Berlin. Vielschreibern das Leben erleichtern: Das ist das Ziel von Ulysses. Die App aus Leipzig hat Erfolg – vor allem in den USA und China.

Ein leeres Blatt Papier: Am Anfang für viele der blanke Horror: Für Autorinnen und Journalisten genauso wie für Redenschreiber oder Wissenschaftlerinnen. Wenn die Ideen erstmal sprießen, wird aus dem leeren Blatt schnell ein Wust an Seiten, Skizzen, Kapiteln und Quellensammlungen. Die Schreib-App Ulysses will mit einem aufgeräumten Look, übersichtlichen Menüs und Funktionen wie einer Grammatik- und Stilprüfung Nutzerinnen und Nutzern das tägliche Schreiben erleichtern – vom Tagebuch bis hin zum ganzen Roman.

Die Idee zum cleanen Textprogramm, das als App 2016 den Apple Design-Award erhielt, hatten die beiden deutschen Gründer vor fast 20 Jahren. Mit dem Editor des Teams aus Leipzig halten inzwischen Profi-Schreiber und Autorinnen weltweit ihre Ideen fest – von den USA bis nach China. Mitgründer Max Seelemann (34) spricht im Interview über die Wünsche leidenschaftlicher Texter, den wichtigen Unterschied zwischen Leipzig und San Francisco, zwei Beinahe-Pleiten und den Wendepunkt auf dem Weg zur erfolgreichen Schreib-App.

Wie würden Sie Ihre App Ulysses jemandem auf der Straße erklären?

Max Seelemann: Es ist ein Programm für alle, die professionell oder viel schreiben: Buchautorinnen und -autoren, Blogger, Journalisten, Texter, Studierende oder Wissenschaftlerinnen. Aber auch Pfarrer, die Predigten schreiben, Juristinnen, die viele Verträge aufsetzen oder Manager, die Notizen oder Leistungsbewertungen erstellen. Unsere App hilft dabei, sich auf das Schreiben zu konzentrieren und das Schreiben und die Schreibergebnisse zu organisieren. Ob ich nur Notizen erstelle oder einen ganzen Roman schreibe, das ist ein vollkommen anderer Prozess. Ulysses ist so flexibel, dass es all das abbilden kann.

Ihre App wird nur für Apple-Geräte angeboten, wie iPhones, iPads oder MacBooks. Aber selbst in diesem großen App Store wimmelt es an Schreibprogrammen und Notizen-Apps. Wie wollen Sie sich dort abheben?

Unser Ziel ist, dass Ulysses für möglichst viele DER Ort für das tägliche Schreiben und Arbeiten ist. Andere Programme sind oft nur ein Werkzeug für bestimmte Phasen beim Schreiben. Unsere App soll von der Idee bis zum fertigen Produkt möglichst viel abbilden. Leute müssen etwa für ihren Roman, ihren Blog und ihre Notizen nicht mehr mehrere Programme benutzen, sondern unsere App soll der Anlaufpunkt für alles sein. Und zum anderen stellen wir einen hohen Anspruch an das Design und die Benutzbarkeit des Programms.

Wie sieht die typische Nutzerschaft aus? Sie konzentrieren sich nicht nur auf die Vielschreiber in Deutschland.

Im Gegenteil: 80 Prozent unseres Umsatzes machen wir außerhalb der EU. Die Welt ist unser Markt. Nummer eins sind die USA. Nummer zwei ist tatsächlich China, ein riesiges Land mit extrem vielen Menschen und auch sehr vielen Apple-Nutzerinnen und -Nutzern. Die Zahlungsweise ist in den verschiedenen Ländern ganz unterschiedlich. Aber über den App Store können wir die Anwendung für alle Interessierten in diesen Länder anbieten.

„Alte Hasen“ im App-Geschäft: Schon 2003 hatten die Gründer Max Seelemann (links) und Marcus Fehn die Idee zum Schreib-Programm Ulysses. 2011 folgte die entsprechende App, die beide mit dem gut 20-köpfigen Team stetig weiterentwickeln.
„Alte Hasen“ im App-Geschäft: Schon 2003 hatten die Gründer Max Seelemann (links) und Marcus Fehn die Idee zum Schreib-Programm Ulysses. 2011 folgte die entsprechende App, die beide mit dem gut 20-köpfigen Team stetig weiterentwickeln. © Ulysses | Ulysses

Welche Rolle spielt es für den Anwender in China oder in den USA, dass es sich bei Ulysses um eine App aus Deutschland handelt? Gilt das als Qualitätsmerkmal wie bei bekannten Automarken oder ist das dem Profi-Schreiber am Bildschirm egal?

