Hamburg. Der Präsident der Hamburger Handwerkskammer ist erbost über die Verkehrspolitik des Senats. Was er fordert.
Keine Parkplätze, unzureichende Förderung für Lastenräder und zu wenig Resonanz der Politik auf Vorschläge des Handwerks: Hjalmar Stemmanns Liste der Kritik vor allem an die Verkehrsbehörde ist lang. Der Präsident der Handwerkskammer fordert weniger Bürokratie und mehr Flexibilität seitens der Politik, wenn es um die Belange des Handwerks geht.
Herr Stemmann, berücksichtigt die Verkehrspolitik die Bedürfnisse des Handwerks ausreichend?
Hjalmar Stemmann: Nein, die Grünen vergessen das Handwerk. Denn die Anforderungen vieler Handwerker, wie die von Gas- und Wasserinstallateuren, sind nicht mit jenen des Paket-, Liefer- und Entsorgungsverkehrs vergleichbar. Letztere können ihre Bring- und Abholtouren oft auch in knappen Zeitkorridoren planen und beispielsweise im Gegensatz zum Handwerk weitaus mehr Transporte über Ladedepots abwickeln. Das Handwerk dagegen muss Bewohner und Unternehmen den ganzen Tag lang über mit Werkstatt- und Montagefahrzeugen erreichen können. Es muss gewährleistet werden, dass die Fahrzeuge am Einsatzort parken können, weil sich die Ersatzteile und Werkzeuge im Wagen befinden.
Was fordern Sie?
Hjalmar Stemmann: Das Handwerk verlangt einen realistischen Blick der Politik auf die Erfordernisse handwerklichen Verkehrs in der Innenstadt. Aber auch in allen anderen Quartieren, denn in etlichen Vierteln ist es fast unmöglich, mit dem Werkstatt- und Lieferwagen einen Parkplatz vor dem Haus des Auftraggebers zu finden.
Die Grünen wollen Hamburg zu einer attraktiven Fahrradstadt machen, kritisieren Sie auch diese Politik?
Hjalmar Stemmann: Nicht grundsätzlich. Wir brauchen eine bessere Luftqualität, ein gesundes Klima. Dazu gehört der Ausbau sicherer Radwege für immer mehr Radfahrer, das ist ja ganz klar. Natürlich wünsche ich mir, dass wir nicht irgendwann Zustände wie in manchen asiatischen Städten haben, wo man vor lauter Smog die Sonne nicht mehr sieht. Ich bin für meine Firma immer wieder mal beruflich in Shanghai, Tokio oder Peking unterwegs, und diese Dunstschleier am Himmel haben nichts mit einer lebenswerten Stadt zu tun. Von den Auswirkungen der globalen Klimakrise, die wir in den Griff bekommen müssen, einmal ganz abgesehen. Und es ist Fakt, dass in Hamburg die Zahl der Kraftfahrzeuge zwischen 2010 bis 2019 um elf Prozent gestiegen ist. Die Zunahme der Kraftfahrzeuge bei gleichzeitiger Sanierung der Straßen hat dazu geführt, dass der Verkehr in Hamburg nicht mehr fließt, sondern stockt. Das bedeutet auch für Handwerksbetriebe enorme Einbußen, denn sie verlieren unproduktive Zeit im Stau. Und sie werden sogar an ihrer Arbeit gehindert.
Welche Konsequenzen hat das?
Hjalmar Stemmann: Schon heute müssen Handwerker Aufträge ablehnen, weil keine Parkplätze vorhanden sind. Diese Fälle kommen täglich vor. Ich kenne zahlreiche Beispiele, wie die von Installateurbetrieben mit Kunden in der Innenstadt und von Malerbetrieben in hochverdichteten Quartieren wie Eimsbüttel. Es entstehen auch Sanierungsstaus und Verzögerungen in der energetischen Gebäudesanierung. Diese bremsen die Klimawende aus. Denn Sonnenkollektoren und energieeffiziente Heizkessel etwa laufen eben nicht selbst zum Haus.
Es gibt beim Parken aber doch bereits Ausnahmeregelungen für Handwerker.
