Berlin. Elon Musk treibt mit SpaceX die Raumfahrt voran. Doch auch Deutschland will mitmischen. Heimische Firmen greifen den Weltmarkt an.

Wenn Marco Fuchs Nachrichten über Elon Musks Raumfahrtsunternehmen SpaceX im Netz oder im Fernsehen sieht, ist seine Aufmerksamkeit sofort geweckt. Der Chef der Bremer Luft- und Raumfahrtgruppe OHB sieht in dem US-Konkurrent einerseits eine treibende Kraft der Branche – andererseits verschärfen dessen Methoden den Wettbewerb.

„Der Markt verändert sich derzeit rapide“, sagt Fuchs. „Das setzt die europäische Raumfahrtindustrie unter Druck.“ Diese Veränderung sorgt für mehr Wettbewerb und zugleich für neue Chancen.

Elon Musk hat mit SpaceX den Raumfahrtmarkt auf den Kopf gestellt. Die Branche sortiert sich neu, viele junge und mittelständische Unternehmen sprießen empor. Und Deutschland will mitspielen in diesem Milliardenmarkt.

SpaceX und Co: Die Weltraumindustrie sortiert sich neu

Die Geldflüsse in der weltweiten Weltraumindustrie verschieben sich schon seit Jahren. Unter dem Schlagwort „New Space“ haben neu gegründete Firmen seit der Jahrhundertwende die Branche revolutioniert.

Anstelle von Großkonzernen haben diese agilen Privatfirmen begonnen, die gleichen Dienste günstiger anzubieten. Inzwischen ist die Entwicklung gar nicht mehr so neu, und die Start-ups von damals fangen an, ihre Versprechen einzulösen. SpaceX konnte durch die Nutzung wiederverwendbarer Raketen die Kosten für einen Start drastisch senken. Durch die niedrigen Preise tun sich nun ganz neue Anwendungen auf.

Die Weltraumindustrie ist ein Milliardenmarkt

Zugleich wächst der Sektor weltweit weiter. Der Weltraum ist weiterhin Projektionsfläche für nationale Ambitionen der etablierten und aufstrebenden Mächte. Satelliten sind zudem wichtiger denn je, um globale Veränderungen wie den Klimawandel im Blick zu behalten. Vor allem aber werden sie in Datenverarbeitung und Ortung zu einem immer wichtigeren Gegenstück zur Hochtechnik auf dem Boden.

Im Jahr 2019 setzte die Raumfahrtbranche nach Zahlen des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) 366 Milliarden Dollar um. IW-Ökonom Hubertus Bardt erwartet nun weiteres Wachstum und erhebliche Veränderungen für die Branche.

„Sowohl etablierte Unternehmen als auch eine eigene Start-Up-Szene arbeitet unter dem Begriff New Space an neuen Möglichkeiten, die Weltraumtechnik wirtschaftlich zu nutzen“, sagt Bardt.

Deutsche Mittelständler könnten von neuem Trend profitieren

In Deutschland weckt der Trend die Hoffnung, mehr mitzumischen als bisher. Denn auch die Raumfahrtindustrie ist hierzulande mittelständisch geprägt. Die Verlagerung weg von gigantischen Konzernen hin zu beweglichen, spezialisierteren, ideenreichen Firmen kommt der deutschen Wirtschaftsstruktur entgegen.

Da die Projekte kleinteiliger werden, profitieren auch die Neugründungen und Mittelständler, sagt Bardt. Sie stellen beispielsweise Teile für die Ariane-Raketen her, die weiterhin das wichtigste Arbeitsgerät der Europäischen Weltraumorganisation ESA sind – trotz der Einführung preiswerterer Alternativen durch Space Y. Die Ariane Group baut in Bremen beispielsweise die Oberstufe der aktuellen Generation der Ariane.

Die Ariane Group aus Bremen baut unter anderem Teile für die Ariane-Rakete wie hier der Ariane 503, die 1998 erstmals erfolgreich abhob.. .
Die Ariane Group aus Bremen baut unter anderem Teile für die Ariane-Rakete wie hier der Ariane 503, die 1998 erstmals erfolgreich abhob.. . © picture-alliance / dpa | Fotoreport ESA/CNES/Arianespace

Deutsche Satelliten sind weltweit gefragt

Verschiedene deutsche Unternehmen bauen auch ganze Satelliten, die wegen ihrer Qualität weltweit schwer gefragt sind – darunter OHB. Ein aktuelles Beispiel ist der Bau von zwei Klimabeobachtungs-Satelliten im Rahmen des Programms „Copernicus“ der ESA.

