Berlin. N26-Gründer Valentin Stalf spricht im Interview über Strafzinsen, die Start-Up-Kultur und die harsche Kritik von Jan Böhmermann.
Ruhig ist es bei der Online- und Smartphonebank N26 selten. Seit Jahren mischt die Berliner Bank den Markt auf, verzeichnet rasante Wachstumszahlen und ist mittlerweile in 25 Ländern vertreten.
Doch immer wieder gibt es Kritik. Im vergangenen Jahr fand die Finanzaufsicht Bafin Mängel bei den Vorkehrungen gegen Geldwäsche, in diesem Jahr stemmte sich die Führungsetage gegen die Gründung eines Betriebsrats und führte Strafzinsen ein. N26-Gründer und Chef Valentin Stalf spricht im Interview über die Turbulenzen.
Herr Stalf, viele Menschen haben im Lockdown Zeit, sich mit ihrem Geld zu beschäftigen. Hat N26 davon profitiert?
Valentin Stalf : Deutschland hat sich lange sehr schwer mit der Kartenzahlung getan. Mit der Corona-Krise hat der digitale Zahlungsverkehr einen enormen Aufschwung erhalten und auch Online-Banking ist im Alltag der Menschen angekommen. Insofern sind unsere Dienste als Online-Bank jetzt noch relevanter als vor der Krise.
Ihr Geschäft ist also gewachsen?
Stalf : Ja. Die Zahl der Kontoeröffnungen ist gestiegen, aber auch die Umsätze über Kartenzahlungen steigen stark. Im März-Lockdown waren die Leute noch zurückhaltend, da hatten wir ein kurzes Tief bei den Kartenumsätzen. Doch seitdem profitieren wir. Aber natürlich stellt uns die Krise intern auch vor Herausforderungen, etwa wenn es darum geht, wie wir trotz Homeoffice kreativ zusammenkommen können. Als stark wachsendes Start-Up wollen wir Innovationen jeden Tag möglich machen. Und dafür braucht es Austausch.
Wie stark ist das Kundenwachstum?
Stalf : Wir haben jetzt über fünf Millionen Kunden. Im März gab es kurz nach der Einführung des Lockdown weniger neue Kontoeröffnungen, wenige Wochen später hatten wir das Dreifache verglichen mit dem Vorjahreszeitraum. Die Krise sorgt für ein sprunghaftes Wachstum. Damit sind wir eine der am stärksten wachsenden Banken in Europa.
Die traditionellen Banken werden immer digitaler – wie groß ist Ihr Vorsprung noch?
Stalf : Unser Konto kann man mit einer traditionellen Bank nicht vergleichen. Unser Produkt fühlt sich an wie Spotify oder Amazon. Wir sind ein Technologieunternehmen, die meisten unserer Mitarbeiter sind Designer und Programmierer. Unser Ziel ist es, jeden Schritt aus der klassischen Bankenwelt zu überdenken und ins Digitalzeitalter zu bringen. Und da haben wir einen großen Vorsprung. Wir entwickeln uns ständig weiter, bringen alle drei Wochen eine neue Version für unsere App heraus. Natürlich machen auch traditionelle Banken Fortschritte. Aber wir bauen unseren Vorsprung eher noch aus.
Eine N26-Besonderheit sind die „Spaces“ – Unterkonten, in denen sich Geld in digitalen Ordnern verschieben lässt. Wird das stark genutzt?
Stalf : Die Spaces sind bei unseren Kunden beliebt, 59 Prozent haben einen Space, mehr als jeder Dritte hat sogar zwei. Mit zwei Klicks können so Gemeinschaftskonten und Partnerkonten eröffnet werden. Aber wir stehen erst noch am Anfang und werden dieses Angebot ausbauen. Künftig werden auch einzelne Karten mit den „Spaces“ verknüpfbar sein und wir werden Kontonummern für jeden „Space“ sichtbar machen.
Sie warben mit Sprüchen wie „Nicht die Bank deines Opas“ – wollen Sie nicht auch die Opas mit Smartphone an Bord holen?
Stalf : Dieser Werbespruch war natürlich überspitzt. Wir erreichen insbesondere in der älteren Generation viele Kunden, die sich stark mit digitalen Produkten beschäftigten und eine einfache Nutzererfahrung schätzen. Daher ist der Werbespruch heute nicht mehr gültig.
Aber insgesamt dominieren junge Kunden?
Stalf: Das Durchschnittsalter ist zwischen 30 und 35 Jahren. Aber gerade in ländlichen Räumen, wo die Banken viele Filialen geschlossen haben, sehen wir großes Potenzial, die Versorgungslücke auch bei älteren Kunden zu schließen.
Viele Menschen nutzen das kostenlose Angebot von N26 als Zweitkonto. Ärgert Sie das?
