Hamburg. Ein offenes Ohr ist ihm ebenso wichtig wie die klare Ansage. Gespräch über Veränderung und eine Welt, die nicht nur schwarz oder weiß ist

Alexander Otto ist auf den ersten Blick ganz klar der ruhige Typ. Der jüngste Sohn des Versandhausgründers Werner Otto leitet seit 20 Jahren die Immobiliengruppe ECE, die durch ihre 200 Shoppingcenter bekannt wurde, aber weltweit auch Bürogebäude, Hotels sowie Wohnungen entwickelt und betreibt. Der Chef von 3400 Mitarbeitern ist Zuhören ebenso wichtig wie ein kooperativer Führungsstil – aber auch der klaren Entscheidungen.

Hamburger Abendblatt: Woran denken Sie als Chef eines großen Unternehmens wie ECE bei dem Motto „Laut oder leise“?

Alexander Otto: Laut oder leise – das kommt ganz auf die Situation an. Es gibt solche, da ist eher Zuhören gefragt, und man muss sehr gut darüber nachdenken, was man sagt. Und dann gibt es andere Situationen, in denen es sehr wichtig ist, eine starke Position zu beziehen. Wichtig ist, sich darauf und auf sein Gegenüber einzustellen. Deshalb denke ich, dass die Antwort auf die Frage sehr individuell und situativ ausfällt. Das Interessante ist ja auch, dass das jeder Mensch anders empfindet: Was der eine als laut betrachtet, sieht der andere noch als leise – und umgekehrt. Deshalb finde ich, ist das eine spannende Fragestellung.

Wer Sie erlebt hat, wird Sie sicher als ruhigen, zurückhaltenden, eher leisen Menschen beschreiben. Wie sehen Sie sich selbst?

Otto: Als Unternehmer ist es wichtig, rational, abgewogen zu entscheiden. Erst einmal gut zuzuhören ist ein ganz entscheidender Teil der Führung. Das ist mir persönlich sehr wichtig. Denn es ist elementar, um die Menschen auch hinter sich zu bringen. Aber gerade bei größeren Veränderungen oder Richtungsentscheidungen ist es mir manchmal auch wichtig, lauter zu kommunizieren. Ich glaube, ich bin eigentlich eher ein zurückhaltender Typ. Ich kann aber auch anders sein: Wenn ich mich auf dem Tennisplatz oder im HSV-Stadion ärgere, dann kann ich auch laut sein.

Das kann ich mir gut vorstellen. Gerade ein Fußballverein ist ja ein eher lautes Terrain …

Otto: Genau das denkt man – wobei es gerade da wichtig ist, bei aller Leidenschaft, die zum Sport dazugehört, seine Emotionen im Griff zu behalten, wenn es darauf ankommt.

Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?

Otto: Ich versuche immer eine rationale Basis zu finden. Dazu gehört, Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen und dann zu einer Entscheidung zu kommen. Aber natürlich ist auch Rationalität subjektiv und die Entscheidung immer geprägt von eigenen Erfahrungen. Mir ist wichtig, Aufgaben und Verantwortung den Mitarbeitern zu übertragen. Die wirklich erfolgreichen Unternehmen heute lassen Mitarbeitern viel Raum, eigene Entscheidungen zu treffen. Mikromanagement aus einer kleinen Chefetage ist heute nicht mehr gefragt und führt normalerweise auch zu keinen guten Ergebnissen. Ein kooperativer, partnerschaftlicher Führungsstil ist total wichtig und motivationsfördernd. Das versuche ich zu praktizieren.

Wie wichtig ist zuhören für einen Chef?

Otto: Das ist absolut wichtig. Wir haben bei uns klare Präsentationsregeln erarbeitet. Und dann höre ich zu, bevor ich eine Entscheidung treffe. Aber das kann auch einmal anders sein: Wenn ich sehe, da läuft etwas völlig aus dem Ruder oder da geht etwas komplett in die falsche Richtung, und ich habe das Gefühl, da muss ich jetzt dringend eingreifen – dann mache ich das natürlich auch. Zuhören ist ex­trem wichtig, informiert Entscheidungen treffen ebenfalls. Aber ebenso wichtig ist es auch, Entscheidungen nicht auf die lange Bank zu schieben und die auch klar zu kommunizieren.

Wie gehen Sie mit Stress um?

Otto: Stress ist für mich eigentlich nichts Negatives. Ich empfinde das manchmal sogar als richtig positiv: Stress bedeutet Dynamik und Aktivität, und man verfolgt viele Ideen oder Projekte parallel. Darunter leide ich nicht. Aber ich brauche dann einen Ausgleich. Das ist für mich zum einen Sport: Da muss ich mich dann richtig auspowern. Manchmal brauche ich dann aber auch einen ganz ruhigen Ausgleich: Dann lese ich oder beschäftige mich mit Kunst. Das ist eine meiner ruhigen Leidenschaften.

