Hamburg. Wegen der Corona-Krise ist der Umsatz eingebrochen. Projekt zur klimaneutralen Produktion soll fortgesetzt werden.
Der Stromverbrauch in Hamburg ist seit der Ausbreitung des Coronavirus zurückgegangen, insbesondere bei Unternehmen. Durch die Niederspannungsleitungen des städtischen Netzbetreibers Stromnetz Hamburg floss zwischen März und Mai gut ein Fünftel weniger Strom zu gewerblichen Abnehmern als üblich. Das Hamburger Stahlwerk, der – noch vor der Kupferhütte Aurubis – größte Stromverbraucher in der Stadt überhaupt, benötigt bereits seit Wochen sogar zwischen 25 und 30 Prozent weniger elektrische Energie, um aus Eisenerzen und Schrott Rohstahl zu schmelzen.
„Absatz und Produktion waren im April um etwa ein Viertel geringer als üblich. Für den Juni zeichnet sich ein Minus von 30 Prozent ab“, sagt Uwe Braun, der Leiter und Geschäftsführer des zum weltgrößten Stahlhersteller ArcelorMittal gehörenden Werks an der Dradenaustraße in Waltershof. Dort entstehen pro Jahr bis zu einer Million Tonnen Stahl, der zu Drahtbündeln gewalzt wird. Zwar sind die Hamburger Stahlwerker weniger stark als andere Hütten, die Flachstahl herstellen, von der schwächelnden Autoindustrie abhängig. Doch von der Absatzkrise im Maschinenbau wird der Standort an der Elbe nicht weniger heftig getroffen als die gesamte Branche. „Unsere Produkte werden unter anderem zu Stahlseilen verarbeitet und in der Ölindustrie eingesetzt. Dort ist die Nachfrage danach total eingebrochen“, sagt Braun.
Starker Umsatzrückgang und Kurzarbeit
Die Folgen an der Dradenaustraße sind dieselben wie in vielen Industriebetrieben: starker Umsatzrückgang und Kurzarbeit. Alle der gut 500 Beschäftigten des Werks machen derzeit eine Woche pro Monat Zwangspause. Der Arbeitgeber gleicht einen Teil der Lohneinbußen aus. Wie lange das noch so gehen wird, vermag der Werksleiter nicht zu sagen. Anzeichen für eine steigende Nachfrage gibt es für die Stahlbranche derzeit kaum.
Immerhin sinkt mit der Produktion im Hamburger Werk auch ein Teil der Kosten, weil eben weniger Strom verbraucht wird. Ein Teil der Anlagen um den zentralen Elektrolichtbogenofen kann sogar zeitweise ganz heruntergefahren werden. Andere Stahlwerke dagegen lassen sich nicht einfach abschalten. Sie müssen weiterhin gefahren werden – und auf Halde produzieren.
Trotz aller Unsicherheiten laufen die Planungen für eine riesige Investition in das Stahlwerk weiter. „Das Projekt ist von den aktuellen Entwicklungen unberührt“, sagt Braun. Um die 100 Millionen Euro will ArcelorMittal in den nächsten Jahren in das Hamburger Werk investieren. Das Ziel ist kein geringeres, als die Stahlherstellung eines Tages völlig ohne fossile Energieträger wie Kohle, Erdgas, Öl und damit auch ohne den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2) möglich zu machen.
Für ArcelorMittal ist Hamburg ein zentraler Standort
Alle großen Stahlkonzerne treiben bereits den Einsatz von Wasserstoff in der Produktion voran. Für ArcelorMittal ist Hamburg ein zentraler Standort. Die Branche beruft sich dabei auf ihre soziale Verantwortung und auf die für das Weltklima. Finanzielle Gründe gibt es auch: Denn für den CO2-Ausstoß müssen Emissionsrechte gekauft werden. Einen Elektrolichtbogenofen wie in Hamburg klimaneutral zu betreiben ist technisch kein Problem, sondern nur davon abhängig, wie der Strom erzeugt wird. Stammt er aus erneuerbaren Quellen wie Wind, Sonne oder Wasser, ist das Ziel der Herstellung von „grünem“ oder Öko-Stahl zumindest an dieser Stelle bereits erreicht.
Coronavirus – die Fotos zur Krise
Sehr viel schwieriger ist das bei der Produktion eines der Grundstoffe, die im Elektroofen geschmolzen werden. In Hamburg sind das neben etwa 500.000 Tonnen Schrott auch bis zu 700.000 Tonnen sogenannter Eisenschwamm pro Jahr. Dieser Eisenschwamm wird in Waltershof ebenfalls unter sehr hohem Energieeinsatz aus Eisenerz gewonnen. Dafür muss zunächst Erdgas aufgespalten werden zu einem sogenannten Reduktionsgas, das zu etwa 60 Prozent Wasserstoff enthält. „Wir wollen künftig zusätzlich 100.000 Tonnen Eisenschwamm ausschließlich mit Wasserstoff herstellen“, sagt Braun.
Ungewöhnliches Projekt mit dem Namen „WiSaNo“
Dafür aber müssen zunächst einmal etwa 100 Millionen Euro in neue Anlagen investiert werden. „Wirtschafts- und Umweltbehörde unterstützen uns sehr“, lobt der Geschäftsführer den Hamburger Senat. Die entscheidende Klippe aber sei das Bundesumweltministerium. Der Stahlhersteller hofft auf eine großzügige finanzielle Förderung des Projekts. Der entsprechende Antrag liegt bereits im Ministerium. Läuft alles glatt, könnte etwa Mitte des Jahrzehnts die Eisenschwamm-Herstellung nur mit Wasserstoff an der Dradenaustraße beginnen.
Es wäre ein Etappenerfolg. Denn klimaneutral ist das nur dann, wenn der Wasserstoff ausschließlich mit „grünem Strom“ hergestellt wird. Bislang aber existieren keine Anlagen für eine ausreichend große Menge Wasserstoff, die etwa aus Windkraft gewonnen wird. In Hamburg würde einstweilen wohl doch „grauer Wasserstoff“ eingesetzt.
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden
Zugleich läuft derzeit ein gemeinsames Forschungsprojekt von ArcelorMittal und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. Der Projektname lautet „WiSaNo“ (Wind-Stahl aus Norddeutschland) und beschreibt schon das Programm. Es geht dabei um grundlegende Fragen der Wirtschaftlichkeit der Herstellung von „grünem Stahl“. Verfahrenstechniker rund um HAW-Professor Marc Hölling prüfen verschiedene Varianten, wie sich der Strom aus Meereswindparks mit der Stahlproduktion kombinieren lässt.
Wäre es sinnvoll, Eisenschwamm gleich in Küstennähe zu erzeugen und ihn dann zu einem bestehenden Stahlwerk zu bringen? Sollte man besser ein komplettes neues Werk ans Meer stellen? Wie groß muss ein solcher Offshore-Windpark sein, wenn er Strom für die Herstellung von einer Million Tonnen Stahl liefern soll?
Noch fehlen Antworten auf viele offene Fragen zum grünen Stahl. Vor allem der wichtigste Punkt ist noch weithin unklar: Lässt sich klimaneutral Stahl überhaupt zu konkurrenzfähigen Preisen produzieren? Zumindest ein Teil der Antwort könnte aus Hamburg kommen.