Ich würde sagen, das ist sehr egal. Die meisten, mit denen ich spreche, sagen: „Ich wusste gar nicht, dass ihr aus Deutschland seid.“ Das schreibt auch kein App-Anbieter offensiv auf seine Seite. Es ist einfach ein weltweiter Markt. Eine App kann aus jedem Land kommen und von überall aus auch erfolgreich sein. Was einen Unterschied macht, ist, wo man lebt. Lebenshaltungskosten sind weltweit extrem verschieden. In San Francisco kann man für sein Ein-Zimmer-Apartment 5000 Dollar im Monat zahlen. Hier in Leipzig konnte ich als Student für 200 Euro im Monat wohnen. Damit habe ich viel mehr Möglichkeiten, meine App zu gestalten. Es gibt auch sehr viele Entwickler aus Osteuropa. Die haben auch diesen Standortvorteil. Wenn ich und ein Großteil unserer Angestellten nicht hier in Ostdeutschland gelebt hätten, wäre es uns am Anfang sehr viel schwerer gefallen.

Die erste Version Ihres Schreibprogramms ist schon 2003 erschienen – vier Jahre vor dem iPhone. Da gab es noch nicht einmal Apps. Sie haben Ulysses praktisch aus dem Kinderzimmer heraus gegründet?

Genau, ich war 16, als wir Ulysses herausgebracht haben. Mein Mitgründer Marcus Fehn war doppelt so alt. Wir waren ein ungleiches Paar. Trotzdem hat er sich auf so einen jungen Wilden wie mich eingelassen. Social Media gab es noch nicht. Damals hat man sich noch E-Mails hin und hergeschickt.

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Das Thema Internet-Start-ups steckte um 2003 in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Wie schwer war es zu dieser Zeit, hierzulande so ein kleines Online-Unternehmen aufzuziehen?

Wir haben das ja ganz lange als Hobby betrieben, ich war noch Schüler. Die ersten acht oder neun Jahre haben wir es als Freizeitprojekt nebenbei gemacht. Und nach meinem Studium in Dresden kam im Januar 2011 in einem Monat alles zusammen: Ich habe mein Diplom verteidigt, habe eine Promotionsstelle angenommen und bin Vater geworden. Und dann hat Apple den App Store für Mac-Computer im Internet veröffentlicht.

Der damals erste App-Marktplatz von Hersteller Apple für Software-Programme.

Genau. Bis dahin war Ulysses für uns ein nettes Zubrot. Ich konnte damit mein Studium finanzieren, mal einen Rechner kaufen und jedes Jahr zur Apple-Entwicklerkonferenz WWDC in die USA fliegen. Sowas war ganz nett, aber für mehr hat es nicht gereicht. Und dann haben wir unser Ulysses in den neu erschienenen App-Marktplatz von Apple gestellt. Dort wurden wir eine Woche lang beworben und haben in dieser Woche 20.000 Euro verdient – so viel wie im ganzen Jahr davor, das war irre. Und dann habe ich meinen Doktor an den Nagel gehängt und wir haben gesagt: Wenn wir es jetzt nicht probieren, dann nie. Und dann haben wir eine Firma daraus gemacht. Seitdem verkaufen wir quasi ausschließlich über den App Store und haben unser Unternehmen immer aus dem Umsatz heraus finanzieren können, komplett ohne Investoren von außen. Mittlerweile sind wir 21 Leute.

Mit der Schreib-App Ulysses sollen Abonnenten vor allem Texte jeglicher Art in einem aufgeräumten Design schreiben und verwalten können. Die App der Leipziger Entwickler ist jedoch nur für Apple-Geräte verfügbar.
Mit der Schreib-App Ulysses sollen Abonnenten vor allem Texte jeglicher Art in einem aufgeräumten Design schreiben und verwalten können. Die App der Leipziger Entwickler ist jedoch nur für Apple-Geräte verfügbar. © Ulysses | Ulysses

Das Team hinter Ihrer Schreib-App sitzt auch in Nicht-Corona-Zeiten nicht im gemeinsamen Büro. Würden Sie Ulysses trotzdem als Leipziger Unternehmen bezeichnen?

