Hamburg. Hamburger Technologieberatungsagentur verleiht und verkauft Hightechprodukte an Unternehmen – nun auch eine neue Datenbrille.

Ein großer Teil der Hamburger, die seit mehr als einem halben Jahr im Homeoffice arbeiten, wird diese Erfahrung schon gemacht haben: Videokonferenzen am Computer sind technisch noch unzulänglich, außerdem sind sie anstrengender als ein „echtes“ Meeting in einem Besprechungsraum. Mit einem Produkt, das eigentlich für die Onlinespiele-Szene gedacht war, könnte jedoch eine Verbesserung erreicht werden, glaubt Nick Sohnemann, der Chef der Hamburger Technologieberatungsagentur Future Candy: „Mittels einer Datenbrille können sich Teams virtuell treffen – und die zwischenmenschliche Ebene bleibt dabei nicht außen vor.“

Solche Brillen, die künstlich erzeugte Objekte in die reale Umgebung einblenden können – der Fachbegriff dafür lautet „augmented reality“ (AR) oder „erweiterte Realität –, erlauben es zum Beispiel den Mitarbeitern einer Projektgruppe, gemeinsam Pläne auf einer digitalen Wandtafel zu entwickeln, um ein neues Produkt herumzugehen und sich frei im Raum zu bewegen, als wären sie alle zusammen dort. Die zuvor eingescannten Gesichter der Kollegen werden auf einen angedeuteten Körper montiert.

Viele sind müde von den üblichen Videokonferenzen

„Alle sind müde von den normalen Videokonferenzen“, sagt Sohnemann. „Mit der Datenbrille ähnelt das Erlebnis viel eher dem, das man in einem realen Konferenzraum hat.“ Dabei seien es auch schon Kleinigkeiten die einen Unterschied machen: „Man hört, aus welcher Richtung der Ton kommt, wenn jemand spricht.“ Und anders als in den üblichen Video-Schaltungen können sich zwei Teilnehmer etwas von den anderen „absetzen“ und sich zwischendurch separat unterhalten, ohne die anderen, die sie aber weiter leise hören, zu stören – ebenfalls wie in einem echten Besprechungsraum.

Nach einer kurzen Einführung durch Mitarbeiter von Future Candy haben unter anderem Teams des Hamburger Nivea-Herstellers Beiersdorf, des Discounters Lidl und des Nahrungsmittelkonzerns Oetker die AR-Brillen erprobt. „Alle sind überrascht, wie einfach das geht“, sagt Sohnemann. Ausprobieren können die Unternehmen diese Technik im Rahmen der „Tech Flat“, eines Abo-Modells, das es den Kunden erlaubt, Innovationen wie die neuesten Roboter, 3D-Drucker oder Drohnen auszuleihen und mit fachlicher Anleitung durch Future Candy auf ihren Nutzen für die Firma zu testen. Rund 40 solcher Abo-Kunden haben die Hamburger, aber die AR-Brillen stoßen auch bei anderen Firmen auf Interesse: „Es kommen immer mehr Anfragen“, sagt Sohnemann.

Die Brille kostet bis zu 3500 Euro

Unternehmen, die mit dieser Technik dauerhaft arbeiten wollen, müssen sich die Brillen dann selbst kaufen. Ein besonders hochwertiges „Microsoft Hololens“-Modell koste zwar rund 3500 Euro. Wer aber auf günstigere Brillen zurückgreife, komme schon mit weniger als insgesamt 1000 Euro für vier Teilnehmer aus, erklärt der Future-Candy-Chef. Mit einem Gewicht von 200 bis 300 Gramm seien die Geräte nicht mehr so schwer, dass man sie schnell als lästig empfinde: „Bis zu zwei Stunden kann man sie problemlos tragen.“

Sohnemann räumt allerdings ein, dass man nicht für jede Videokonferenz gleich in die erweiterte oder die virtuelle Realität (VR) einsteigen muss: „Für ein einfaches Abstimmungsmeeting ist das nicht nötig. Interessant wird es, wenn man dreidimensionale Objekte präsentieren oder wirklich kreativ im Team arbeiten will.“ Manche Test-Nutzer waren zunächst irritiert über die dürftige Qualität, in der die Gesichter der Kollegen dargestellt werden. „Nach einer Weile stört das aber nicht mehr so sehr, weil man ja die echten Stimmen hört“, findet Sohnemann. Zudem sei beabsichtigt, die Darstellung zu verbessern, indem die Möglichkeit geschaffen werde, vorher einen 3D-Scan der teilnehmenden Personen zu laden – damit kann auch der jetzt noch verwendete Körper-“Platzhalter“ ersetzt werden.

Rollende Roboter fahren bei der Techniker Krankenkasse

Dank der neuen Technologie könnten Menschen über den gesamten Globus miteinander arbeiten, ohne lange Reisewege in Kauf nehmen zu müssen, so Sohnemann. Dies trage zu einer ressourcenschonenden Lebensweise bei. Doch habe es auch Nachteile, wenn man nur noch selten an neue Orte gelange: „Mir fehlen die überraschenden Momente, die plötzlichen Entdeckungen, die mit dem Reisen verbunden sind“, sagt der Future-Candy-Chef. Daher bietet die Agentur virtuelle Reisen zu Digitalunternehmern zum Beispiel in China oder im Silicon Valley an, die auch kulturelle Einblick in das jeweilige Umfeld gewähren sollen.

Ein anderes Produkt, das über das Technologie-Abo ausprobiert werden kann, ist ein rollender Roboter mit einem Bildschirm ungefähr in Augenhöhe. Auf dem Bildschirm ist das Gesicht einer Person zu sehen, die den Roboter per eingebauter Videokamera durch Büros und Lagerhallen steuern kann. Eingesetzt werde dieser zum Beispiel bei der Techniker Krankenkasse, sagt Sohnemann: „Damit kann ein Manager, der aus gesundheitlichen Gründen im Homeoffice bleiben muss, Kollegen im Büro besuchen und auch mit ihnen in der Kantine Kaffee trinken ,gehen’, als wäre er dort.“