Berlin/Frankfurt am Main. Der Leitindex Dax hat künftig 40 Mitglieder. Börsenexperten ordnen ein, was das für Anleger bedeutet – und wo Gewinnchancen warten.
Schwer gebeutelt von der Corona-Krise stieg die Lufthansa im Juni aus dem illustren Kreis der 30 wichtigsten deutschen Unternehmen, die den Deutschen Aktienindex (Dax) bilden, in die zweite Börsenliga, den MDAX , ab.
Wirecard dagegen blieb. Der Zahlungsdienstleister war nicht nur Verursacher einer der spektakulärsten Fälle von Wirtschaftskriminalität der Nachkriegszeit. Er war auch der erste Konzern, der Dax-Mitglied und gleichzeitig insolvent war. Die Statuten ließen einen Ausschluss vorerst nicht zu.
Erst im August, als die Wirecard-Aktie nicht einmal mehr einen Euro wert war, hatte das Trauerspiel ein Ende. Wirecard wurde im Dax durch den Essenslieferanten Delivery Hero ersetzt – der bis heute noch nie Gewinne eingefahren hat. Wieder war die Kritik groß.
Auf diese Kritik reagiert die Deutsche Börse nun. Sie will den wichtigsten deutschen Leitindex reformieren. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Welche Pläne hat die Börse?
Ab September 2021 soll der Dax von derzeit 30 auf 40 Werte ansteigen, der MDax soll dafür nur noch 50 anstatt bisher 60 Unternehmenskurse abbilden. Der Kleinwerte-Index SDax bleibt unangetastet mit 70 Unternehmen bestehen.
Wer kann künftig Dax-Mitglied werden?
Der Dax-Aufstieg ist künftig nur noch von der Marktkapitalisierung und nicht mehr vom Handelsvolumen abhängig. Dafür schärft die Börse an anderer Stelle nach: Wer Mitglied im Dax werden woll, muss in den beiden vorherigen Geschäftsjahren auf Basis des Gewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) schwarze Zahlen vorweisen können. So reagiert die Börse auf die Kritik an der Aufnahme von Delivery Hero.
Um Szenarien wie bei bei Wirecard zu vermeiden, greift die Börse nun hart durch: Wer ab März 2021 nach einer 30-tägigen Warnfrist keinen testierten Jahresabschluss und Quartalszahlen vorlegen kann, fliegt sofort aus dem Index.
Ebenfalls ab März 2021 benötigen neue Indexunternehmen künftig einen unabhängigen Prüfungsausschuss im Aufsichtsrat, der das Corporate Governance, also die Überwachung und Leitung der Unternehmen, kontrolliert. Unternehmen, die bereits in Indizes notieren, haben eine Übergangsfrist bis September 2022.
Ralf-Joachim Götz , Chefvolkswirt der Deutschen Vermögensberatung AG, hält die Änderungen für das richtige Signal: „Ein wichtiges Signal ist, dass mit den Maßnahmen das Vertrauen in den Dax weiter gestärkt wird. Mit erhöhten Anforderungen kann die Qualität weiter verbessert werden“, sagte Götz.
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Was bedeutet die Reform für Anleger?
„Ich habe ein lachendes und ein weinendes Auge. Denn der Dax gewinnt auf Kosten des MDax“, sagte Marc Tüngler , Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), unserer Redaktion.
Gerade für Anleger, die bisher mit aktiven Investmentfonds oder auch mit börsengehandelten passiven Fonds , sogenannten ETFs, breit investieren, war die zweite Börsenliga zuletzt interessant: Wer etwa 2010 in den MDax investierte, erzielte bis zum Ende des vergangenen Jahres im Schnitt eine Rendite von 12,1 Prozent pro Jahr. Beim Dax dagegen kam man im selben Zeitraum nur auf eine durchschnittliche Rendite von 7,5 Prozent.
Treiber dieser Entwicklung im MDax waren die zehn Schwergewichte, die künftig dem Dax angehören werden. Sie machen fast ein Drittel der gesamten Marktkapitalisierung aus – und werden im MDax fehlen. „Die lange Erfolgsgeschichte des MDax wurde heute beendet“, sagt Tüngler.
Sollte man aus Anlagen auf den MDax aussteigen?
Die Renditestärke hat den MDax auch für viele Investmentfonds attraktiv gemacht. Nun aber verliert der MDax seine zehn Aushängeschilder. „Wenn sie den MDax verlassen, wird sich jeder Fondsanbieter fragen, was dieser MDax noch wert ist, und gegebenenfalls umschichten“, sagt Tüngler.