Die räumliche Trennung hatten wir schon immer: Marcus war schon immer in Hamburg, ich schon immer in Dresden beziehungsweise jetzt in Leipzig. Wir haben auch jemanden, der bei Dresden wohnt und jemanden, der größtenteils in Barcelona lebt. Aber ansonsten sind wir schon relativ lokal. Außer Markus haben wir auch alle eine Verbindung zu Leipzig. Ulysses ist schon eher ein lokales Unternehmen.

Viele Gründer sagen immer, die ersten zwei, drei Jahre sind besonders hart. Ein Großteil der Start-ups überlebt diese Phase gar nicht. Muss man als App-Gründer viel Ausdauer mitbringen?

Absolut. Ich würde auch empfehlen, möglichst schnell etwas auf die Beine zu stellen, was Umsatz und Rückmeldung der Nutzer erzeugt. Nicht zu lange theoretisch im stillen Kämmerlein zu agieren, sondern sich wirklich die Hände schmutzig zu machen und dann zu gucken, was die Welt dazu zu sagen hat – und sich mit dieser Welt auszutauschen. Mit diesem Feedback sollte man dann sein Produkt besser machen. Außer es stellt sich heraus, dass es einfach keinen Markt gibt. Man braucht Durchhaltevermögen. Wir waren mehrfach fast pleite. So als Projekt nebenher war das immer etwas egal. Aber nachdem wir vor rund zehn Jahren Ulysses zu einer Firma gemacht haben, hatten wir schon zwei echte Tiefs. Da stand es Spitz auf Knopf, ob es überhaupt weitergehen kann.

Ab welchem Moment haben Sie und Mitgründer Marcus Fehn gemerkt: Jetzt sind wir über den Berg, jetzt läuft es und wir können die nächsten Jahre planen?

Für uns war dieser Punkt erreicht mit dem Wechsel des Geschäftsmodells. Wir waren erst eine Verkaufs-App, die Nutzer ein Mal bezahlt haben. Vor vier Jahren haben wir Ulysses umgestellt auf ein monatliches Abo. Denn als Verkaufs-App hast du nur Neukunden zum Ziel und keinen Bestand mit dem du rechnen kannst. Das Problem ist: Neukunden können auch woanders hingehen und Verbesserungen an der App sind immer gratis. Die Umstellung war nicht einfach. Aber seit wenigstens zwei Jahren fühlt es sich für uns endlich entspannt an. Nicht alle Nutzerinnen und Nutzer finden ein Abo toll. Aber inzwischen haben sie verstanden, dass wir nur so viel nachhaltiger und langfristiger an der App arbeiten können.

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Was ist es denn, woran Sie und Ihr Team gerade arbeiten – und wo sehen Sie Ulysses in ein bis zwei Jahren?

Die Corona-Zeit gerade ist verrückt. Man merkt, dass alle Menschen darunter leiden. Es ist zurzeit alles sehr emotional. Man muss man wirklich aufpassen, dass das Team-Gefüge nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Abgesehen davon waren wir nie diejenigen mit einem ausgefeilten langfristigen Plan. Ich habe die Ulysses immer so begriffen: Ich möchte etwas Cooles machen, Spaß dabei haben und den Leuten helfen. Und 50.000 zahlende Abonnentinnen und Abonnenten sind schon ein Zeichen, dass Leuten unsere aktuelle App auch etwas wert ist. Aktuell arbeiten wir vor allem an Benutzbarkeits-Verbesserungen für Blogger und Autoren, sowie an einem leichteren Einstieg ins Programm für neue Benutzer. Der nächste Schritt ist dann die Unterstützung von Tabellen. Und danach? Mal schauen – irgendwas ist immer.

Bekommen Sie auch mal Rückmeldung von Promis oder bekannten Autorinnen, die mit Ihrer App schreiben und ihre Meinung loswerden wollen?

Über die Jahre haben sich durchaus einige bekannte Namen bei uns gemeldet, das ist immer etwas Besonderes. Ralph Caspers zum Beispiel, der Moderator von der „Sendung mit der Maus“. Er hat ein total ausgeklügeltes System, wie er Ulysses benutzt, um Moderationstexte und Sendungsabläufe zu schreiben und auszugeben. Auch der britische Schauspieler und Autor Stephen Fry hat uns immer mal geschrieben und neulich erst in einem Video auch öffentlich erwähnt, dass er Ulysses benutzt.