Berlin. Im Herbst wird aufgrund der Corona-Krise eine Pleitewelle befürchtet. Was Arbeitnehmer bei einer drohenden Entlassung wissen müssen.

Die große Welle an Insolvenzen infolge der Corona-Pandemie ist bislang ausgeblieben. Doch das liegt nach Ansicht von Experten vor allem am Handeln der Regierung: Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bedeutet eben nicht, dass es den Firmen gut geht – sie müssen ihren Zustand bloß nicht sofort offenlegen.

Experten der Wirtschaftsauskunft Creditreform sind sich daher sicher, dass die Insolvenzwelle „nur vertagt“ ist und ab September verspätet durch die deutsche Wirtschaft rollt.

Umso eifriger versucht das Management vieler Unternehmen in diesen Tagen, die Kosten wieder unter die schwindenden Ausgaben zu drücken. Das Wort, um die Einsparungen etwas professioneller klingen zu lassen, lautet hier meist „Restrukturierung“.

Was für die Geschäftsführung ein notwendiges Übel ist, erscheint den Arbeitnehmern als Schreckensszenario. Doch auch wer von Restrukturierungen betroffen ist, hat Rechte. Unsere Redaktion beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was bedeutet es, wenn in meinem Betrieb eine Restrukturierung ansteht?

Das Unternehmen will sich auf Effizienz trimmen. In der Regel ist das auch mit einem Personalabbau verbunden. „Das bedeutet aber nicht in erster Linie betriebsbedingte Kündigungen“, sagt Alexander Greth, Experte für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Simmons & Simmons in Düsseldorf.

Im ersten Schritt trennen sich die meisten Firmen von Leiharbeitnehmern und lassen befristete Verträge auslaufen. Dann versucht die Geschäftsführung in der Regel einen möglichst sozialverträglichen Personalabbau. Sie werde dafür, soweit erforderlich, mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich und die Aufstellung eines Sozialplans verhandeln.

Beispielloser Wirtschaftseinbruch wegen Corona-Pandemie

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    Was bedeutet der Interessenausgleich?

    Vertreter der Geschäftsführung setzen sich mit dem Betriebsrat zusammen und besprechen, wie die Umstrukturierung ablaufen soll. „Der Betriebsrat hat oft die Befürchtung, dass der Personalabbau zu Arbeitsverdichtung führt“, sagt Greth.

    Statt den Personalbestand in direktem Verhältnis zur verringerten Auftragslage anzupassen, müssen am Ende alle mehr arbeiten, lautet die Sorge der Arbeitnehmervertreter. Sie diskutieren mit der Leitungsebene dann konkret, wie die Schichten besetzt werden könnten. Der Betriebsrat will zudem Kündigungen nach Möglichkeit vermeiden.

    Welche Alternativen gibt es zur Kündigung?

    Die Firmen versuchen es in Absprache mit dem Betriebsrat meist zunächst mit freiwilligen Lösungen wie Abfindungsangeboten. „Nach vielen guten Jahren widersprechen Kündigungen oft regelrecht der Unternehmenskultur“, sagt Greth.

    Die erste Wahl ist meist ein Vorruhestandsprogramm. Dabei lässt sich beispielsweise auch darauf spekulieren, dass Mitarbeiter, die über 63 Jahre alt sind, für zwei Jahre Arbeitslosengeld beziehen können und damit die Zeit bis zum formalen Renteneintritt überbrücken. Wenn Vorruhestandsprogramme bereits aus früheren Wellen des Personalabbaus ausgeschöpft ist, sind auch reguläre Abfindungsangebote an jüngere, aber wechselwillige Mitarbeiter möglich.

    Wie hoch wäre eine angemessene Abfindung?

    Das variiert je nach Branche und Region. Ein Textilunternehmen in einer strukturschwachen Region wird sich nur ein halbes Monatsgehalt pro Jahr der Betriebszugehörigkeit leisten können, ein Chemieunternehmen in einem Wirtschaftszentrum wird eher ein volles Monatsgehalt je Betriebsjahr bieten müssen.

    Greth zufolge sind solche Abfindungsangebote der Favorit der Firmenleitung zur Vermeidung von Kündigungen. Bei der betriebsbedingten Kündigung ist eine Sozialauswahl durchzuführen; dabei muss sie oft Mitarbeiter gehen lassen, die sie gern halten möchte.

    Was, wenn ich doch eine Kündigung erhalte?

    Gerade in einer so tiefen Wirtschaftskrise wie derzeit kann es so weit kommen. Grundsätzlich gelten jedoch die gleichen Regeln des Kündigungsschutzes wie sonst auch. Doch gerade bei der Schließung ganzer Standorte lässt sich oft nicht mehr viel machen – das ist die klassische betriebsbedingte Kündigung.

    Was ist der Wirtschaftsausschuss?

    In Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern soll diese Einrichtung das Bindeglied zwischen Unternehmensführung und Mitarbeiterschaft sein, das Informationen von unten nach oben weitergibt und umgekehrt. Auch der Wirtschaftsausschuss ist in die Verhandlungen um Restrukturierung und Personalabbau eingebunden. Er wirkt jedoch nur beratend. Die konkrete Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer liegt beim Betriebsrat.

    Muss ich mich zu niedrigerem Lohn in eine Tochtergesellschaft abschieben lassen?

    Ein Arbeitgeber muss das nicht ohne Weiteres akzeptieren. „Er kann dem Übergang widersprechen“, sagt Greth. Wenn er das macht, dann droht ihm allerdings die betriebsbedingte Kündigung. Er sollte es also zumindest in Erwägung ziehen, das Arbeitsverhältnis beim „neuen“ Arbeitgeber fortzusetzen.

    Muss ich eine Degradierung hinnehmen?

    Wer auf eine minderwertige Stelle versetzt werden soll, muss auch das nicht ohne Weiteres hinnehmen. Der Lohn und die Jobbeschreibung sind schließlich die wichtigsten Teile des Arbeitsvertrags. Andererseits steckt in schwierigen Zeiten hinter so einem Vorschlag oft auch der ernst gemeinte Versuch, Mitarbeiter zu halten. Das Mittel dazu ist eine „Änderungskündigung“. Das bedeutet: Der Arbeitgeber beendet das alte Arbeitsverhältnis und bietet zugleich ein neues zu anderen Bedingungen an.

    Was mache ich bei einer Änderungskündigung?

    Wer mit einer Änderungskündigung konfrontiert ist, hat laut Anwalt Greth drei Möglichkeiten: Er kann das Angebot vorbehaltlos annehmen, er kann es rundheraus ablehnen und wird dann eventuell einfach entlassen, oder er kann es unter dem Vorbehalt annehmen, die Rechtfertigung der Kündigung vor Gericht prüfen zu lassen. Der Rechtsexperte empfiehlt die Annahme unter Vorbehalt. Wenn das Gericht entscheidet, dass die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt war, gibt es den alten Job zurück. Als Plan B, wenn der Arbeitnehmer vor Gericht verliert, kann er auf den neuen, schlechteren Job wechseln.

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