Die Messdaten sollen helfen, das Ausmaß des Klimawandels exakter zu bestimmen. „Es gilt es für den New-Space-Sektor noch viel mehr als in der klassischen Raumfahrt, möglichst kostengünstig und schnell zu planen“, so Fuchs.

Klassische Weltraumbahnhöfe haben ausgedient

Dank Hochtechnik und digitaler Anwendungen sind inzwischen auch Mini-Satelliten gefragt, die nur wenige Kilogramm wiegen. Auch die Kosten für den Transport in den Orbit sinken rasch. In der Gewichtsklasse unter 500 Kilogramm ist es auch nicht mehr so wichtig, am Äquator zu starten.

Riesige Raketen verlieren an Bedeutung, ebenso die großen Weltraumbahnhöfe wie Kourou in Französisch-Guyana, die nach ihrer geografischen Lage ausgesucht wurden. Kleine Nutzlasten lassen sich gut auch von der Nordhalbkugel aus starten.

Weltraumbahnhof in der Nordsee ist im Gespräch

OBH-Chef Fuchs träumt bereits von einem eigenen Weltraumhafen an oder in der Nordsee. „Ein Offshore-Weltraumbahnhof hat das Zeug dazu, Deutschland in der Raumfahrt einen gewaltigen Schritt nach vorne zu bringen“, sagt Fuchs.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) steht hinter der Idee. Im Gespräch sind derzeit beispielsweise eine schwimmende Plattform vor Sylt oder die Nutzung des Flugplatzes Nordholz bei Cuxhaven.

Wer mit seinen Raketen in Deutschland bleibt, muss auch nicht aufwendig eine Genehmigung für die Ausfuhr einholen. „Der Bedarf ist jedenfalls klar da.“ In den kommenden Jahren stehe enormes Wachstum für Klein- und Kleinstsatelliten bevor.

Berliner Start-Up schwimmt auf dem Trend mit

Ein Unternehmen, das auf dem Trend mitschwimmt, ist Berlin Space Technologies (BST), gegründet von Ingenieuren der TU Berlin. „Wir machen uns bereit, jährlich über 250 Satelliten herzustellen“, sagt Mitgründer Tom Segert. Die Massenproduktion soll dabei ein indischer Auftragshersteller übernehmen.

Das Beispiel BST zeigt aber auch, wie schwer es Neugründungen in Deutschland haben. Die drei Gründer haben ihr Unternehmen zehn Jahre lang neben ihren Brot-Jobs aufgebaut, weil es in allen Phasen an Geld mangelte. Erst seit 2015 kann man von so etwas wie einer Auftragslage sprechen.

In Deutschland hat es die Gründerszene schwer

In den USA fließt Investorengeld wesentlich üppiger, junge Unternehmen können mehr ausprobieren – und dabei dem Management sogar Gehälter zahlen. In Deutschland hat es die Gründerszene schwerer – doch andererseits ist BST heute auch stolz darauf, sich „ohne Banken und Risikokapitalgeber an den Haaren aus dem Sumpf gezogen zu haben“, wie Segert sagt.

„Wir haben am Anfang unsere Professoren überzeugt, uns Laborplätze an der Uni verwenden zu lassen.“ Das Team hat den letzten Cent, der hereinkam, in Ausrüstung investiert – und auf Kunden gehofft.

Einer der ersten größeren Aufträge für BST kam vom Stadtstaat Singapur, für den das Berliner Team den kleinen Satelliten „Kent Ridge 1“ gebaut hat, um damit vom Weltraum aus mit Spezialkameras Land- und Wasserflächen sowie den Pflanzenwuchs zu beobachten.

Nach den häufigen Naturkatastrophen in Südostasien lassen sich damit schnell die Folgen einschätzen. Zu den größeren Kunden von BST gehören heute der türkische Technikkonzern STM und die ägyptische Weltraumagentur EGSA.

Der leichten Satelliten von BST werden bisher typischerweise von kleinen indischen Trägerraketen kostengünstig ins All befördert. Bald sollen solche Anbieter von Weltraumtransporten jedoch erste Konkurrenz aus Deutschland bekommen.

Deutsches „Space-Race“ hat begonnen

Das Unternehmen Isar Aerospace beginnt in diesen Tagen mit dem Bau seiner ersten Raketen. Die 27 Meter lange „Spectrum“ ist im Umfeld der TU München entstanden. Das Unternehmen sammelt Kapital von Geldgebern in der Industrie ein, darunter von Airbus.

