Hamburg. Geschlossene Gates, kaum Gepäck, die wenigen Passagiere gehen zum Jet. Am Hamburg Airport ist der Betrieb heruntergefahren.

Das orangefarbene Warnlicht am Kontrollwagen von Oscar Poulut-Michel blinkt. Der 50-Jährige steht mit seinem gelb-schwarzen Bus direkt an der Start- und Landebahn des Flughafens in Fuhlsbüttel. Vor ihm beschleunigt eine Embraer der niederländischen Fluggesellschaft KLM. Um 12.34 Uhr hebt sie pünktlich in Richtung Norden gen Amsterdam ab. „Im Normalfall erfolgen die Starts und Landungen im Abstand von wenigen Minuten“, sagt Poulut-Michel. Doch in der Corona-Krise ist nichts mehr normal.

Der Luftverkehr ist weltweit nahezu zum Erliegen gekommen. „Als nächster Linienflug landet eine Lufthansa-Maschine aus Frankfurt, geplant um 15.37 Uhr“, sagt Poulut-Michel. Der nächste Start steht an diesem Werktag in gut fünf Stunden an. Die Lufthansa-Tochter Eurowings will um 17.55 Uhr nach Stuttgart fliegen.

Bussarde wollen auf dem Gelände jagen

„Am Anfang habe ich mich schon erschrocken“, sagt Poulut-Michel über das niedrige Flugaufkommen. Mittlerweile nutze er die neu gewonnene Zeit, um auf Kleinigkeiten zu achten. Er kenne nun jeden entlegenen Winkel der Start- und Landebahnen, die er alle sechs Stunden bei einer Pistenkontrolle abfährt. Er schaut nach Beschädigungen, möglichen Fremdobjekten auf dem Belag und beobachtet in diesen Tagen intensiv die Natur – zur Sicherheit bei den Starts und Landungen.

Mirjam Fröhlich und Thomas Piezunka klebten Verbotsschilder auf die Sitze.
Mirjam Fröhlich und Thomas Piezunka klebten Verbotsschilder auf die Sitze. © Michael Rauhe

„Vögel wie Bussarde kreisen normalerweise weit oben am Himmel. Jetzt trauen sie sich runter und wollen jagen“, sagt Poulut-Michel. Auch die Tiere merken, dass es wenig Flugbewegungen gibt. An diesem Tag stehen zehn Ankünfte und elf Abflüge auf dem Programm. Vor Corona waren es jeweils rund 200. Sieht Poulut-Michel den Bussard auf der Piste, greift er zur Schreckschusspistole und vertreibt ihn. Denn ein Vogelschlag ist für das gefiederte Vieh tödlich und für die Flugzeuge ein Sicherheitsrisiko. Zudem kostet die Reparatur die Airlines viel Geld.

80 Prozent der Mitarbeiter am Airport sind in Kurzarbeit

Poulut-Michel ist wie rund 80 Prozent der rund 2000 Mitarbeiter am Flughafen in Kurzarbeit. Der Flughafen stocke den Nettolohn von den gesetzlich geregelten 60 Prozent (Erwerbspersonen ohne Kinder) beziehungsweise 67 Prozent (mit Kindern) auf 90 Prozent auf, so das Unternehmen. Poulut-Michel leistet noch 67 Prozent seiner normalen Arbeitszeit. „Dank der Baustelle haben wir noch recht viel zu tun“, sagt er.

Einige Dutzend Meter hinter seinem „Follow me“-Fahrzeug sind Bagger, Laster und Arbeiter auf einem abgesperrten Areal mit viel Sand und Steinen unterwegs. Vor fünf Jahren startete Hamburg Airport eine Mammutaufgabe: die Sanierung des Vorfelds. Für 120 Millionen Euro müssen rund 330.000 Quadratmeter erneuert werden, weil der alte Beton nach 40 bis 60 Jahren Nutzung verschlissen ist.

