Hamburg. Trotz Handelsabkommens müssen Firmen aus der Hansestadt mit Problemen im Großbritannien-Geschäft rechnen – vor allem der Mittelstand.

Viel knapper hätte es kaum werden können: Vor viereinhalb Jahren haben die Bürger Großbritanniens in einem Referendum für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union (EU) gestimmt – und nur gerade einmal sieben Tage vor dem Ablauf der letzten Übergangsfrist konnten sich London und Brüssel auf einen Vertrag einigen, der für beide Seiten die Folgen des Ausscheidens der Briten aus dem EU-Binnenmarkt abmildert.

Ohne einen solche Vereinbarung wäre es zu einem so genannten „harten Brexit“ gekommen. Das bedeutet: Großbritannien wäre mit dem Jahreswechsel 2020/2021 von einem Tag auf den anderen im Hinblick auf die Wirtschaftsbeziehungen genau so behandelt worden wie etwa Äquatorialguinea oder die Mongolei.

Doch welche Bedeutung hat der Brexit-Vertrag für die Handelsdrehscheibe Hamburg? Welche Probleme und Risiken konnten noch nicht ausgeräumt werden? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.

Welche Rolle spielt Großbritannien als Handelspartner Hamburgs?

Das Vereinigte Königreich ist als Handelspartner der Hansestadt bedeutender, als viele Menschen wohl vermuten würden: Nach Frankreich und China war Großbritannien im vorigen Jahr für Hamburg das drittwichtigste Ausfuhrland. Es wurden Güter im Wert von 3,6 Milliarden Euro dorthin exportiert, vor allem Flugzeuge und Flugzeugteile im Rahmen des Airbus-Produktionsverbunds sowie chemische Vorerzeugnisse.

Lesen Sie auch:

Unter der Importländern Hamburgs rangieren die Briten auf dem siebten Platz mit einem Volumen von 2,1 Milliarden Euro. Auch hier dominieren die Flugzeugteile, gefolgt von Erdöl beziehungsweise Erdgas, hochprozentigen Alkoholika und Autos.

Wie eng sind die Firmenbeziehungen zwischen England und Hamburg?

Die Wirtschaftsverflechtungen zwischen Hamburg und Großbritannien haben eine lange Tradition: Im Jahr 1266 gewährte der englische König Henry III den Kaufleuten aus Hamburg und Lübeck eine Reihe von Privilegien, unter anderem die Befreiung von jeglicher Warensteuer. Heute unterhalten laut Handelskammer rund 1000 Unternehmen in Hamburg Geschäftsbeziehungen zu Großbritannien, 200 Firmen sind dort mit einer Niederlassung präsent, umgekehrt haben 70 britische Unternehmen in Hamburg einen Sitz.

Einige Beispiele für die Verflechtungen: Airbus hat etwa 12.500 Beschäftigte in Großbritannien, für das Hamburger Privatbankhaus Berenberg arbeiten mehr als 400 Menschen in London, die britisch-niederländischen Konzerne Shell und Unilever haben in Hamburg ihre Deutschlandzentrale.

Was bedeutet der Brexit-Vertrag für Hamburg?

„Die Bedeutung des Brexit-Vertrags für Norddeutschland und für Hamburg ist groß“, sagt Henning Vöpel, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). „Ohne das Abkommen wäre es kurzfristig unmöglich geworden, Handel mit Großbritannien zu treiben, Wertschöpfungsketten wären zusammengebrochen.“

Auch Alexander Anders, Geschäftsführer der IHK Nord, begrüßt den Vertrag: „Unsere im Ausland aktiven Unternehmen bekommen dadurch die notwendige langfristige Rechtssicherheit für ihre Investitionen und Geschäftsaktivitäten.“ Einen kompletten Ersatz für die Vorteile des Binnenmarktes könne das Abkommen aber nicht bringen, sagt Malte Heyne, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg. Von Airbus hieß es, man müsse die konkreten Auswirkungen auf das Geschäft noch analysieren, „aber wir sind erfreut, dass der durch ein ‚No-Deal‘-Szenario drohende Bruch abgewendet wurde.“

Was ist in dem Vertrag geregelt?

Es handelt sich im Kern um ein Freihandelsabkommen, das im Warenverkehr weder Zölle noch Quoten vorsieht und damit bedeutende Handelshemmnisse abwendet. Geregelt werden außerdem Bedingungen für staatliche Beihilfen sowie Standards im Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz sowie im Umwelt- und Klimabereich. Ein Knackpunkt waren zuletzt noch die Fischfangrechte.

In mehreren Telefonaten konnten sich der britische Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schließlich auf einen Kompromiss einigen. EU-Flotten müssen in den nächsten Jahren ihre Fänge in britischen Gewässern um ein Viertel des bisherigen Umfangs verringern.

Welche Folgen hätte ein „harter Brexit“ gehabt?

Ohne ein Abkommen hätten zum Beispiel auf Autos, die von Großbritannien in die EU importiert werden, Zölle von 10 Prozent gedroht, erklärt Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank (HCOB): „Bei einigen Agrarprodukten wie Lamm- und Rindfleisch würde die EU mit einem Zollsatz von 40 Prozent zuschlagen.“ Hinzu kämen Hemmnisse wie Sicherheitskontrollen und Verwaltungskosten etwa für Belege dafür, dass bestimmte Normen und Standards eingehalten werden - und solche Kosten könnten schwerer wiegen als die Zölle selbst.

Welche Probleme und Risiken bleiben bestehen?

Das Abkommen gilt nicht für Dienstleistungen, die aber fast die Hälfte aller britischen Exporte ausmachen. Es handelt sich vor allem um Finanzdienstleistungen. „Damit ist Hamburg von dieser Lücke im Vertrag nicht so stark betroffen“, sagt Vöpel. Aber auch im Warenverkehr werde es trotz der Einigung „Papierkram zuhauf“ geben. In dem rund 2000 Seiten starken, unter enormem Zeitdruck formulierten Dokument finde sich „sehr viel Kleingedrucktes“, und wie dies ausgelegt werde, müsse erst die Praxis zeigen.

„Es ist keine Frage, dass da noch negative Überraschungen drohen“, so der HWWI-Direktor. Dies belaste vor allem Mittelständler ohne umfangreiche Rechtsabteilung. Unsicherheiten brächten auch die neuen Visa-Regeln: „Da wird man Ausnahmen schaffen müssen, um die Freizügigkeit von Arbeitnehmern nicht zu sehr einzuschränken.“


Wer profitiert stärker von dem Vertrag, die EU oder Großbritannien?

„Trotz des Abkommens bleibt der Brexit ein Verlustgeschäft für alle Beteiligten“, glaubt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg-Bank. Die britische Wirtschaft verliere den vollständig freien Zugang zu ihrem größten Absatzmarkt im Ausland. Die EU hingegen verliere ein wichtiges Mitglied. „Als Folge des britischen Ausscheidens schrumpft der Binnenmarkt der EU um knapp 16 Prozent“, so Schmieding, „dies schwächt die Position Brüssels in internationalen Verhandlungen.“
Wird der Brexit rückgängig gemacht?

Darauf sollte man – zumindest für die absehbare Zeit – nicht hoffen, meint Schmieding: „Das Thema EU hat das Vereinigte Königreich so gespalten und ins politische Chaos getrieben, dass sich die britische Seite eine erneute Diskussion darüber für mindestens eine Generation nicht mehr zumuten dürfte.“