Oder wie steht es mit Musik?

Otto: Leider bin ich nicht talentiert genug, selbst ein Instrument zu spielen. Aber umso mehr mag ich gute Musik.

Welche Musik lieben Sie?

Otto: Auch das kommt ganz auf meine Stimmung an: Das kann mal Partymusik sein zum Tanzen. Da ist bei mir – wahrscheinlich generationsbedingt – die Musik der 80er-Jahre ganz großgeschrieben. Aber ich mag auch Countrymusik sehr gern – und in den ruhigen Momenten die klassische Musik.

Kommunizieren Sie lieber in der großen Konferenz – oder im Zweiergespräch? Was empfinden Sie als zielgerichteter?

Otto: Beides gehört ja zu meinem Job. Und auch da kommt es auf den Kontext an. Gerade jetzt in der Corona-Zeit spreche ich noch mehr in Videokonferenzen mit vielen zugeschalteten Teilnehmern. Das ist auch ein Vorteil, wenn man Entscheidungen oder Ziele direkt in einer größeren Runde kommuniziert. Das ist ein transparenter Prozess und häufig besser, als wenn es erst über mehrere Kanäle sukzessive kommuniziert wird. Da finde ich eine größere Runde zielführend. Aber es gibt auch viele Themen, die ich lieber unter vier Augen bespreche. Insbesondere Kritik, finde ich, sollte man nicht im größeren Rahmen, sondern im Zweier­gespräch üben.

Laut oder leise: Welcher Typus Chef prägt die Wirtschaft? Hat sich das verändert in den vergangenen Jahrzehnten?

Otto: Ja, ich denke schon. Ich habe ja meinen Vater Werner Otto sehr stark erlebt. Er ist ein großes Vorbild für mich. Er hat die Otto Group und die Immobiliengruppe ECE aufgebaut. In so einer Aufbauphase ist es wichtig, sehr deutlich zu kommunizieren, und er war durchaus jemand, der auch laut sein konnte und klare Entscheidungen getroffen hat. Und die hat er auch sehr vehement vertreten. Da war Widerspruch nicht immer gefragt – auch wenn er sehr nahbar und auch sehr humorvoll war. Aber damals war auch der Umgang insgesamt miteinander viel förmlicher. Aber die Unternehmenskultur hat sich zu Recht verändert.

Was genau meinen Sie damit?

Otto: Die Arbeitsteilung ist deutlich größer, und der Teamgedanke sowie die Übernahme von Verantwortung durch jeden Einzelnen werden immer wichtiger. Das ist auch gut und richtig so.

Seit 2015 kann jeder ECE-Mitarbeiter Du zu Alexander Otto und den anderen Chefs sagen. Hat das viel verändert im Unternehmen?

Otto: Für die meisten Mitarbeiter war das ein sehr positives Signal. Als ich im Jahr 2000 ECE-Chef wurde, haben wir alle Sie zueinander gesagt. Aber mit dem kulturellen Wandel in der Gesellschaft, der natürlich auch mein Unternehmen betrifft, hat sich das zunehmend verändert. Einige Mitarbeiter habe ich geduzt, weil ich mit ihnen im Sportverein war. Das wurde zunehmend komplizierter. Und es konnte der Gedanke entstehen, da wird jemand bevorzugt, weil er den Chef duzt. Jetzt sind wir in der Kommunikation alle auf der gleichen Ebene, was auch mehr Nähe und damit Austausch untereinander schafft. Das ist doch überall so: Beim Elternabend duzt man sich sofort, obwohl man sich gar nicht kennt. Beim HSV klopfen mir andere Fans auf die Schulter und duzen mich. Das ist doch positiv.

Laut oder leise: Und welcher Typus Unternehmer und Chef kommt bei Partnern und Mitarbeitern besser an? Wer gewinnt ihr Vertrauen? Wer fördert und führt besser?

Otto: Sicherlich der Chef, der zuhört, der den Mitarbeitern Entscheidungsfreiräume gibt, aber natürlich auch einer, der authentisch, offen und ehrlich ist. Ein guter Chef muss auch negative Nachrichten richtig herüberbringen und auch unpopuläre Entscheidungen nachvollziehbar begründet vertreten können.

Was würden Sie der nachwachsenden Unternehmergeneration empfehlen?

Otto: Wichtig ist zunächst einmal Respekt zu haben – allen Mitarbeitern gegenüber, ganz egal, welche Funktion sie haben. Außerdem muss ein Chef die Bereitschaft haben, von anderen zu lernen und erst einmal zuzuhören, bevor er alles weiß oder vielleicht auch besser weiß.

