Berlin. Seit bald einem Monat gilt die Verringerung der Mehrwertsteuer. Nicht überall bringt sie Erleichterungen. Lohnt sich die Maßnahme?

Krumme Preise an Supermarktregalen, ordentliche Abschläge beim Autokauf, dafür selten Nachlass im Restaurant oder Hotel. Seit Juli soll die vorübergehend reduzierte Mehrwertsteuer die Konjunktur ankurbeln. Es zeigt sich: Nicht immer kommt die 20 Milliarden Euro teure Maßnahme im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie bei Verbrauchern und Verbraucherinnen an. Und Unternehmer und Unternehmerinnen beklagen viel Ärger mit der Bürokratie.

Geht es nach den Konsumforschenden der Nürnberger GfK, dann hat die Maßnahme ihre Wirkung bereits entfaltet. „Die Anschaffungsneigung ist sehr stark angestiegen“, sagt Konsumforscher Rolf Bürkl. Verbrauchende beabsichtigten, geplante größere Anschaffungen vorzuziehen, was dem Konsum in diesem Jahr helfe. Die Steuersenkung stelle so eine wichtige Stütze für die Binnennachfrage im laufenden Jahr dar.

Zwar liegen dem Bundesfinanzministerium noch keine Daten zur Wirksamkeit der Steuersenkung vor, heißt es auf Anfrage. Das Haus von Minister Olaf Scholz (SPD) verweist aber auf die Erkenntnisse der GfK-Forschenden. Zudem deuteten weitere Konjunkturindikatoren auf eine Stabilisierung der Gesamtwirtschaft hin. „Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung von der Wirksamkeit der Maßnahmen des Konjunkturpakets überzeugt“, betont das Ministerium.

Mehrwertsteuer: Senkung sorgt in vielen Bereichen für Niedrig-Preise

Tatsächlich sind die Preise in vielen Bereichen seit Anfang Juli gesunken. Lebensmittelhändler und -händlerinnen geben die bis zum Jahresende von 19 Prozent auf 16 beziehungsweise von sieben auf fünf Prozent reduzierte Mehrwertsteuer oft centgenau weiter. Im Auto- und Möbelhandel geht es oft um viel größere Summen. Die Branchen nehmen die Senkung zum Anlass für Werbeaktionen, bei denen die Mehrwertsteuer teils ganz erlassen wird.

Während etliche Handelsunternehmen beklagten, sie müssten Zigtausende Produkte mit neuen Preisschildern versehen, hat die Drogeriekette dm – wie einige andere Ketten auch – einen pragmatischen Weg gewählt: Am Eingang informiert ein Schild, dass die Preise am Regal unverändert sind, der Rabatt an der Kasse abgezogen wird. Ob dies mehr Kunden und Kundinnen anlockt, lässt das Unternehmen auf Nachfrage offen. Geschäftsführer Sebastian Bayer zufolge wirkten vor allem die Aktionen, mit denen der Handel auf die Preisvorteile durch die Mehrwertsteuersenkung aufmerksam mache.

Viele Restaurants und Hotels haben dagegen ihre Preise nicht gesenkt. Das bestätigt auch Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga. Sie verweist auf die wochenlangen Schließungen und Abstandsregeln, die zu einer geringeren Kapazität führen. „Wir brauchen deshalb jeden Euro, den wir durch die Steuersenkung sparen können.“

Verbraucherschutz: Senkung für Kundschaft schlicht „undurchsichtig“

Das kann Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller nachvollziehen – und viele Verbraucher und Verbraucherinnen offenbar auch. „Es gibt Verbraucher, die Verständnis haben, wenn der Wirt oder Modehändler um die Ecke nach der harten Lockdown-Zeit das zusätzliche Geld für sich behält“, sagt der Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands unserer Redaktion. Aber: „Das ändert nichts daran, dass die Maßnahme keine Konjunkturhilfe für Unternehmen, sondern eine für Verbraucher sein sollte.“

Im Alltag sei die Steuersenkung für Verbraucherinnen schlicht „undurchsichtig“, da sich die Händler sehr unterschiedlich verhielten, so Klaus Müller. Lebensmittelhändler geben sie weiter, mal am Regal oder erst an der Kasse. Im Onlinehandel seien vor der Senkung Preissteigerungen zu beobachten gewesen. „Es ist für Kunden schwer einzuschätzen, was bloßes Marketing ist und ob sie am Ende des Monats nun wirklich mehr in der Tasche haben“, sagt der Verbraucherschützer.

Mehrwertsteuer: Bürokratiemonster für kleinere Unternehmen?

Für viele mittelständische Firmen ist die vorübergehende Absenkung vor allem ein Bürokratiemonster. Eine Bauunternehmerin klagt gegenüber unserer Redaktion, die Finanzämter hätten ihre Formulare nicht angepasst, obwohl sie intern alles ändern musste. „Für uns ist die Mehrwertsteuersenkung ein Riesenaufwand.“ Andrea Stellwag, Geschäftsführerin Finanzen des unter anderem in Düsseldorf beheimateten Unternehmens Consol Software, sagt: „Wir haben davon keinen Cent, der uns mehr Wirtschaftlichkeit bringen würde.“

Wer profitiert vom Milliarden-Konjunkturpaket?

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    Das unterstreicht auch Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft. Für Firmen, die es nur mit Geschäftskunden und -kundinnen zu tun haben, bedeutet die Steuersenkung „nur höhere bürokratische Belastungen und keinerlei Nachfrageeffekt“. Für sie spielt die Steuer faktisch keine Rolle. Ohoven: „Die temporäre Mehrwertsteuersenkung gehört in die Kategorie: gut gedacht, schlecht gemacht.“ So hätten die Unternehmen kaum Vorlaufzeit gehabt.

    Besonders kompliziert wird es etwa bei der Abrechnung von Teilleistungen von Handwerkern oder bei Gas, Wasser und Strom: Der bei der Ablesung geltende Steuersatz gelte für den gesamten Zeitraum.

    Mehrwertsteuersenkung: Es wird keine Verlängerung geben

    Konsumforscher Bürkl warnt derweil vor einer Blase. Bei früheren Steuererhöhungen wie 2007 habe es erhebliche Vorzieheffekte gegeben. Anfang 2021 könnte der Konsum so wieder abflauen. Doch vielleicht hat es die Politik genau auf den kurzfristigen Impuls abgesehen.

    Minister Scholz hat bekräftigt, dass es eine Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung nicht geben wird: „Es bleibt bei der Befristung. Die ganze Mehrwertsteuersenkung würde verpuffen, wenn wir sie nicht befristen würden.“

    • Mehrwertsteuer – Mehr zur Steuersenkung

    Seit dem 1. Juli gilt die Mehrwertsteuersenkung. Vielerorts war die Ankündigung nicht mit Freude aufgenommen worden. Mehrwertsteuersenkung: Chaos und Insolvenzen drohen. Besonders Verbraucher und Verbraucherinnen sollten davon profitieren. Stimmt das? Was die Mehrwertsteuersenkung wirklich für Kunden bringt. Vor allem bei größeren Anschaffung kommt sie den Verbrauchern und Verbraucherinnen aber zugute: Mehrwertsteuersenkung reizt offenbar zum Autokauf.