Hamburg. Erneut verschwindet ein inhabergeführter Laden in der Hamburger Innenstadt. Die Eigentümerin findet keinen Nachfolger.

Man wundert sich, wie viele Bücher in so einen kleinen Laden passen. Jeder Regalmeter ist vollgestellt. Romane, Biografien, Ratgeber, Kinderbücher. Davor stapeln sich weitere Bände. „Dabei bremse ich mich schon und bestelle nur noch wenig Neues“, sagt Frauke Eikmeier. Sie steht hinter dem Kassentresen der Bücherkoje. Die Eingangstür ist weit offen. Davor stehen einige Ständer mit Postkarten. In den Schaufenstern am Jakobikirchhof zwischen Blumenladen, Barbershop und Happy Waffel hat die Buchhändlerin Aktuelles aus dem Frühjahrsprogramm dekoriert.

Der 30. Venedig-Krimi von Donna Leon ist dabei, der letzte Bestseller von Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und natürlich eine Auswahl an Hamburg-Bücher. Immer wieder kommen Kunden herein. Noch. Die Tage, in denen man an dem versteckten Platz nahe der Mönckebergstraße Bücher kaufen kann, sind gezählt. Ende August schließt Frauke Eikmeier ihre Bücherkoje. Wieder verschwindet ein inhabergeführtes Geschäft aus der Hamburger Innenstadt.

Seit sie die Bücherkoje 2005 übernommen hat, managt sie das Geschäft allein

„Ich höre aus Altersgründen auf“, erklärt die Buchhändlerin, wenn man sie nach den Gründen fragt. So wie sie das sagt, klingt es konsequent. Frauke Eikmeier ist 65 Jahre alt und geht in den Ruhestand. Seit sie die Bücherkoje 2005 übernommen hat, managt sie das Geschäft allein. Bücher bestellen und in die Regale räumen, das Richtige empfehlen und verkaufen, abends die Kasse abrechnen und noch schnell Pakete zur Post schaffen. Sechs Tage die Woche, auch am Sonntag gibt es oft noch was zu tun. Nur ab und zu gönnt sich die Unternehmerin eine Aushilfe als Unterstützung. Sogar das Putzen erledigt sie selbst. Irgendwann ist dann auch mal Schluss.

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Mit Abschiedsschmerz? Frauke Eikmeier neigt nicht zu übermäßigen Gefühlsäußerungen, bemüht sich um hanseatische Nüchternheit. Das klingt dann so: „Wenn ich doch noch jemanden finde, der die Bücherkoje übernimmt, würde ich mich sehr freuen.“ Ihre Bücherkoje ist eben doch mehr als ein Job. Bislang waren allerdings Bemühungen um eine Nachfolge ohne Erfolg.

Eine der kleinsten Buchhandlungen in Hamburg

Mit gerade mal 45 Quadratmetern Verkaufsfläche ist die Bücherkoje eine der kleinsten Buchhandlungen in Hamburg, vielleicht sogar die kleinste. So genau weiß die Inhaberin das nicht. Und ein bisschen wirkt es in dem winzigen Ladenlokal so, als wäre die Zeit stehen geblieben. Die robusten Holzregale reichen fast bis unter die Decke. Die Farbe der Schilder, die Ordnung in die Bücherberge bringen, nannte man Ende der 1970er-Jahre Manilagrün.

Seitdem hat sich in der Bücherkoje wenig geändert. Alles dreht dreht sich um Gedrucktes, für Schnickschnack ist kein Platz. Hamburg-Souvenirs, Papierwaren und diversen Nippes, in anderen Buchhandlungen längst wichtiger Sortimentsbestand, gibt es praktisch nicht. „Ich kann das in einer Buchhandlung nicht leiden“, sagt Inhaberin Eikmeier resolut. „Ich finde, der erste Blick muss auf Bücher fallen.“

Viele Stammkunden lieben die Konzentriertheit

Viele Stammkunden lieben genau diese Konzentriertheit, die so gar nichts von zeitgemäßem Shopping hat. Elke Ebert zum Beispiel. Als sie den Laden an diesem Sommernachmittag betritt, muss sie gar nicht erst sagen, warum sie da ist. Mit wenigen Schritten ist Buchhändlerin Eikmeier an dem Regal mit den Vorbestellungen. „Wollen Sie alles mitnehmen. Das wird schwer“, fragt sie und stapelt nacheinander neun Bücher auf dem Kassentisch. Neuerscheinungen sind darunter, Romane, Lebensgeschichten und Krimis auch für die Familie. Neues Lesefutter für 130 Euro.

„Das ist schon auf Vorrat für die Zeit, wenn die Bücherkoje zu ist“, sagt die Rentnerin und verstaut die Bücher in einen Rucksack. Früher hat die Kauffrau nach der Arbeit in einem Büro in der Nähe alle Bücher bei Buchhändlerin Eikmeier gekauft. Jetzt kommt sie extra aus Winterhude. „Ich mag die großen Buchketten nicht“, sagt Elke Ebert und lobt Beratung und Atmosphäre in der Bücherkoje. „So soll eine Buchhandlung sein. Es ist sehr traurig, dass es das bald nicht mehr gibt.“

Eine Ära endet

Mit dem Aus für die Bücherkoje endet eine Ära. Gegründet worden war der Buchhandel schon um 1900 in Hannover unter dem Namen Bolm & Lockemann, weiß die Besitzerin der Jetztzeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Buchhändler nach Hamburg gekommen und hatten ihr Sortiment zunächst aus einem provisorischen Verkaufspavillon am Jakobikirchhof angeboten. 1956 eröffneten sie das heutige Geschäft in einem Neubau gegenüber der St. Jacobikirche.

