Berlin. Corona treibt Tausende durch Kurzarbeit und Jobverlust in die Überschuldung. Wie man das Problem innerhalb von drei Jahren lösen kann.

Bernd K. hat jahrelang in einem Reisebüro am Flughafen gearbeitet. Die Sicherheit seines Jobs stand nie infrage. Bis Corona auftauchte. Die Pandemie änderte seine Situation schlagartig. Erst setzte ihn sein Arbeitgeber auf Kurzarbeit, dann strich er seinen Job ganz.

Seiner Lebensgefährtin, die im Event-Bereich arbeitete, ging es ähnlich. Vom einen auf den nächsten Tag gab es weder Messen noch Veranstaltungen, die mit Caterings beliefert werden konnten. Ihr Job fiel weg.

Es dauerte nur wenige Monate, da konnte das Paar seine laufenden Kosten und Kredite nicht mehr bezahlen, was vor der Krise nie ein Problem war. Plötzlich waren sie überschuldet. Beide mussten Antrag auf Privatinsolvenz stellen.

Mehr als 20.000 Menschen meldeten Privatinsolvenz an

Der Fall, den Christoph Zerhusen, Rechtsexperte für Privatinsolvenzen von der Verbraucherzentrale in NRW, schildert, steht exemplarisch für Tausende Schicksale. Die Corona-Pandemie entpuppt sich als Brandbeschleuniger.

Bundesweit meldeten im ersten Quartal 20.328 Menschen Privatinsolvenz an – 56,5 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Wirtschaftsauskunftei Crifbürgel geht davon aus, dass sich die Zahl der Privatinsolvenzen noch in diesem Jahr auf 110.000 verdoppeln wird. Das besonders Problematische: Vor allem Jüngere geraten häufiger in die Schuldenfalle.

Der starke Anstieg hat neben Corona zwei Hauptursachen, wissen Experten: Durch die Pandemie waren die Schuldenberatungen nur eingeschränkt geöffnet. „Eine persönliche Beratung ist vor einer Insolvenzeröffnung jedoch ganz wichtig“, sagt Zerhusen. Viele verschuldete Menschen verlieren den Überblick über ihre Finanzen, manche werfen aus Angst Rechnungen weg. Dies alles müsse geordnet werden.

Zudem gibt es im Insolvenzrecht als Anpassung an das EU-Recht seit dem 1. Oktober 2020 eine entscheidende Änderung: Die Restschuldbefreiung von Verbrauchern erfolgt bereits nach drei Jahren – zuvor waren es sechs Jahre. Diese Chance, deutlich schneller wieder in ein „normales“ wirtschaftliches Leben einzuscheren, haben offenbar viele Menschen genutzt. Was überschuldete Verbraucher beachten müssen.


Was ist eine Privatinsolvenz?

Wenn Verbraucher ihre laufenden Rechnungen – von der Miete über Strom bis zu Krediten – dauerhaft nicht mehr bezahlen können, gelten sie in der Regel als überschuldet. Die Insolvenzordnung bietet ihnen die Möglichkeit, sich innerhalb von drei Jahren von ihrem Schuldenberg zu befreien.

Dies gilt auch dann, wenn sie während des Zeitraums keinen Cent zurückzahlen können, weil sie kein pfändbares Einkommen oder Vermögen erzielt haben.


Wo eröffnet man die Privatinsolvenz?

Betroffene können beim zuständigen Insolvenzgericht einen etwa 40 Seiten langen Antrag auf Verbraucherinsolvenz und die Erteilung einer Restschuldbefreiung stellen. Zuvor müssen sie aber versuchen, sich mit den Gläubigern außergerichtlich über eine Schuldenrückführung zu einigen. Auf diesem Weg könnten zum Beispiel Kredite rückgängig gemacht werden.

Bei dem Einigungsversuch sollten eine Insolvenzberatungsstelle oder ein Rechtsanwalt mitwirken. Vor all diesen Schritten sollte jedoch eine persönliche Beratung zur Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse stattgefunden haben. Bei Verbraucherzentralen und Wohlfahrtsverbänden erfolgt dies in der Regel kostenlos.


Welche Pflichten kommen auf die Überschuldeten zu?

Nach der Eröffnung des Verfahrens kommt auf die Betroffenen eine dreijährige „Wohlverhaltensphase“ zu. Während dieser Zeit müssen sie Teile ihres pfändbaren Einkommens an einen Treuhänder abtreten. Jeder ist verpflichtet, zu arbeiten oder sich Arbeit zu suchen. Dies gilt auch für Arbeitslose.

Wer keine zumutbare Arbeit findet, muss dies durch regelmäßige Bewerbungen nachweisen. Für Rentner und Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht erwerbsfähig sind, entfällt diese Pflicht zur Arbeit. Erbschaften müssen zur Hälfte herausgegeben werden, ebenso teure Geschenke.


Wie viel Geld bleibt während des Verfahrens zum Leben?

Niemandem darf das Existenzminimum genommen werden. Was den Betroffenen von ihrem Einkommen bleibt, richtet sich nach der Pfändungstabelle (§ 850c Zivilprozessordnung). Es ist nach Einkommen und Unterhaltspflicht gestaffelt.


Darf man sein Vermögen behalten?

Den Betroffenen darf nicht das zum Leben Notwendige weggenommen werden, etwa die Mietwohnung. Vermögen und Wohneigentum werden in der Regel versteigert. Ein Auto darf nur behalten werden, wenn es dringend gebraucht wird – wenn man beispielsweise schwerbehindert ist und damit zur Arbeit fährt.


Wird man von allen Schulden befreit?

Die Restschuldbefreiung gilt für alle Schulden, die zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens bestanden. Ausgenommen sind Steuerschulden und Schulden, die aus Straftaten wie Betrug oder Sachbeschädigung stammen.

Selbst wenn Gläubiger in der Zeit überhaupt keine Zahlungen erhalten, ist eine Entschuldung möglich. Die Betroffenen werden nach drei Jahren von ihrer kompletten Restschuld befreit.

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