ nennt er das. Nach der Prüfung durch den TÜV soll der erste Testlauf im Herbst an einem Gymnasium in Blankenese und im Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung starten. Weitere Projekte sind in der Pipeline. Unter anderem für die Supermarktkette Tegut. Aber das ist derzeit noch streng vertraulich.