1977 übernahm Barbara Siller die Buchhandlung an dem Arkadengang und machte daraus die Bücherkoje. Als sie 2005 nach fast 30 Jahren in den Ruhestand ging, schien das Ende des Mini-Buchladens fast schon besiegelt. Wenn nicht Frauke Eikmeier, damals Mitarbeiterin in einem nahe gelegenen Antiquariats, wegen der bevorstehenden Schließung des Geschäfts auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle gewesen wäre. Sie war gerade 50 Jahre alt geworden, als sie als Unternehmerin noch mal einen Neustart machte – mit einem „Tante-Emma-Laden des Buchhandels“, wie sie es nennt.

Amazon als ernsthafte Konkurrenz

Nur wenige Fußminuten entfernt von den großen Thalia-Buchkaufhäusern und Traditionsbuchhandlungen wie Felix Jud am Neuen Wall und Marissal am Rathausmarkt, war das ein Wagnis. Dazu kam Amazon als ernsthafte Konkurrenz des stationären Handels. Zahlreiche Buchhändler haben in den vergangenen Jahren geschlossen oder sind übernommen worden.

Gab es nach Angaben der Handelskammer 2011 noch 277 Betriebe in Hamburg, sind es heute nur noch 175 – ein Rückgang von mehr als einem Drittel. In der Innenstadt hat 2013 etwa die Traditionsbuchhandlung Laatzen an der Esplanade aufgegeben. Auch große Ketten geraten unter Druck. Zuletzt verließ im Juli 2020 Buchfilialist Hugendubel mit der Schließung der einzigen Hamburger Filiale im Einkaufszentrum Mercado in Ottensen die Stadt. Neueröffnungen sind eher selten.

Frauke Eikmeier trotzt dem Strukturwandel im Buchhandel seit 16 Jahren

Frauke Eikmeier trotzt dem Strukturwandel im Buchhandel seit 16 Jahren mit ihrem Ein-Frau-Unternehmen. Sie ist Buchhändlerin mit Herz und Seele, die nach der Ausbildung in Neumünster einige Jahre in Göttingen Erfahrungen gesammelt hatte, bevor sie nach Hamburg ging. Wichtig ist ihr, sich Zeit für die Beratung zu nehmen und Menschen mit dem richtigen Buch auf den Weg zu schicken. Viele Stammkunden halten ihr seit Jahren die Treue. Die Kirchenleute von St. Jacobi kommen, Bischöfin Kirsten Fehrs, Pröpstin Astrid Kleist, Pilgerpastor Bernd Lohse. Auch die Beschäftigten in den Büros und Verlagen der Umgebung bestellen und kaufen in dem kleinen Buchladen.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Trotzdem wird das Geschäft schwieriger, auch wenn gerade auch jüngere Kunden inzwischen bewusst im stationären Handel kaufen statt online zu bestellen. „Es war nicht abzusehen, dass ich den Laden so lange über die Runden bringe“, sagt sie. „Es ist ein harter Kampf. Das läuft nur mit Selbstausbeutung.“

Immer mal wieder hat sie auch zugebuttert. Die Corona-Pandemie mit Lockdown und Homeoffice hat der Bücherkoje zusätzlich zugesetzt, dazu kommen die fehlenden Touristen. Inzwischen läuft es etwas besser. Gerade klingelt wieder das Telefon. Noch während sie das Gespräch annimmt, geht die Buchhändlerin zum Bestellcomputer. „Das Buch ist morgen Vormittag abholbereit“, sagt sie der Kundin. Auf dem Weg hat sie noch schnell ein paar Bände zurechtgerückt, um eine Lücke im Regal zu kaschieren.

In einem Monat soll der Räumungsverkauf starten

Ihr Entschluss steht. In einem Monat soll der Räumungsverkauf starten. Freut sie sich auf etwas in der Zeit nach ihrem Leben als Buchhändlerin? „Ja“, sagt Frauke Eikmeier, die in Ottensen lebt und leidenschaftlicher St.Pauli-Fan ist, „dass ich endlich lesen kann, was ich will und nicht mehr alle Neuerscheinungen parat haben muss.“

Sie mag Klassiker von Theodor Fontane, den US-Autor James Baldwin und die Hamburger Krimi-Autorin Simone Buchholz. Ihr Lieblingsbuch ist „Der Club der singenden Metzger“ von Louise Erdrich – einer ihrer Bestseller. Und es gibt Dinge, die sie bestimmt nicht vermissen wird. „Ich habe in den vergangenen Jahren gefühlt 100.000 Mal die Frage beantwortet, ob man vor dem Laden parken darf.“ Nein, darf man nicht!