Auch OHB mischt im Markt mit den Starts mit und finanziert das Unternehmen Rocket Factory Augsburg, das ab 2022 kleine Nutzlasten bis 1,1 Tonnen in Erdumlaufbahnen heben will. Die Rocket Factory plant mittelfristig einen Börsengang, um Investorengeld einzusammeln. OHB-Chef Fuchs sieht in den vielen Neugründungen und Initiativen bereits ein „deutsches Space-Race“, ein Rennen ins All. Das Wort stammt aus der Zeit der Rivalität der Supermächte USA und Sowjetunion, doch damals hätte noch niemand „deutsch“ damit in Verbindung gebracht.

OHB-Chef Marco Fuchs sieht ein deutsches „Space Race“.
OHB-Chef Marco Fuchs sieht ein deutsches „Space Race“. © OHB

Vom staatlichen Wettrennen zum Club der Milliardäre

Als die Raumfahrt 1957 mit dem ersten sowjetischen Satelliten „Sputnik“ seinen Anfang nahm, war sie militärisch geprägt und behördlich organisiert. Die Kosten spielten im Wettrennen der Supermächte und der Systeme letztlich keine Rolle, sie wollten den Konkurrenten auszustechen und kulturelle Meilensteine wie die erste Mondlandung möglich machen. Stattdessen war jedes Vorhaben von Formularen, Regularien, politischer Einflussnahme und den Irrationalitäten der Verwaltung umstellt.

Unternehmer wie Elon Musk (Paypal, Tesla), Richard Branson (Virgin Group) oder Jeff Bezos (Amazon) schaffen nun durch private Firmengründungen eine neue Herangehensweise. Sie versprachen der US-Regierung, Weltraumtransporte unter privaten Vorzeichen wesentlich effizienter anbieten zu können.

Es ist ein Club der Milliardäre, der jetzt die Raumfahrt vorantreibt. SpaceX baue die besten Raketen und biete die günstigsten Konditionen, sagt Fuchs. Musk ist es gelungen, den Preis für einen Satellitenstart auf ein Zehntel der früher üblichen Summen drücken. Das ist auch für staatliche Projekte wichtiger denn je, denn die Öffentlichkeit hinterfragt heute jeden Euro, der ins All verfeuert wird.

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SpaceX hat sich als Anbieter etabliert

Zuletzt waren die Beobachter der Musk-Gründung SpaceX einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt. Mitte Dezember explodierte ein experimenteller Prototyp der großen Rakete „Starship und Super Heavy“ bei einem Landeversuch.

Im November gab es dagegen eine dicke Erfolgsmeldung über ein etabliertes System: SpaceX hat erfolgreich zwei Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS abgeliefert. SpaceX ist heute ein ganz realer Anbieter von hoch nachgefragten Weltraum-Diensten.

Die Geräte sind, wie es sich für eine Musk-Gründung gehört, besonders digital und intelligent. Die Starts sind günstig, weil die Raketen nach ihrer Mission wieder auf der Erde landen und erneut zum Einsatz kommen. Vielen jungen Start-Ups eifern der risikobereiten Haltung von Musk nach.

Elon Musk feiert die Erfolge seines Weltraumunternehmens SpaceX.
Elon Musk feiert die Erfolge seines Weltraumunternehmens SpaceX. © imago images/ZUMA Wire | Robert Markowitz/Nasa via www.imago-images.de

Elon Musk will Tausende Satelliten ins All schicken

Musk testet zugleich neue Anwendungen für günstige Starts aus. Beispiel „Starlink“: Mit Schwärmen von Mini-Satelliten in niedrigen Umlaufbahnen will Musk weltweit schnelles, günstiges Internet anbieten. Die Bundesnetzagentur hat gerade grünes Licht dafür gegeben, den Dienst auch in Deutschland zu nutzen.

SpaceX hat bereits 800 der Satelliten rund um den Planten platziert, nach Fertigstellung des Netzes sollen es 4400 sein. In einigen amerikanischen Staaten lässt sich im Testbetrieb schon eine Internetverbindung aufbauen. Die tieffliegenden Satelliten verändern bereits den Himmel: In der Dämmerung tauchen sie als helle Lichtpunkte auf.

Die EU will dahinter nicht zurückstehen und seine eigene Alternative zu Starlink starten – so wie sie dem US-Positionssystem GPS ihre Alternative Galileo an die Seite gestellt hat. So läuft noch immer ein „Space Race“ zwischen großen Wirtschaftsblöcken – aber unter positiveren Vorzeichen als im Kalten Krieg.