Sollten Anleger nun also die Reißlinie ziehen und dem MDax den Rücken kehren? Das würde Tüngler so pauschal nicht sagen. Aber der Anlageschützer mahnt: „Anleger, die im MDax investiert sind, müssen jetzt wach sein und genau aufpassen, wie sich die Anbieter verhalten.“
Chris-Oliver Schickentanz , Chef-Anlagestratege der Commerzbank, warnt gegenüber unserer Redaktion vor Panikverkäufen. Er rät dazu, Anlagen künftig breiter auf MDax und SDax zusammen zu gewichten.
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Wer steigt in den Dax auf?
Als nahezu sicher gilt der Aufstieg des Flugzeugbauers Airbus , der mit einer Marktkapitalisierung von knapp 72 Milliarden Euro einen Anteil von mehr als 15 Prozent am MDax ausmacht. Dass dem Schwergewicht bisher der Aufstieg in den Dax – wo Airbus schon heute das sechstwertvollste Unternehmen wäre – verwehrt blieb, lag an der bisherigen Regelung.
Mit Sitz im französischen Toulouse und dem größten Handelsvolumen an der Börse Paris konnte Airbus nicht aufsteigen. Das ändert sich nun. „Der Dax wird international noch bedeutender, und er wird mit Airbus noch europäischer“, sagt Anlageschützer Tüngler.
Als ebenfalls sehr wahrscheinlich gilt der Aufstieg des Duft- und Geschmacksstoffherstellers Symrise , das zuletzt zweimal knapp an einem Dax-Aufstieg gescheitert war. Auch die Siemens-Abspaltungen Healthineers und Energy gelten als aussichtsreiche Kandidaten.
Der Bremssystem-Hersteller Knorr-Bremse und die Hannover Rückversicherung haben ebenfalls beste Chancen. Auch zwei Corona-Gewinner könnten aufsteigen: Der Göttinger Pharmazulieferer Sartorius und der Online-Versandhändler Zalando. Um die verbleibenden Plätze wird es knapp. Puma gilt als aussichtsreich, auch Evonik Industries könnte in den Dax aufrücken. Aber auch Carl Zeiss Meditec, Uniper, Brenntag oder Qiagen haben Chancen.
„Die Unternehmen, die in den Dax aufsteigen, erhalten damit ein Gütesiegel. Das ist allerdings erstmal nur ein Signal, es heißt nicht, dass sie damit automatisch ihre Qualität steigern. Der Dax ist extrem heterogen. In seiner Geschichte gab es über 40 Wechsel in der Zusammensetzung. Nur zwölf von 30 Gründungsmitgliedern sind durchgehend bis heute dabei“, mahnt Chefvolkswirt Ralf-Joachim Götz.
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Lohnt sich ein Investment in die möglichen Aufsteiger?
„Theoretisch könnten die zehn neuen Dax-Werte an Wert gewinnen, da Indexfonds und ETFs sie anteilig kaufen müssen. Empirisch haben wir aber zuletzt gesehen, dass die Werte, die aufsteigen, nur kurzzeitig zulegen konnten“, sagt Anlagestratege Schickentanz.
Ein Investment in den Dax könnte sich aber lohnen: „Wir erwarten für 2021 ein neues Allzeithoch beim Dax.“ Allerdings bleibe der Leitindex auch nach der Aufstockung abhängig von der weltweiten Konjunktur. Nach Commerzbank-Berechnungen würden die künftigen 40 Dax-Unternehmen 80 Prozent ihrer Umsätze im Ausland erzielen.
Für ein neues Rekordhoch sorgte am Dienstag zumindest schon einmal der Dow Jones: Erstmals in seiner Geschichte kletterte der amerikanische Leitindex über die Marke von 30.000 Punkten.
Ist die Index-Mitgliedschaft an Nachhaltigkeitskriterien geknüpft?
Diskutiert wurde im Vorfeld, ob Unternehmen, die „umstrittene Waffen“ produzieren, künftig nicht mehr in den Indizes vertreten sein dürfen. Damit hätte – je nach Schärfe der Regelauslegung – etwa Airbus der Ausschluss aus allen Dax-Indizes gedroht. Denn Airbus Tochterfirma Ariane-Group ist an der Produktion französischer Nuklearwaffen beteiligt.
Auch wenn er solche Waffengeschäfts missbillige, so hält Tüngler es doch für richtig, dass dieser Absatz es nicht in die Pläne der Deutschen Börse geschafft hat. „Wenn man diese Waffen reguliert, dann macht man eine große Box auf: Was ist mit CO2, was mit Wasserverschmutzung, was mit Kernkraft?“ Er rät, anstatt auf Verbote liefer auf den Instinkt der Anleger zu vertrauen: „Anlagen auf nachhaltige Produkte werden immer beliebter.“