Hamburg. Wegen Corona lagen alle Vorhaben auf Eis. Was Eigentümer und Centermanagerin nun in Hamburgs einstiger Vorzeigepassage vorhaben.

Unter der hohen Glaskuppel des Hanseviertels dreht sich die Weltkugel. Unbeirrt, eine Runde nach der anderen. Drumherum herrscht seit vier Monaten Stillstand. Nur wenige Passanten laufen durch die Gänge der Einkaufspassage in der Innenstadt. Die Schritte hallen auf den Bodenfliesen in der fast gespenstischen Stille. Die meisten Geschäfte sind im Lockdown. Einige sind leer, die Schaufenster sind verklebt. An der Eingangstür von Hanse CD hängt ein Zettel, der die Schließung ankündigt. Das traditionsreiche Fachgeschäft hat Insolvenz angemeldet.

Sylvia Nielius steht wenige Schritte davon entfernt vor der Rotunde am Ausgang zu den Großen Bleichen und ist voller Tatendrang. „Hier war früher ein gläserner Fahrstuhl, ein Stück weiter führte eine geschwungene Treppe ins Untergeschoss. Diese Grundstruktur wollen wir wieder herstellen“, sagt die Centermanagerin und zeichnet mit großen Gesten Konturen auf den Boden nach.

Aus ehemaliger Tom-Tailor-Fläche werden drei Läden

Früher, das ist inzwischen mehr als zehn Jahre her. Bis 2007 war ein Mövenpick-Restaurant in diesem Bereich des Hanseviertels ein viel besuchter Anziehungspunkt. Nach der Schließung des Betriebs wurde die Fläche stillgelegt und nach oben dicht gemacht. „Wir erschließen den Kuppelraum mit einem neuen Konzept“, sagt Nielius. Sprich: Die Decke soll herausgerissen, die Gastrofläche über zwei Etagen wiederbelebt werden. Der Rückbau soll auch ein Neuanfang für die in die Jahre gekommene Passage werden. Der Bauantrag ist eingereicht. „Wir hoffen, dass wir bald anfangen können.“

Es ist nur eine in einem Paket von Baumaßnahmen. Die erste sichtbare Veränderung beginnt in der nächsten Woche. Gut ein Jahr später als geplant. „Eigentlich wollten wir schon im März 2020 starten“, sagt Nielius. Wegen der Corona-Pandemie hatte Eigentümer CBRE alle Investitionspläne auf Eis gelegt.

Jetzt geht es mit der Verkleinerung der größten Ladeneinheit der Passage direkt am Haupteingang an der Poststraße los. Die Fläche, auf der einst die erste H&M-Filiale Deutschlands auf drei Etagen Kunden aus der ganzen Region angezogen hatte, ist kaum noch vermietbar. Nachdem der Hamburger Modehändler Tom Tailor Anfang 2019 ausgezogen war, hatte Peek & Cloppenburg als Interimsmieter dort Outlet-Waren verkauft.

Inzwischen ist der Laden leer – planmäßig zum Beginn des Umbaus. „Ein wichtiger Teil des neuen Geschäftskonzepts sind kleine Ladenflächen“, sagt Centermanagerin Nielius, die ihren Job mit dem Eigentümerwechsel vor gut zwei Jahren übernommen hatte. Der Bereich im Erdgeschoss wird in drei Einheiten geteilt. Im Obergeschoss entstehen Büros.

Besucher blieben schon vor Corona aus

Dass sich jetzt etwas verändert im Hanseviertel, hat nicht nur mit Corona zu tun. Schon vor der Pandemie kamen immer weniger Kunden in die Einkaufspassage, die der renommierte Hamburger Architekt Volkwin Marg entworfen hat. „Mutter aller Passagen“ wird das Hanseviertel gerne genannt, weil es als Vorreiter für eine Reihe weiterer Einkaufspassagen in dem Quartier zwischen Gänsemarkt und Rathausmarkt gilt. Aber das Einkaufsverhalten hat sich geändert.

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Besucherfrequenzen von 20.000 Menschen am Tag werden schon lange nicht mehr erreicht. Seit Jahren wird um ein Konzept für den denkmalgeschützten Vorzeigebau der Postmoderne gerungen. Auch das US-Unternehmen CBRE, das das Hanseviertel 2018 von der Allianz gekauft hatte, ließ sich erst mal Zeit, um die Lage zu analysieren.

Eigentümer CBRE investiert 40 Millionen Euro

Laut Schätzungen haben die Immobilienexperten aus Texas 200 Millionen Euro für das Areal von 37.000 Quadratmetern in bester Lage hingeblättert, zu der auch Büroflächen, Arztpraxen, Wohnungen und das Renaissance Hotel mit 205 Zimmern gehören. Zusätzlich 40 Millionen Euro will CBRE nach Abendblatt-Informationen nun investieren, um das Hanseviertel zurück in die erste Liga der Einkaufslagen in Hamburg zu katapultieren. „Wir sind eine Premium-Passage im Herzen der Innenstadt“, sagt Nielius selbstbewusst. Der Eigentümer setzt auf eine Mischung von Regionalität und innovativen Verkaufskonzepten.

Im Moment braucht es allerdings Fantasie, um sich eine solche Entwicklung vorzustellen. Die meisten der 53 Mieter haben seit Beginn des zweiten Lockdowns vor vier Monaten dicht, öffnen nicht mal für Click-&-Collect-Kunden. Eine der Ausnahmen ist die Filiale des trendigen portugiesischen Keramikherstellers Motel A Miio. Eine Mitarbeiterin sitzt einsam hinter dem Kassentresen und tippt auf ihrem Smartphone. Ab und zu klingelt das Telefon. „Fünf bis zehn Kunden kommen am Tag, um bestellte Waren abzuholen“, sagt sie. Immerhin.

Nur elf Geschäfte regulär geöffnet

Auch am Hummerstand, in anderen Zeiten ein umlagertes Paradies für Feinkost-Fans, hat der Mann hinter der Theke nur selten was zu tun. „Es kommen zu wenige Menschen in die Innenstadt, weil viele im Homeoffice sind“, sagt ein Passant, der den Weg durch die Passage als Abkürzung gewählt hat. Insgesamt dürfen derzeit nur neun Geschäfte im Hanseviertel im Normalbetrieb öffnen, weil sie Waren des täglichen Bedarfs anbieten. Der Traditionsladen Wau & Mau ist wegen seines Tierfutterangebots ebenfalls von der Zwangsschließung ausgenommen wie Optiker Carl.

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Hinzu kommt, dass das Angebot an Läden und Gastronomie schon länger kein geschlossenes Bild mehr abgibt. „Heruntergewirtschaftet“ hatte der „Vater des Hanseviertels“, Volkwin Marg, es vor einiger Zeit genannt. Als Höhepunkt des Abstiegs gilt ihm die Insolvenz des Schreibwarenhändlers Schacht & Westrich 2014. Kurzfristig drohte 2018 sogar der Abriss der Immobilie.

Astra-Laden ist einer von fünf Pop-up-Stores

Auch als Pop-up-Shops noch eher unüblich waren, gab es zwischen angestammten Geschäften wie den Modeläden Classico und Barbour, dem Taschenhändler Bree und Markenshops von Falke, Timberland und Roeckl immer wieder Interimsmieter, die nur für einen kurzen Zeitraum Flächen belegten.

Aktuell sind es mit dem Astra-Laden, einer Parfümerie & Duftmanufaktur, dem Outlet Lux & Deals, der Damenschneiderin Leopoldine vier Pop-up-Shops. Auf einer weiteren Fläche, auf der zuletzt der Brautmodenanbieter Laue Geschäfte gemacht hatte, will die Kulturbehörde, selbst Mieter in dem Komplex, demnächst eine Ausstellung über Architektur und Design eröffnen.

Die aktuelle Situation sei für die Händler schwierig, sagt Nielius. „Insgesamt ist es aber sehr erfreulich, wie viele Läden da sind und der Corona-Krise mit neuen Ideen und Konzepten begegnen.“ Die 51-jährige promovierte Kunsthistorikerin, die lange das Stilwerk in Berlin geleitet hat, lobt den Gemeinschaftsgeist unter den Mietern. Der Eigentümer tue viel, um sie zu unterstützen. Es sei mit allen gesprochen worden und auch Mietnachlässe seien gewährt worden.

Noch keine neuen Mieter für leere Flächen

Trotzdem gibt es zurzeit mehrere Leerstände im Hanseviertel. In der ersten Corona-Welle hatte der insolvente Modeschmuckhersteller Konplott die Filiale dichtgemacht. Auch der Abendblatt-Ticketladen war ausgezogen. Die Fläche ist inzwischen als Erweiterung des Hummerstands an den Edeka-Händler Struve vermietet, wird aber noch nicht genutzt.

Der Sansibar-Markenshop steht seit dem Auszug Ende des Jahres leer, nachdem ein Nachmieter im zweiten Lockdown abgesprungen war. Die geplanten Umbauarbeiten erschweren die Vermietung zusätzlich. Auch für den Laden des Weihnachtsgeschenke-Shops Unwritten wird eine Nachfolge gesucht. „Es laufen Gespräche“, sagt Nielius. Konkreter könne sie nicht werden, da noch keine Verträge unterschrieben seien.

Neue Gastronomie im Untergeschoß

Dem Hanseviertel stehen wohl unruhige Jahre bevor. Noch weiß niemand, wie sich der stationäre Handel nach der Corona-Pandemie entwickeln wird – und wie viele Geschäfte überhaupt wieder öffnen. Wegen des geplanten Umbaus werde es zudem noch einige Umzüge geben, sagt Centermanagerin Nielius.

Aber sie ist optimistisch. „Der Eigentümer investiert und glaubt an das Hanseviertel.“ Vor allem das neue Gastrokonzept in der Rotunde sei zukunftsweisend. Einen Betreiber gibt es. Der Name ist noch geheim. Wenn in zwei bis drei Jahren alles fertig ist, soll die rotierende Weltkugel vor das Hauptportal umziehen – und sich dort weiterdrehen.