Viele junge Manager finden heute Antworten superschnell bei Google und haben auch eine schnelle Auffassungs­gabe – aber sie sind gut beraten, sich nicht nur auf diese tolle Gabe zu verlassen, sondern auch durch Zuhören ein Netzwerk in der Firma aufzubauen. Ein erfolgreicher Manager muss auch Menschen tolerieren und schätzen, die anders sind als er. Und bei allem Blick in die Zukunft: Es ist wichtig, auch einmal in den Rückspiegel zu schauen, um zu sehen, welche Fehler und Erfahrungen schon gemacht wurden.´

Wie ist das jetzt gerade in der Corona-Zeit: Muss man auf die Leisen mehr achten, sie mehr fördern? Ist die Zeit der Pandemie für die leisen Mitarbeiter schwieriger?

Otto: Ich glaube schon. Die Corona-Krise stellt uns alle vor besondere Herausforderungen. Auch beim Thema Führung. Man trifft sich nicht mehr zufällig in der Mittagspause oder auf dem Gang. Videokonferenzen sind effizienter und straffer geführt. Da fehlt vielen auch die Chance für einen persönlichen Austausch. Deshalb müssen Führungskräfte gerade in dieser Zeit noch mehr darauf achten, gut zu kommunizieren und Mitarbeiter mitzunehmen. Das ist nicht leicht. Deshalb überlegen wir bei ECE gerade, wie wir den Austausch der Mitarbeiter untereinander in dieser Zeit fördern können, auch informell. Wir versuchen, da unser Fitnessraum in der Firma geschlossen ist, gemeinsamen Sport unter den Mitarbeitern zu initiieren. Aber wir ermuntern die Kollegen auch zu internen digitalen Vorträgen und Diskussionen per Video. Natürlich erreicht man damit nicht jeden. Aber ich glaube, man muss Angebote schaffen.

Also der persönliche Kontakt auf dem Gang wird ein wenig durch digitale Angebote ersetzt?

Otto: Das ist natürlich nicht das Gleiche, aber unter diesen Bedingungen wohl das einzig Machbare, um den persönlichen Austausch zu fördern. Ich habe seit Corona immer wieder digitale Mitarbeitergesprächsrunden angeboten. Da können sich jeweils bis zu zwölf Kolleginnen und Kollegen registrieren. Und dann habe ich per Video mit ihnen gesprochen und ihre Fragen beantwortet, aber ich habe dabei immer auch versucht, einen Austausch unter den Mitarbeitern anzustoßen.

Das klingt ja geradezu nach einer Chance in der Krise. Da war es doch bestimmt gerade für die Mitarbeiter, die nicht in Hamburg arbeiten, viel leichter, einmal mit dem Chef zu sprechen – oder?

Otto: Ja, das stimmt. Vor allem für unsere Standorte im Ausland war das sehr gut. Ich habe gerade letztens mit einer Gruppe von fünf tschechischen Kolleginnen und Kollegen gesprochen, die sich gemeinsam angemeldet hatten. Sie haben berichtet, welche Probleme sie beschäftigen, und sie hatten auch viele Fragen. Aber normalerweise würden sie dafür natürlich nicht extra nach Hamburg kommen. Für die Mitarbeiter in der Ferne ist das sehr schön. In Hamburg mache ich solche Runden auch sonst regelmäßig und in Präsenz. Wenn man dann zusammen beim Kaffee sitzt, dann ist das natürlich noch ein wenig persönlicher …

Was meinen Sie: Sind Politiker wie unser eher ruhiger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und die ebenfalls dezente Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) genau die Richtigen in einer solchen Zeit der Pandemie, weil sie mit Ruhe das Vertrauen der Bürger gewinnen?

Otto: Absolut! Und ich muss sagen: Ich bin sehr zufrieden mit der politischen Führung in dieser Zeit. Das ist keine einfache Aufgabe. Und was ich gut finde, ist, dass gerade durch die Krise die Bundesregierung deutlich mehr Geschlossenheit bewiesen hat. Das war ja vorher nicht unbedingt der Fall. Dadurch punkten wir bislang in der Krise.

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Sie sind ja mit ECE international vertreten und begegnen in Ihrer Arbeit vielen anderen Kulturen. Sehen Sie da Unterschiede im Umgang mit „laut“ oder „leise“?

Otto: Sie können jetzt sagen, das entspricht den generellen Vorurteilen, aber ich erlebe es so: Die asiatischen Kulturen sind sehr stark vom Zuhören geprägt und entscheiden vielfach im Gremium. In Nordamerika ist der Fokus sehr stark auf den Chef, den CEO gerichtet. Von denen wird klar entschieden. Und das wird auch von den Mitarbeitern vielfach so erwartet. Da gibt es sehr gute, erfolgreiche – und auch sehr schlechte Beispiele. Wenn einer allein entscheidet, dann kann ein Unternehmen bei den richtigen Entscheidungen Dinge sehr schnell umsetzen und Erfolg haben – aber bei den falschen Entscheidungen kann es auch sehr schnell das Ende eines Unternehmens bedeuten.

Das Magazin

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