Hamburg. In der Innenstadt ist die Nachfrage nach Einkaufen mit Termin auch nach einer Woche zögerlich. Was der Einzelhandel jetzt fordert.

Als Jörg Harengerd am Montagmorgen seinen Computer hochfährt, haben die ersten schon ihren Ausstieg aus dem Neustart angekündigt. „Die ersten Läden machen wieder zu, weil es nichts bringt“, sagt der Centermanager der Europa Passage. Andere haben die Öffnungszeiten reduziert. Seit vergangenem Montag dürfen die Geschäfte in Hamburg wieder öffnen – mehr oder weniger. Für alle Einkäufe außerhalb des täglichen Bedarfs müssen die Kunden vorher im Internet oder am Telefon einen Termin buchen.

Click & Meet nennt sich die neue Einkaufsregel, die nach drei Monaten Lockdown wieder mehr Freiheiten beim Shoppen bringen soll. In der Europa Passage hatten zwei Drittel der zuvor geschlossenen Einzelhändler darunter Modefilialisten, Schuhgeschäfte und Juweliere für angemeldete Kunden die Türen aufgesperrt, zusätzlich zu knapp 30 Gastrobetrieben und Grundversorgern.

Nur eine Woche später herrscht Ernüchterung. Gerade mal 21.000 Kunden kamen am Sonnabend ins Shoppingcenter – das ist ein Viertel der Frequenz aus der Zeit vor der Pandemie. Und längst nicht alle haben auch gekauft. „Click & Meet ist für den Handel keine Lösung“, sagt Centermanager Harengerd. „Der Aufwand ist zu hoch.“

Corona-Regeln schrecken Kunden ab

Die Passantenzahlen in den Einkaufsstraßen zwischen Hauptbahnhof und Gänsemarkt haben sich nach einem zögerlichen Anstieg beim Start am vergangenen Montag kaum verändert. Maskenpflicht, Hygieneregeln und jetzt noch Terminbuchungen, das schreckt Kunden offenbar ab. Dabei hatten sich viele Läden gut vorbereitet.

„Riesenfreude – Willkommen zurück“ steht auf den Schildern, die im Schaufenster des Karstadt-Hauses an der Mönckebergstraße kleben. Überall hängt inzwischen Frühlingsmode auf den Bügeln. Parallel lassen sich bei der Winterware Schnäppchen mit Abschlägen bis zu 70 Prozent machen. Trotzdem sind fast überall kurzfristig Termine zu bekommen, weil die Kontingente nicht ausgeschöpft werden. Besonders bei kleinen Händlern werden die Reglungen oft auch pragmatisch ausgelegt und man kann bei Angabe der Kontaktdaten auf Zuruf eintreten.

Schlangen nur vor H&M oder Saturn

Auch die inhabergeführten Läden in der Innenstadt kämpfen. „Wir hatten in der vergangenen Woche im Schnitt fünf Termine am Tag“, sagt etwa Verena Weinkath, die mit ihrer Schwester den Modehändler Stegmann am Jungfernstieg managt. Gekauft worden seien vor allem Knöpfe, die das Geschäft traditionell in großer Auswahl führt.

Nur bei Modefilialisten wie Zara oder H&M sowie bei Saturn waren am Wochenende Zeitfenster teilweise ausgebucht und es bildeten sich Warteschlagen vor den Türen. Konkrete Zahlen wollten die Händler auf Nachfrage nicht nennen.

Citymanagerin: "Eine Kundenbindungsmaßnahme"

„Die erste Bilanz ist durchwachsen“, bestätigt Citymanagerin Brigitte Engler. Die großen Fachgeschäfte hätten in den vergangenen Tagen Umsätze von 40 bis 50 Prozent im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit erzielt. „Früher hätte man gesagt, das ist eine Katastrophe, im Moment freut man sich, dass überhaupt etwas passiert.“

Brigitte Engler, hier bei einem Termin zur autofreien Innenstadt.
Brigitte Engler, hier bei einem Termin zur autofreien Innenstadt. © HA | Marcelo Hernandez

Schon vor der Wiedereröffnung sei klar gewesen, dass sich das Einkaufen mit Termin betriebswirtschaftlich nicht rechnen würde. „Es ist eine Kundenbindungsmaßnahme“, hatte Engler schon vor einer Woche gesagt und von einem Test gesprochen. Dabei beklagen viele Händler auch die Wettbewerbsverzerrung im Vergleich zu Schleswig-Holstein, wo die Geschäfte seit einer Woche (noch) ohne Einschränkungen geöffnet sind und vom Einkaufstourismus aus Hamburg profitieren.

Handelsexpertin fordert: "Streicht das Click"

„Streicht das Click“ fordert deshalb nun Brigitte Nolte, Hamburger Geschäftsführerin des Handelsverbands Nord. „Es würde sehr helfen, wenn die Regeln für die Öffnung des Einzelhandels vereinfacht würden.“ Der Verband sieht mehr als ein Drittel der Händler in der Existenz bedroht und fordert weitere Hilfen für den Handel. „Es ist seit einem Jahr nicht der Umsatz da, der gebraucht wird“, sagt die Handelsexpertin.

Das ist auch in den Stadtteilen kaum anders. Im Alstertal Einkaufszentrum etwa sind zwar inzwischen 177 der 246 Geschäfte geöffnet, davon 108 mit Termineinkauf. „Die Menschen freuen sich über die ersten Öffnungsschritte, aber viele müssen sich noch orientieren und umgewöhnen“, sagt Centermanagerin Ludmila Brendel.

Besser läuft es in kleineren Fachgeschäften mit beratungsintensiven Sortimenten. Janine Werth, Inhaberin des Eco-Fashion- und Naturkosmetikladens Werte Freunde am Großen Burstah verbuchte in der ersten Woche mit Click & Meet 90 Termine, für diese Woche haben sich weitere 70 Kundinnen angemeldet. „Das ist unter den aktuellen Corona-Bedingungen die beste Strategie, die es für uns geben kann“, sagt sie.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Centermanager: Handel längt "Intensivpatient"

Wie lange es so bleibt, ist offen. Die Einzelhändler verfolgen gebannt die Entwicklung des Inzidenzwerts, der in Hamburg schon fast wieder bei 100 liegt. Nach Beschluss der Bund-Länder-Konferenz würde das die Rückkehr in den harten Lockdown bedeuten.

Centermanager Harengerd fordert deshalb wie viele andere eine Abkehr von der Orientierung nur an diesem Wert. „Die Politik scheint nicht zu realisieren, dass der Handel auch längst ein Intensivpatient ist.“