Mit Mundschutz: Helmut Meierdierks leitet das Welcome Center.
Mit Mundschutz: Helmut Meierdierks leitet das Welcome Center. © Michael Rauhe

Die Fluggastbrücken sind außer Betrieb

Der Beginn am zehnten und letzten Abschnitt wurde um gut fünf Wochen vorgezogen. Seit Ende April wird nun auf den Bauabschnitten neun und zehn parallel gearbeitet. Ende September soll das Vorfeld dann wie geplant komplett erneuert sein – trotz der zeitaufwendigen Hygieneregeln, die das Bautempo verlangsamen. Poulut-Michel und seine Kollegen müssen darauf achten, dass sich außerhalb des Bauzaunes nicht zu viel Staub entwickelt. Er ist – zusammen mit dem Tower – Ansprechpartner für die Bauarbeiter und begleitet die Baufahrzeuge aus dem Flughafengelände hinaus. „Wir müssen darauf achten, dass sich alle auf den richtigen Wegen befinden“, sagt Poulut-Michel.

Das gilt auch für die Passagiere, die derzeit nur an fünf der gut 50 Gates ankommen. Die restlichen Ankunft- und Abflugbereiche sind gesperrt. Die Fluggäste steigen aus den direkt an den Terminals geparkten Flugzeugen über eine fahrbare Treppe aus und laufen übers Vorfeld ins Gebäude. Die Fluggastbrücken (auch „Finger“ genannt) sind derzeit alle außer Betrieb, weil sie höhere Kosten verursachen würden. Damit sind die Fluggäste direkt auf der Ebene der Gepäckbänder, die in dieser Mittagsstunde alle leer sind und stillstehen.

Nur wenige Geschäfte haben offen

Ein Stockwerk höher ist die Treppe zu den Kofferbändern gesperrt. Stellwände verhindern den Durchgang zum Terminal 2, der seit Mitte März für den Flugbetrieb geschlossen ist. Diese Sperrung umzusetzen war die Aufgabe des Teams um Mirjam Fröhlich. Die 31-Jährige ist Leiterin des Passagier- und Gepäckmanagements. Als das Passagieraufkommen innerhalb weniger Tage um mehr als 90 Prozent einbrach, wurde der Entschluss gefasst, alles in Terminal 1 zu konzentrieren. Um Kosten zu sparen.

Mittags im Ankunftsbereich des Hamburger Flughafens: Alle Gepäckbänder stehen still. Die nächste Maschine landet erst in knapp drei Stunden.
Mittags im Ankunftsbereich des Hamburger Flughafens: Alle Gepäckbänder stehen still. Die nächste Maschine landet erst in knapp drei Stunden. © Michael Rauhe

„Es gab viel Abstimmungsbedarf“, sagt Fröhlich. Zum Beispiel mit den Airlines. Die Lufthansa fertigt ihre Fluggäste traditionell in Terminal 2 ab und musste umziehen. Auch die Ladenbesitzer wurden informiert. Zwar dürfen sie mittlerweile wieder öffnen, aber nur wenige Geschäfte haben auf – egal ob im Sicherheits- oder im öffentlichen Bereich. Der Edeka-Markt im Erdgeschoss, die Apotheke, ein Bäcker, wenige Modegeschäfte, ein Zeitungsladen und die Autovermieter bieten ihre Dienste an. An der Sicherheitskontrolle ist zwar nur eine Spur geöffnet – es ist aber auch weit und breit kein Passagier zu sehen.

Hunderte Aufkleber wurden im Terminal angebracht

Fröhlich und ihr Kollege Thomas Piezunka stehen vor den Selbst-Check-In-Automaten. Sie halten rote Folienstreifen in der Hand. „Bitte 1,5 Meter Abstand halten“, steht auf ihnen. In Deutsch und – wie es sich an Flughäfen gehört – auch in Englisch. Piezunka klappt den Zollstock auf und misst 1,50 Meter ab. Dann gehen die beiden in die Knie, ziehen den Klebestreifen ab und drücken die Folie auf dem Boden fest.

Hunderte solcher Fußbodenaufkleber haben sie schon befestigt. Folgen sollen noch runde mit dem Slogan „Bitte halten Sie Abstand“, die an verschiedenen Stellen des Gebäudes als Gedankenstütze für die Passagiere geklebt werden. Distanz halten ist das Gebot der Corona-Stunde. Um das sicherzustellen, müssen Wege überprüft und neu angelegt werden, Sitzbänke werden bei Bedarf auseinandergezogen.

