Hamburg. Eine neue Prognose berechnet die Entwicklung des Containerumschlags in Hamburg bis 2035: Die Ergebnisse sind ernüchternd.

Der Hamburger Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) muss in diesen Tagen viele Fragen beantworten. Journalisten, Verbände und Unternehmer wollen von ihm wissen, welches seine Ziele in der Neuauflage der rot-grünen Regierungskoalition sind. Westhagemann antwortet dann geduldig und umfangreich. Aber eines vergisst er nie zu erwähnen: Der Senator will den Hafendialog, der seit Ende vergangenen Jahres erst wegen des Bürgerschaftswahlkampfs und dann wegen Corona unterbrochen ist, wieder aufleben lassen. Bei der hochkarätigen Runde treffen sich alle wichtigen Hafenvertreter, aber auch Gewerkschaften und Umweltverbände, um über die zukünftige Ausrichtung des Hafens zu diskutieren. Westhagemann hat ein Interesse daran, dass diese Gespräche schnell weitergehen. Er kennt nämlich Zahlen, die den bisherigen Hafenbetrieb schlecht aussehen lassen.

Bereits 2018 hatte die Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) bei den Forschungsunternehmen Economic Trends Research (ETR) des ehemaligen HWWI-Professors Michael Bräuninger und der Rostocker Competence in Ports and Logistics (CPL) eine Prognose über das Umschlagspotenzial des Hamburger Hafens bis 2035 erstellen lassen. Jetzt – nach der Bürgerschaftswahl – wurden die Ergebnisse Teilen der Hafenwirtschaft in einer Telefonkonferenz vorgestellt. Sie liegen dem Abendblatt vor und sind ziemlich ernüchternd. Demnach wird der Containerumschlag nur sehr moderat wachsen, bis auf etwa 13,2 Millionen Standardcontainer (TEU) im Jahr 2035. Dass wären in 15 Jahren also gerade einmal vier Millionen Container mehr als heute. 2019 zählte der Hafen 9,3 Millionen TEU.

Hamburger Hafen sollte deutlich schneller wachsen

Schön und gut, mag man denken, wenn dahinter nicht ein dickes „Aber“ käme. Die Auswirkungen der Corona-Krise, durch die der Welthandel eingebrochen ist und wovon sich der Hafen nicht so schnell erholen wird, ist in dem Gutachten noch gar nicht berücksichtigt. Zudem gibt es zahlreiche Wettbewerbsfaktoren – das Gutachten nennt neun –, die den Containerumschlag positiv oder negativ beeinflussen können. Kommen alle positiven zum Tragen, wäre sogar ein Anstieg auf 14,8 Millionen TEU denkbar. Läuft die Entwicklung aber gegen den Hamburger Hafen werden es nicht viel mehr als elf Millionen TEU sein.

Das ist insofern ernüchternd, als die neue Prognose alle bisherigen Voraussagen kräftig nach unten korrigiert. Der aktuelle, aber längst veraltete Hafenentwicklungsplan fußt auf einer Prognose aus dem Jahr 2010. Demnach könnte der Hamburger Hafen im Jahr 2025 mehr als 25 Millionen Standardcontainer umschlagen. Die neue Berechnung sieht bis 2035 gerade einmal die Hälfte dessen vor. Senator Westhagemann muss also schleunigst einen neuen Hafenentwicklungsplan erstellen lassen und ist deshalb an einer schnellen Fortsetzung des Hafendialogs interessiert. Dessen Ergebnisse sollen die Grundlage dieses Plans bilden.

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„Den Hafen der Zukunft zu entwickeln, geht weit darüber hinaus, nur Container zu zählen“, sagte der Senator dem Abendblatt. „Der Hamburger Hafen ist Innovationsstandort, Industriestandort und Handelsplatz. Nur im Zusammenspiel dieser Komponenten werden wir wettbewerbsfähig bleiben. Wir haben uns in dem Zusammenhang ehrgeizige Ziele vorgenommen. Das Hauptaugenmerk liegt auf Wertschöpfung. Auch die Reduzierung von Emissionen spielt eine große Rolle.“

Studie sieht eine Reihe negativer Wettbewerbsfaktoren

An eine Veröffentlichung der Studie denkt die Wirtschaftsbehörde derzeit nicht, da die derzeitigen Basis-Auswirkungen der Corona-Krise nicht hinreichend abzuschätzen sind. Allerdings wird sie intern die Diskussion über die Fortführung des bisherigen Geschäftsmodells des Hamburger Hafens weiter anheizen. Zum Beispiel gehen die Gutachter davon aus, dass die Elbvertiefung, deren Wirkung sich erst 2022 voll entfaltet, maximal 800 zusätzliche Container pro Schiffsanlauf nach Hamburg bringt. Bisher war man von 1000 zusätzlichen Boxen ausgegangen. Der Tiefwasserhafen Jadeweserport in Wilhelmshaven wird Hamburg potenzielle Ladung abnehmen.

Die im Rahmen des Seidenstraßenprojekts entwickelte Bahnverbindung von China nach Westeuropa, wird den Schiffsumschlag in den Häfen ebenfalls negativ beeinflussen – die Gutachter gehen von etwa 1,8 Millionen TEU im Jahr 2035 aus. Negativen Einfluss für den Hamburger Hafen erwarten die Experten zudem durch den massiven Ausbau der Häfen im Mittelmeer, über die Ost- und Mitteleuropa viel schneller mit Waren versorgt werden können, als wenn die Schiffe wie bisher noch extra die Nordsee hinauffahren. Schließlich geht die Studie auch noch darauf ein, dass Hamburg seiner Stellung als Umladehafen auf kleinere Schiffe verlustig geht, weil die Ostseehäfen wie Göteborg oder Gdansk kräftig ausgebaut werden. Das bedeutet, dass große Schiffe diese Häfen anlaufen können und ihre Ladung nicht mehr in Hamburg zuvor auf kleinere umladen müssen. Keine guten Vorzeichen.

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