Hamburg. Lufthansa-Tochter will sich in Hamburg von 300 vor allem jungen Mitarbeitern trennen. Wirtschaftssenator kündigt Unterstützung an.

Im Januar war Johannes Bußmann beim Abendblatt-Interview noch bester Laune. Umsatz und Gewinn seines Unternehmens Lufthansa Technik legten kräftig zu, der Vorstandschef rechnete mit einem weiteren Aufwärtstrend. 400 bis 500 Millionen Euro sollten jedes Jahr investiert werden. Der Standort am Flughafen in Fuhlsbüttel mit 8800 festangestellten Mitarbeitern stand vor weiterem Wachstum. "In Deutschland werden wir dieses Jahr etwa 800 neue Mitarbeiter einstellen, davon mehr als zwei Drittel in Hamburg", sagte Bußmann damals im Interview.

Gut vier Monate später ist von Wachstum keine Rede mehr. Ganz im Gegenteil. Die Corona-Krise hat die Luftfahrt mit voller Wucht erfasst. Weltweit lassen die Fluggesellschaften ihre Flotten ganz oder nahezu vollständig am Boden. In der Folge brechen die Aufträge für den Weltmarktführer für Reparaturen, Wartungen und Überholungen von Flugzeugen ein. Daraus will das Unternehmen nun Konsequenzen ziehen und droht mit massiven Einschnitten bei der Stammbelegschaft.

Vor allem junge Mitarbeiter betroffen – Ver.di-Mitglieder erbost

"Die Zukunft wird gefeuert!", lautet die Überschrift eines Flugblattes, das die bei Ver.di organisierten Beschäftigten verteilten. Demnach habe Lufthansa Technik den Betriebsrat über eine geplante Massenentlassung informiert. In Hamburg sollen 300 Mitarbeiter gehen. "Die geplanten Kündigungen betreffen Kolleginnen und Kollegen während der Probezeit beziehungsweise mit einer Beschäftigungsdauer von unter sechs Monaten", heißt es. Bei ihnen bestehe kein gesetzlicher Kündigungsschutz. Zudem seien dem Betriebsrat bei solchen Entscheidungen mehr oder weniger die Hände gebunden.

Erbost zeigten sich die Gewerkschaftsmitglieder, dass es vor allem jüngere Beschäftigte treffen würde. "Viele der betroffenen Kolleg*innen sind unsere Zukunft!“, steht in dem Flugblatt. Es seien junge Menschen, die gerade eingearbeitet worden seien und dringend benötigt würden. Der Blick auf die Altersstruktur des Personals zeige, wie überaltert die Belegschaft sei.

Für weltweit 4000 Mitarbeiter "keine Beschäftigung"

Während ein Insider aus dem Konzern dem Abendblatt bestätigte, dass die Größenordnung von 300 Entlassungen zumindest "nicht falsch" sei, wollte Unternehmenssprecher Jens Krüger die Zahl nicht kommentieren. "Die Lufthansa Technik steckt in der tiefsten Krise der Unternehmensgeschichte, die die Existenz des Unternehmens gefährdet", sagte Krüger.

Zwar zieht der Luftverkehr mit der Lockerung der Reisebeschränkungen in diesen Wochen langsam wieder an. Aber es werde noch Jahre dauern, bis die Auslastung an den Standorten das Niveau des vergangenen Jahres erreicht habe, sagte Krüger: "Für über 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Welt haben wir daher in der planbaren Zukunft keine Beschäftigung."

Kritik wegen Staatshilfen für Mutterkonzern Lufthansa

Um möglichst viele Mitarbeiter weiter zu beschäftigen und die Existenz des Unternehmens zu retten, müssten die Ausgaben deutlich sinken – auch fürs Personal. Man sei gezwungen über Szenarien nachzudenken, die bisher undenkbar waren, sagte Krüger: "Dazu gehören unter anderem auch mögliche Kündigungen in der Probezeit an allen deutschen Standorten. Die Entscheidung über konkrete Umsetzungen steht noch aus." Darüber liefen noch mit den Arbeitnehmervertretern Gespräche, auch auf Konzernebene.

Lufthansa Technik ist eine Tochter der Lufthansa, die erst vor gut zwei Wochen ein staatliches Rettungspaket von neun Milliarden Euro erhielt. Insbesondere in diesem Zusammenhang kritisierten die Mitarbeiter-Vertreter das Vorgehen des DAX-Konzerns. Es gebe Staatshilfen und Kurzarbeitergeld – das eigentlich gedacht sei, um Kündigungen zu vermeiden –, aber dennoch sollen Beschäftigte entlassen werden. Dabei liefen auf Konzernebene Gespräche mit dem Ziel, betriebsbedingte Kündigungen auszuschließen. Der Konzern hatte erst vor Kurzem einen Personalüberhang von 22.000 Stellen ausgemacht.

Westhagemann kündigt Hamburger Hilfe an

„Die Luftfahrt­industrie in Hamburg durchlebt die schwerste Krise“: Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos).
„Die Luftfahrt­industrie in Hamburg durchlebt die schwerste Krise“: Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos). © HA | Roland Magunia

Die Luftfahrtindustrie in Hamburg mache die schwerste Krise ihres Bestehens durch, sagte Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) dem Abendblatt: "Dass mit Lufthansa Technik nun auch eines der größten Hamburger Unternehmen zu drastischen Maßnahmen wie Kündigungen greifen muss, bedauern wir außerordentlich." Die Corona-Pandemie mit ihren Auswirkungen schlage unmittelbar auf den weltweit drittgrößten zivilen Standort der Branche durch.

Man sei seit Beginn der Krise im ständigen Austausch mit den Akteuren am Standort und versuche den Unternehmen über das Corona-Soforthilfeprogramm, das im Mittelstand großen Anklang finde, zu helfen. "Für die Hamburger Wirtschaft ist dies vielleicht der bislang heftigste, aber nicht der erste Sturm, den wir in unserer Geschichte durchleben", sagte Westhagemann: "Wir werden daher auch weiterhin alles in unserer Macht Stehende tun, um diese Turbulenzen sicher zu durchfliegen."

Beschäftigte planen Demo am Flughafen

Lufthansa Technik hatte sich bereits Ende März von fast allen Leiharbeitern in Deutschland getrennt – rund 900 Menschen. Zudem wurde Kurzarbeit beantragt. Ende Mai waren in der Hansestadt mit rund 7500 Beschäftigten etwa 85 Prozent der Belegschaft in Kurzarbeit, teilweise wurde ihre Arbeitszeit auf null Prozent gesenkt.

In Deutschland arbeiteten rund 12.000 Mitarbeiter kurz. Das Kurzarbeitergeld wird von der Agentur für Arbeit gezahlt. Es liegt bei 60 oder 67 Prozent (bei Menschen mit Kindern) des letzten Nettogehalts. Auch in anderen Ländern gebe es Kurzarbeitsmodelle, oder die Mitarbeiter würden Gehaltsverzicht üben, sagte Krüger.

Die Beschäftigten halten die beabsichtigten Entlassungen nach dem Abbestellen der Leiharbeiter für den zweiten, aber nicht den letzten Schritt der Firma. "Es ist ein Angriff auf uns alle!", steht in dem Flugblatt. Ver.di ruft die Beschäftigten der Luftverkehrsbranche für Freitag am Flughafen zu einer Demo auf.