300 bis 400 Passagiere sind es derzeit pro Tag

Ins Auge fallen derzeit vor allem die „Einfahrt verboten“-Schilder, die normalerweise an der Ausfahrt von Einbahnstraßen stehen. Mehr als 500 dieser roten, runden Schilder mit weißem Balken prangen auf den Sitzbänken. Auf jeder Viererbank sind drei Plätze mit dem Aufkleber versehen. Die Aufforderung ist klar: Bitte hier nicht hinsetzen. Ein klares, international bekanntes Zeichen. „Je mehr Text auf ein Hinweisschild gepackt wird, umso weniger liest der Passagier das“, sagt Piezunka. Stark nachgefragt sind die Sitzbänke nicht. Im weitläufigen Terminal 1 sind nur wenige Menschen unterwegs.

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    Der Flughafen gleicht fast einer Geisterstadt. An stark frequentierten Tagen starten mehr als 30.000 Passagiere ab Fuhlsbüttel. Im Schnitt sind es derzeit insgesamt 300 bis 400 pro Tag – die also losfliegen oder ankommen. Da klingt es fast merkwürdig, dass der 57-Jährige sagt: „Wir sehen eine leicht ansteigende Tendenz.“ Aber immerhin bietet Eurowings Stuttgart, Mallorca und Wien wieder an und will ab Juni 14 weitere Ziele ins Programm aufnehmen. Auch ein paar Charterflüge mehr als im tiefsten Corona-Tal gebe es nun wieder.

    Spuckschutzwände werden aufgestellt, Desinfektionsmittelspender gekauft

    Die Terminalmanager nutzen die Zeit, um Bauarbeiten vorzuziehen. In Terminal 2 werden zehn neue Automaten aufgestellt, an denen die Passagiere ihr Gepäck selbst aufgeben können. Spätestens Anfang Juni könnten sie in Betrieb gehen. „Wir können dort nun tagsüber Lärm machen, was wir mit Passagieren nicht könnten“, sagt Fröhlich. Bei der Gepäckbeförderung werden die Röntgengeräte erneuert. Wurden 2019 im Schnitt täglich rund 26.500 Koffer täglich transportiert, sind es derzeit manchmal nur 50 pro Tag.

    Oscar Poulut-Michel steht auf dem Vorfeld neben seinem Kontrollwagen.
    Oscar Poulut-Michel steht auf dem Vorfeld neben seinem Kontrollwagen. © Michael Rauhe

    An einigen Schaltern wurden durchsichtige Spuckschutzwände aufgestellt. Rund 100 sind bestellt, ein Drittel ist montiert. Die Bildschirme sollen künftig häufiger gereinigt werden. In einer ersten Charge wurden 25 Desinfektionsmittelspender gekauft, weitere sollen folgen – wenn der Passagierverkehr wieder anzieht. „Innerhalb von ein bis zwei Tagen könnten wir auch den Betrieb in Terminal 2 wieder hochfahren“, sagt Fröhlich, die 50 Prozent Kurzarbeit macht.

    Eine Fundsache ist schon fast ein Highlight

    Sogar nur 30 Prozent seiner Arbeitszeit absolviert Helmut Meierdierks. Der 52-Jährige leitet das Welcome Center und fällt durch seinen roten Mundschutz auf, der mit dem Airport-Logo versehen ist. Ein Kollege, der Schneider gelernt hat, habe rund 60 Stück davon genäht, erzählt er. „Besucher sollen keine Angst haben, sich anzustecken“, sagt Meierdierks. Im Welcome Center besteht im Gegensatz zu den anderen öffentlichen Bereichen des Flughafens aus diesem Grund Mundschutzpflicht. Dort fragen Touristen aus aller Welt nach Hotspots, Geheimtipps, Tickets für Veranstaltungen – und vor allem nach HVV-Fahrkarten, um in die Stadt zu ihrem Hotel zu kommen.

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    Im Schnitt sind es 800 Kunden pro Tag – in Corona-Zeiten etwa ein Dutzend. „Heute morgen hat jemand eine Fundsache abgeholt“, sagt Meierdierks. Das ist in diesen flauen Tagen schon fast ein Highlight. Normalerweise fallen um die 50 verlorenen Gegenstände pro Tag an. Nach Ablauf von sechs Monaten werden sie versteigert. Da dies jetzt nicht ging, wurden sie an karitative Organisationen verschenkt. Er hofft, dass es Mitte/Ende Juni so langsam mit dem Tourismus wieder losgehe. Die gähnende Leere störe ihn, sagt Meierdierks: „Für mich ist das wirklich dramatisch, weil ich Flughafen-Blut in mir habe.“

    Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

    • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
    • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
    • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
    • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
    • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden