Höhere Preise befürchtet. Verzögerungen kosten Reedereien Geld. Hamburgs Hafen trifft Vorbereitungen. Die wichtigsten Fragen.
Rund eine Woche lang hat der Containerfrachter „Ever Given“ der taiwanesischen Linienreederei Evergreen den Suezkanal blockiert. In der Nacht zum Montag konnte das Schiff dann mithilfe von Schleppern und bei einem höheren Wasserstand bewegt werden.
In Hamburg befürchten Spediteure und Industriebetriebe trotz dieser guten Nachricht Auswirkungen auf die Lieferketten. Das Abendblatt erklärt, wie lange der Stau am Suezkanal noch dauern könnte und wie sich Hamburg auf die Zeit vorbereitet, zu der die Schiffe endlich nach Europa kommen.
Wie steht es um die Bergung?
Nach tagelangen erfolglosen Bemühungen hat der auf Grund gelaufene Containerfrachter „Ever Given“ endlich wieder Wasser unter dem Kiel. Mithilfe einer Springflut, die den Wasserspiegel um 46 Zentimeter erhöhte, konnte das Heck des 227.000-Tonnen-Kolosses um 4.30 Uhr Ortszeit befreit werden. Dabei kamen zehn Schlepper zum Einsatz. Durch drücken und ziehen habe sich der Kurs des Schiffes um 80 Prozent gedreht, teilte der Vorsitzende der Kanalbehörde, Admiral Usama Rabi, mit. Dadurch habe sich das Heck vom Ufer gelöst. Der Bug, der sich am gegenüberliegenden Ufer in die Böschung gegraben hatte, konnte aber erst Stunden später befreit werden.
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Seit Montagnachmittag bewegt sich das Schiff in der Kanalmitte wieder vorwärts. Die Wasserstraße soll für den Verkehr schnellstens freigegeben werden. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sagte: „Wir analysieren gerade die Auswirkung des Staus bei so vielen betroffenen Schiffen auf die Logistik, besonders für die Lieferketten.“
Wie geht es jetzt weiter?
Die „Ever Given“ soll nun zum Großen Bittersee gebracht werden. Dabei handelt es sich um ein breites Seebecken im Suezkanal, in dem andere Schiffe den Havaristen passieren können. Dort soll der Frachter zunächst auf Schäden untersucht werden.
Wie lange dauert es, bis sich der Stau aufgelöst hat?
Laut Schiffsradar warten derzeit mehr als 400 Schiffe auf beiden Seiten der Unfallstelle auf ihre Durchfahrt durch den Kanal. Hapag-Lloyd erwartet, dass sich der Stau innerhalb von vier Tagen auflösen könnte, wenn die Strecke wieder freigegeben wird. Maersk rechnet mit bis zu sechs Tagen.
Was bedeutet das für die Schifffahrt?
Nachdem sich die Rettungsaktion über Tage hinzog, hatten viele Reedereien damit begonnen, ihre Schiffe umzulenken. Anstatt durch den Kanal zu fahren, sollten die Frachter den afrikanischen Kontinent umrunden, was etwa 5500 zusätzliche Kilometer bedeutet. Das wurde nach Bekanntgabe der Bergungsnachricht gestoppt. Nur Schiffe, die bereits einen größeren Teil der Seereise begonnen hatten, setzten ihren Weg fort. Die anderen wurden zurückbeordert. Hamburgs Traditionsreederei Hapag-Lloyd hat ein aus Europa kommendes Schiff vor der afrikanischen Westküste umkehren lassen, damit es Kurs Richtung Suezkanal nimmt.
Trotz des wieder anlaufenden Verkehrs im Suezkanal hat die weltgrößte Reederei Maersk ihre Kunden in einem Schreiben auf harte Zeiten eingestimmt: Selbst wenn der Kanal wieder frei sei, könne es Monate dauern, das durcheinandergewirbelte Kapazitätsaufkommen zu entwirren, heißt es darin. Die Umleitung von Schiffen führe dazu, dass diese in bestimmten Häfen fehlen würden, was die Kapazitätsknappheit verstärke. Es werde keine Ladung mehr angenommen, der kein Stellplatz auf einem Schiff zugesichert werden könne, so Maersk.
Auch Hapag-Lloyd will die Fahrpläne aktuell anpassen. „Wir beraten, ob wir Häfen auslassen, oder die Reihenfolge der Hafenanläufe ändern, um die Verspätungen wieder einzuholen“, sagte ein Sprecher. Klar ist aber, dass die Transportpreise weiter steigen werden. „Schon die Corona-Krise hat für Verwerfungen im maritimen Handel gesorgt und die Preise für den Container-Transport explodieren lassen. Die Schiffshavarie im Suezkanal und ihre Nachwirkungen kommen nun noch als zusätzliche Belastung hinzu. Das treibt tendenziell die Preise für den Seehandel nach oben, was sich früher oder später auch in den Produktpreisen niederschlagen dürfte“, sagt Vincent Stamer, Experte für maritimen Handel am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW).
Worauf muss sich der Hamburger Hafen einstellen?
15 Prozent der 100 Seeschiffe, die den Hamburger Hafen regelmäßig anlaufen, fahren normalerweise durch den Suezkanal. Etwa ein Drittel der im Hamburger Hafen umgeschlagenen Container kommt auf diese Weise in die Hansestadt. Die Blockade werde jetzt zu einem Effekt führen, wie beim Schütteln der Ketchupflasche, befürchtet der Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, Gunther Bonz. Erst werde gar kein Schiff aus Asien mehr kommen, dann kommen plötzlich alle auf einmal.
Dass sich die Frachter auf der Elbe stauen, weil sie nicht in den Hafen einfahren können, ist ausgeschlossen. „Die Schiffe dürfen die Revierfahrt die Elbe hinauf erst antreten, wenn sie einen festen Liegeplatz im Hafen zugewiesen bekommen haben“, so ein Sprecher der Marketingorganisation des Hafens. „Der Rest muss in der Deutschen Bucht ankern.“ Dort könnte es zum Stau kommen.
Wie reagieren die Hafenbetriebe?
„Bis nach Ostern läuft alles normal. Was dann ab Mitte April geschieht, müssen wir sehen“, sagte ein Unternehmenssprecher der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). „Wir bereiten uns aber auf eine höhere Abfertigung vor. Zudem sichern wir uns derzeit rund um die Terminals 100.000 Quadratmeter zusätzliche Flächen, auf denen wir mehrere 1000 Standardcontainer für den Export zwischenlagern können.“
Was machen die Hafenbehörden?
Auch bei der Nautischen Zentrale bereitet man sich vor: Um nach der Wiederaufnahme des Verkehrs im Suezkanal in Hamburg Staus zu vermeiden, erfolge durch die Verkehrsleitstelle für den Hamburger Hafen eine vorausschauende Verkehrsablaufsteuerung, teilte die Hamburg Port Authority (HPA) mit. Der Zu- und Ablauf der Seeschiffe regele sich dabei nach der Verfügbarkeit von Liegeplätzen. „Die Schiffe werden so disponiert, dass sich eine möglichst hohe Auslastung der Kaibetriebe ergibt. Wenn für Schiffe Wartezeiten vorhersehbar sind, wird ihnen die Information rechtzeitig übermittelt. Damit wird eine Ankunft just in time ermöglicht.“