Stalf : Ganz so ist das nicht. Der Markt in Deutschland ist zu 99 Prozent gesättigt und daher haben viele Kunden, die bei uns ein Konto eröffnen, bereits woanders ein Konto und ziehen erst über die Zeit komplett um. Die Erfahrung hat gezeigt: Langfristig setzen wir uns als Hauptkonto durch.
Kunden mit hohen Einlagen müssen jetzt doch Strafzinsen zahlen. Das hatten Sie im vergangenen Jahr noch ausgeschlossen. Wie kommt‘s?
Stalf : Strafzinsen sind in Europa leider Realität geworden. Jede europäische Bank muss für überschüssige Liquidität 0,5 Prozent Strafzinsen bezahlen. Diese Strukturkosten sollten wir nicht ignorieren, sondern sie transparent zeigen. Wir geben die Strafzinsen an Neukunden mit Spareinlagen ab 50.000 Euro weiter. Aber ich bleibe bei meiner Aussage: Mit einer intelligenten Anlagestrategie muss man bei N26 keine Strafzinsen zahlen. In Kooperation mit dem Start-Up „Weltsparen“ bieten wir bald ein Tagesgeldkonto an – vielleicht sogar bald mit bis zu 0,5 Prozent Zinsen.
Die meisten Banken erheben erst Strafzinsen ab 100.000 Euro. Warum bei Ihnen schon ab 50.000 Euro?
Stalf : Wir geben dem Kunden die Möglichkeit, das Geld mit einem Klick in der App positiv verzinst anzulegen. Das sehe ich bei anderen Banken nicht. Das Girokonto eignet sich für den täglichen Gebrauch und da kommt man mit 50.000 Euro ganz gut aus.
Wird es irgendwann ein Aktien-Depot bei N26 geben?
Stalf : Wenn man sich um Vermögensaufbau Gedanken macht, dann kommt man um Investitionen und Aktien nicht herum. Deshalb ist ein transparentes Depot mit geringen Gebühren und guter Nutzererfahrung für uns ein Kernthema, das wir nächstes Jahr entwickeln werden.
Gibt es Pläne für einen eigenen Börsengang?
Stalf : Natürlich ist der Börsengang etwas, wovon ein Gründer träumt. Zalandos Erfolgsgeschichte ist für mich ein Vorbild. Wir würden uns freuen, wenn wir einmal an die Börse gehen – das wird aber noch ein paar Jahre dauern.
Wie läuft Ihr Einstieg in den USA?
Stalf : Wir sind das erste europäische Fintech gewesen, das in den USA gestartet ist. Die Nachfrage ist hoch, wir haben dort über 500.000 Kunden und ein Team von 70 Mitarbeitern aufgebaut. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob wir es auch dort schaffen, einige Millionen Kunden zu erreichen.
Im vergangenen Jahr gab es Berichte über Probleme mit Betrugsfällen, bei denen Kunden niemanden erreichen konnten. Was haben Sie dagegen unternommen?
Stalf : Keiner unserer Kunden hat je Geld verloren, wir haben alles aufklären und zurückerstatten können. Wir hatten zwischenzeitlich das Problem, dass wir schneller gewachsen sind, als wir Personal aufstocken konnten. Es kam zu Wartezeiten von bis zu zehn Minuten. Das geht nicht. Im vergangenen Jahr haben wir im Kundenservice über 400 zusätzliche Mitarbeiter aufgebaut, heute warten Kunden maximal 30 Sekunden. Außerdem haben wir in einen Chatbot investiert, der 30 Prozent der Kundenanfragen direkt beantworten kann.
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Auch mit gefälschten Ausweisen sind Konten eröffnet worden. Kann das heute nicht mehr passieren?
Stalf : Das Problem betrifft leider das gesamte Bankenwesen. Wir führen unsere Kunden-Überprüfung mittels Video-Legitimation durch. Dieses Modell ist nachweislich deutlich sicherer als der persönliche Vorgang etwa in einer Post-Stelle: Geschulte Mitarbeiter werden dabei zusätzlich von einer Software unterstützt. Aber einen Betrüger, der alles dafür tut, ein Konto zu eröffnen, kann man nicht mit vollständiger Gewissheit erkennen, auch nicht in einer Bankfiliale. Die Lösung liegt nicht nur im Anmeldeprozess, sondern auch in der fortlaufenden Transaktionsüberwachung. Wir müssen Geldwäsche erkennen, bevor sie überhaupt passiert und da spielt Technologie eine entscheidende Rolle.
Ihre erste Banklizenz hatten Sie über die Wirecard Bank. Nach der Wirecard-Pleite wurde nun ein Käufer gesucht. Warum haben Sie nicht mitgeboten?