Hjalmar Stemmann: Die Verkehrsbehörde verweist zwar auf solche Ausnahmegenehmigungen für unsere Betriebe. Aber diese Genehmigungen für Handwerker kosten, sind zeitaufwendig, die Beantragung umständlich. Außerdem ist es schon von Grund her falsch, Handwerksverkehr als Ausnahme zu denken: Dass wir zum Kunden kommen und dort parken müssen, ist schlicht der Normalfall.
Wer ist denn konkret berechtigt, welche Ausnahmen gelten?
Hjalmar Stemmann: Eine Ausnahmegenehmigung bis zu drei Monate bekommt etwa, wer nur an einem einzelnen Objekt arbeitet und auch nur für genau definierte Straßenzüge. Ab drei Monaten müssen zum Beispiel Notfall- und Montagearbeiten an wechselnden Orten nachgewiesen werden. In Bewohnerparkzonen muss ein Fahrzeug für die Tätigkeit unerlässlich sein. Aber was heißt das? Einem Tischler wurde etwa gesagt, er könne sein Material beim Kunden vor dem Haus abladen und dann in ein Parkhaus fahren. Das zeigt, wie praxisfern die Politik ist.
Fühlen Sie sich bei dem Thema vom Senat ernst genommen?
Hjalmar Stemmann: In den vergangenen Wochen hätte es in vielen Gesprächen zwischen Kammer und Verkehrsbehörde ausreichend Gelegenheit gegeben, das Handwerk in Verkehrsplanungen, wie etwa jetzt aktuell am Jungfernstieg, einzubeziehen. Noch im Mai beschlossen SPD und Grüne in den Koalitionsverhandlungen, bei der Planung für eine autoarme Innenstadt alle Interessengruppen zu berücksichtigen. Das ist mit uns, dem Handwerk, nicht ausreichend geschehen. Wir sind weder über eine Zeitfenster-Regelung, wie sie ab dem heutigen 16. Oktober am Jungfernstieg gilt, informiert, geschweige denn eingebunden worden. Denn Regelungen, wie etwa ein Time-Slot zwischen 21 Uhr und 11 Uhr für Wirtschaftsverkehr am Jungfernstieg, sind wie der Hamburger so schön sagt dumm Tüch und machen für das Handwerk keinen Sinn. Wir können notwendige Reparaturen und Renovierungen nicht nur nachts oder am frühen Morgen ausführen. Außerdem kann es nicht sein, dass Beschäftigte aufgrund einer das Handwerk betreffend zu kurz gedachten Verkehrspolitik per se nachts arbeiten sollen.
Was wünschen Sie sich konkret?
Hjalmar Stemmann: Das Handwerk braucht unbürokratische Regelungen im Zusammenhang mit Fahrrechten und verfügbarem Parkraum. Zunächst und das ganz schnell müssen Handwerksbetrieben entweder per Verordnung oder Erlass pauschal Ausnahmegenehmigungen für quartiersbezogene Einfahrts- oder Parkbeschränkungen in Hamburg bekommen. Die pauschale Ausnahmegenehmigung – die auch auf ähnlich betroffene Verkehre wie etwa soziale Dienste ausgeweitet werden könnte – sollte ausdrücklich auch das Parken in Bewohnerparkzonen beinhalten.
Aber es gibt ja auch Alternativen zum Auto für Handwerker – wie Lastenfahrräder ...
Hjalmar Stemmann: Handwerksunternehmen bleiben auf flexibel einsetzbare Fahrzeuge angewiesen. Das Handwerksfahrzeug als „mobile Werkstatt“ und „fahrbares Ersatzteillager“ muss die Kunden und Baustellen in Hamburg weiterhin direkt erreichen können. Dort, wo es machbar ist, setzen Handwerker schon heute Lastenfahrräder ein. Aber das ist keine Lösung für alle Handwerkereinsätze. Dennoch kann sie zum Teil sinnvoll sein. Aber wenn ein Fördertopf des Senats bereits zwanzig Minuten nach Freischalten der Online-Beantragung leer ist, macht sich Frust breit. Sollte es eine Neuauflage geben, fordern wir die Aufsplittung in einen privaten und einen gewerblichen Topf. Ein Fleischer will seinen Catering-Service auf Lastenfahrrad umstellen; ein Metallbauer seine Materialbesorgungsfahrten mit einem solchen erledigen. Beide haben am Beantragungstag gleich morgens um 9 Uhr am Rechner gesessen – und sind leer ausgegangen.