Berlin. Bauern fürchten wegen der Feldmaus um ihre Ernte. Die Landwirtschaftsministerin will den Einsatz von Gift gegen Nagetiere zulassen.
Die Schäden sind für jeden sichtbar: abgefressene Pflanzen, vertrocknete, abgeknickte Weizenhalme oder kahle Flecken auf den Äckern. „Wenn ich auf meine Felder blicke, sehe ich karge braune Landschaften“, sagt Landwirt Heiko Förtsch. Auf einigen Feldern müsse man sich die Hosen zubinden, damit einem keine Mäuse die Beine hochkrabbelten.
Seit Wochen machen Feldmäuse auf den Äckern den Bauern in Deutschland das Leben schwer. Sie graben Tunnel unter den Feldern, nagen an den Wurzeln des wachsenden Getreides, rauben ihm damit die Lebensadern – und vernichten als Folge einen Teil der Ernte.
Mäuseplage kann zu beträchtlichen Ernteausfällen führen
Regional gibt es große Unterschiede. Besonders betroffen sind die Landwirte in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen, berichtet der Deutsche Bauernverband. In diesen Bundesländern spricht man bereits von einer schweren Mäuseplage. Und die Folgeschäden durch Ernteausfälle werden beträchtlich sein.
Allein in Thüringen ist ein Viertel der Ackerfläche von Feldmäusen befallen, aber auch Grünland. Der Bauernverband schätzt die drohenden Ernteausfälle auf zwei Drittel der Erlöse. So dürften pro Hektar Weizen etwa 450 Euro verloren gehen. Um nicht noch mehr zu verlieren, überlegen einige Landwirte, ihre Aussaaten für Raps deutlich zu reduzieren. Der Verlust der Wintersaat sei noch nicht bezifferbar.
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Umweltschutz: Bauernverbandspräsident kritisiert Vorgaben
Grund für die große Mäusezahl sind die zuletzt milden, schneearmen Winter und trockenen Sommer. In diesem Klima fühlen sich die kleinen Feldmäuse mit ihren schwarzen Knopfaugen besonders wohl und vermehren sich prächtig. Da sie Getreide und Gras besonders lieben, finden sie im Wurzelwerk der Felder beste Nahrungsbedingungen.
Begünstigt wird die Vermehrung aber auch dadurch, dass in vielen Gebieten der Einsatz von Mäusegiften – sogenannten Rodentiziden – zum Schutz anderer Tiere je nach Jahreszeit nur eingeschränkt erlaubt oder gänzlich verboten ist. So sollen vor allem Hamster, Hasen und Birkenmäuse auf den Feldern geschützt werden, auch Zugvögel, die in einigen Rastgebieten auf Durchreise sind.
Mäuseplage: Klöckner gibt Bauern Flankenschutz
Um den Bauern aus der Misere zu helfen, erhalten sie nun Flankenschutz von der Bundesagrarministerin. Julia Klöckner (CDU) hat ihre Kollegen auf Länderebene aufgefordert, „in dieser Notsituation“ die Ernten der Bauern „ausreichend zu schützen, ohne wiederum den Erhalt gefährdeter Arten zu beeinträchtigen“. Es seien bereits massive Schäden eingetreten und würden noch erwartet. „Dem dürfen wir nicht zusehen“, so Klöckner.
Aus Sicht der Ministerin sollen dazu Notfallzulassungen für chemische Gegenmittel kurzfristig geprüft und Anwendungsbestimmungen geändert werden. Die Landesbehörden sollten ihre Ermessensspielräume nutzen und Auslegungen zum Beispiel zu Hamster-, Haselmaus- und Birkenmausnachweisen, die mehr als fünf Jahre alt seien, neu bewerten.
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Präsident des Bauernverbands: „Umweltauflagen verhindern Mäusebekämpfung“
„Die sachgerechte Nutzung der chemischen Mäusebekämpfung im Einklang mit dem geltenden Pflanzenschutz- und dem Naturschutzrecht ist in der aktuellen Lage für viele Landwirte existenziell“, schreibt Klöckner. „Mechanische Verfahren reichen in dieser Situation nicht aus.“
Der Präsident des Deutschen Bauernverbands begrüßt die Initiative. „Die Mäuseplage verursacht massive Ernteschäden. Deshalb muss den Landwirten die Möglichkeit gegeben werden, mit geeigneten Maßnahmen die Ernte zu schützen“, sagte Joachim Rukwied. „Zurzeit verhindern Umweltauflagen eine effektive Mäusebekämpfung.“
Umweltverband BUND: „Gift ist nicht Lösung des Problems“
Aktuell bleibt den Landwirten keine andere Möglichkeit, als den Boden tief umzupflügen. Das trocknet die Äcker massiv aus – und bedroht die nächste Aussaat zusätzlich. Der Bauernpräsident fordert deshalb die zuständigen Behörden dringend dazu auf, „den im Pflanzenschutzgesetz für derlei Notlagen vorgesehenen Ermessensspielraum auszunutzen und die Bekämpfung der Plage zu ermöglichen“.
Naturschützer sehen den Einsatz von Rodentiziden dagegen kritisch, da sie nicht artspezifisch wirken, sondern auch für andere Tiere tödlich sind. „Solche Giftspritzen über mehrere Bundesländer zu verteilen, ist nicht die Lösung des Problems“, sagt Magnus Wessel vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) dieser Redaktion.
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„Mäuseplagen wird niemand ganz stoppen können“
Die Nebenschäden seien enorm. So würden nicht nur Feldmäuse, sondern auch hoch bedrohte Feldhamster durch das Gift getötet. Werde der Wirkstoff von Vögeln gefressen, sterben diese. „Mäuseplagen wird niemand ganz stoppen können“, ist Wessel überzeugt. Diese gebe es, seitdem Menschen Äcker bearbeiteten.
Wirkungsvoll wäre eine grundsätzlich andere Feldbewirtschaftung. Frühzeitiges Unterpflügen von Resten der Ernte, eine vielfältige Landschaft mit Hecken und kleineren Feldern, die vielen Greifvögeln und anderen Mäusefressern Heimat bietet, helfen dabei, dass das Mäuseproblem nicht zu groß wird. Sein Vorschlag für die Bauern: „Extreme Ernteausfälle könnten möglicherweise durch staatliche Hilfszahlungen ausgeglichen werden.“
Klimawandel bleibt der größte Feind der Landwirtschaft
Landwirte wie Heiko Förtsch halten dagegen, dass die Rodentizide nur in Mäuselöcher eingestreut werden würden. Feldhamster wären zu groß, um an das Gift zu gelangen. Mit natürlichen Methoden sei der Mäusepopulation jedenfalls nicht mehr beizukommen, klagt er.
Das beste und natürlichste Mittel gegen zu viele Feldmäuse wäre das Wetter, wissen die Bauern: Ein strenger Winter mit Bodenfrost und kräftige Regen im übrigen Jahr würden die Population automatisch verringern. Der Klimawandel und die damit einhergehenden milden Temperaturen bleiben der größte Feind der Landwirtschaft, stellt Förtsch resigniert fest: „2018 ist die Ernte vertrocknet, 2019 ist die Ernte verbrannt und 2020 wird sie aufgefressen.“
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