Stalf : Wir haben ganz am Anfang mit der Wirecard Bank zusammengearbeitet. Seit 2016 haben wir eine eigene deutsche Banklizenz. Deshalb gibt es keinen Grund, noch einmal eine Banklizenz zu kaufen – und auch das Geschäft ist für uns nicht relevant.
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Nach langem Streit hat jetzt die erste Betriebsratswahl stattgefunden. Warum so ein großer Wirbel?
Stalf : Das Thema Betriebsrat ist in Deutschland emotional sehr aufgeladen – das habe ich zu Beginn unterschätzt. Die Mitbestimmung der Mitarbeiter hat bei N26 immer dazu gehört und wird vom Management auch voll unterstützt. Vor kurzem hat die erste Wahl stattgefunden und jetzt freuen wir uns auf die Zusammenarbeit und die zusätzlichen Impulse. Nachdem das Thema bei uns aufgekommen ist, haben auch andere deutsche Start-Ups Betriebsräte gegründet. Jetzt wollen wir einen Beitrag leisten und ein globales Modell für all unsere Standorte entwickeln.
Wie soll das konkret aussehen?
Stalf : Wir werden ein globales, von den Mitarbeitern gewähltes Gremium gründen. Das hat ein Mitspracherecht bei Themen wie Arbeitskultur, Entlohnung oder auch Personalentwicklung. Es sind klassische Betriebsratsthemen. Nur versuchen wir das in einem etwas moderneren und digitaleren Set-Up.
Wie meinen Sie das?
Stalf : Wer heute einen Betriebsrat wählen will, muss dies in einer Versammlung mit anwesenden Personen tun und anschließend einen postalischen Schriftverkehr einsetzen. Das führt dazu, dass ich selbst eine Woche nach der Wahl noch nicht weiß, wer gewählt ist. Wir werden sehr viel digitaler agieren.
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In einem internen Brief heißt es, ein Betriebsrat stünde „gegen fast alle Werte, an die wir bei N26 glauben“. Start-ups leben in besonderem Maße vom Zusammenhalt des Teams – ist der verlorengegangen?
Stalf : Einer unserer Kernwerte ist Diversität – und dazu gehören verschiedene Meinungen. Es war gut, dass wir über die Standpunkte diskutiert haben. Dass wir das öffentlich getan haben, hat mir nicht gefallen. Aber das Ergebnis ist dennoch gut geworden – und hat den Zusammenhalt weiter gestärkt.
Jan Böhmermann hat N26 im Zuge des Streits als „Arschlochbank“ bezeichnet.
Stalf : Ich lade ihn gerne zu uns ein, um sich vom Gegenteil zu überzeugen.
N26 ist eines der erfolgreichsten deutschen Start-ups. Wie steht es um die Szene in der Corona-Krise?
Stalf : Nachhaltig steht die deutsche Start-Up-Szene sehr gut dar, Berlin gehört mittlerweile zu den wichtigsten Start-Up-Standorten in ganz Europa. Kurzfristig haben Start-Ups, die etwa in der Reisebranche tätig sind, Probleme. Das kann sich mit einem Impfstoff schnell ändern.
Welchen Rat würden Sie jemand geben, der jetzt ein Start-up gründen will?
Stalf : Es durchzuziehen. Es werden sich immer Gründe finden lassen, warum man den Zeitpunkt verschiebt. Aber die Finanzierungsmärkte für junge Unternehmen sind in Deutschland in den letzten Jahren sehr viel besser geworden. Erfolgreiche Gründer investieren in neue Start-Ups, es entstehen Ökosysteme. Wo es Veränderungen gibt, gibt es auch immer Chancen für neue Unternehmen. Deshalb halte ich es aktuell für eine sehr gute Zeit, um zu gründen.
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Waren die Hilfen der Bundesregierung für Start-ups ausreichend?
Stalf : Die Hilfen haben sehr schnell funktioniert und waren im Rahmen der Möglichkeiten unbürokratisch. Aber unabhängig von der Krise müssen mehr Anreize geschaffen werden, um für Risikokapitalgeber den Standort Deutschland und Europa attraktiv zu gestalten. Wir hinken hinter den USA und China hinterher. Die Krise hat das Thema in der Politik auf die Agenda gebracht. Jetzt muss es um gute Reformen und nachhaltige Anreize gehen.
Wie stark hat Sie Ihre Zeit bei Rocket Internet und Oliver Samwer geprägt?
Stalf : Ich war zwar bei Rocket, habe aber mit Oliver Samwer nicht direkt zusammengearbeitet. Aus der Karriereperspektive war diese Zeit für mich sehr wichtig, da es ein bewusster Schritt in die Start-Up Szene war. Wäre ich nicht zu Rocket Internet gegangen, hätte ich vielleicht nie ein Start-Up gegründet.