Hamburg. Ein Kartenhaus im Dax: Ein Buch enthüllt, wie Wirecard aufstieg – und sehr prominente Lobbyisten halfen.
Die Geschichte las sich wie ein Märchen: Ein Technikunternehmen, das aus dem Münchner Umland heraus Jahr für Jahr prächtig wächst und seinen Umsatz von knapp sieben Millionen Euro im Jahr 2004 binnen 15 Jahren auf mehr als zwei Milliarden Euro fast verdreihundertfacht. Ein Fintech-Konzern, der weltweit Erfolge feiert, ein Start-up, das schließlich den DAX, die erste Börsenliga, entert und zeitweise bis zu 36 Milliarden Euro wert ist. Leider ist es ein Märchen.
Wirecard-Buch: Autoren arbeiteten in atemberaubendem Tempo
Nun wird dieses Märchen vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages aufgearbeitet – den langjährigen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun haben die Abgeordneten bereits befragt. Pflichtlektüre für die Ausschussmitglieder sollte das neue Buch „Die Wirecard-Story: Die Geschichte einer Milliarden-Lüge“ werden. Die preisgekrönten Autoren Volker ter Haseborg, einst lange für das Hamburger Abendblatt tätig, und Melanie Bergermann haben in atemberaubender Geschwindigkeit ihre Recherchen zwischen zwei Buchdeckel gepresst. Die Qualität hat nicht unter der Schnelligkeit gelitten.
Es ist die Geschichte eines Unternehmens, das vielleicht nie seriös war, das mit Bezahlsystemen für Glücksspiel und Pornoseiten begann und auch später vor allem über zwielichtige Geschäfte mit Drittfirmen wuchs – wenn es diese denn gegeben hat. Es ist zugleich aber auch eine vermeintliche deutsche Erfolgsstory, die zu schön war, um wahr zu sein: die Geschichte eines New-Economy-Unternehmens, das zum Global Player wächst, mit einem Visionär und Selfmade-Mann an der Spitze. Und ein Aktienkurs, der lange Zeit nur eine Richtung kannte – aufwärts: Was 2005 als Pennystock begann, stieg bis 2018 auf fast 200 Euro. Heute ist Wirecard wieder Pennystock.
Kursmanipulation? Berichte werden dementiert
Allerdings – das zeigt das Buch der beiden „Wirtschaftswoche“-Investigativreporter, hätte man durchaus gewarnt sein können: Schon 2008 gibt es immer wieder Hinweise auf zwielichtige Geschäfte – erst in Börsenforen, dann im „Manager Magazin“, von 2015 an auch in der renommierten Wirtschaftszeitung „Financial Times“. Wirecard reagiert auf die Vorwürfe stets gleich – alles wird hart dementiert, die Kritiker werden unter Druck gesetzt. Das Unternehmen reicht eine Klage gegen die „Financial Times“ sowie eine Klage wegen Kursmanipulation ein. Und was macht die Finanzaufsicht BaFin? Sie glaubt Wirecard und verbietet Spekulationen gegen das Unternehmen. Dabei legt der Autor der Berichte den Finger in die Wunde, kritisierte völlig überteuerte Käufe, Potemkinsche Dörfer, Luftbuchungen. Aber das wollte niemand hören.
Das Buch lebt von seinen gut recherchierten Beschreibungen und seinem Reportageton. Es analysiert, aber macht nicht den Fehler, dabei einseitig zu werden. Auch nach Hamburg gibt es immer wieder Spuren – so ist einer der frühen Investoren des Wirecard-Vorläufers Bernd Menzel, der Chef der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie.
Guttenberg und von Beust als Lobbyisten
Er überzeugte damals auch den inzwischen verstorbenen Betreiber des Fischereihafen Restaurants, Rüdiger Kowalke, von einem Investment. Auch viele Politiker machten sich in dem Glauben, einen echten deutschen Techwert vor sich zu haben, beruflich für Wirecard stark: Peter Harry Carstensen und Ole von Beust als Lobbyisten, vor allem aber der frühere Wirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg. Damals träumte Wirecard sogar von einer Übernahme der Deutschen Bank.
Erst im Sommer dieses Jahres platzte die Blase, als das Unternehmen Luftbuchungen eingestehen musste. Markus Braun sowie weitere Manager sitzen seitdem in U-Haft. Nach dem ehemaligen Vorstandsmitglied Jan Marsalek fahndet die Polizei mit internationalem Haftbefehl. Wirecard ist einer der größten Skandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte.
Das Buch liest sich wie ein Krimi – für viele Anleger aber war es der teuerste Krimi ihres Lebens.