Neben großen Firmen haben auch viele kleine Unternehmen kreative Ideen entwickelt, um anderen in dieser schwierigen Zeit zu helfen.
Hocker kaufen, Clubs retten
Vier Hamburger Möbelbauer starten Onlineaktion für die Kulturszene.
Das Besondere an den Möbeln von Jan Cray ist die Verbindung aus Holz und Metall. In seiner Werkstatt in Altona baut er komplette Küchen, außerdem Tische, Bänke und Hocker für drinnen und draußen. Der 34-Jährige liebt seine Arbeit. Nach Feierabend geht er gern auf Konzerte und in Musikclubs. Im Prinzip nichts Ungewöhnliches. Nur dass die Hamburger Kulturszene seit Beginn des Corona-Stillstands Mitte März komplett ausgebremst ist.
„Als Handwerksbetrieb dürfen wir weiterarbeiten“, sagt der Unternehmer, der neun Mitarbeiter beschäftigt. Immerhin das Kerngeschäft habe er trotz Einbußen aufrechterhalten können. „Ein Privileg“, wie er findet – und irgendwie auch ein Auftrag. „Wir haben uns überlegt, wie wir anderen in dieser Situation aktiv helfen können.“ Gemeinsam mit seiner Schwester Anna Cray, studierte Kommunikationsdesignerin und Artdirektorin im Familienbetrieb, initiierte der Möbelproduzent die Onlineplattform „Hocker for Help“ zugunsten des Vereins Clubkombinat Hamburg.
Noch eine ungewöhnliche Verbindung. „Hocker sind ein Multitalent, das jeder brauchen kann“, sagt Anna Cray. Außerdem sind sie so etwas wie das Lieblingsmöbelstück von Club- und Barbetreibern. Die Cray-Geschwister machten sich auf die Suche nach Mitstreitern, um das Hocker-Angebot zu vergrößern. Inzwischen sind die Hamburger Möbelmanufakturen und -designer Hafenholz, Ply Atelier und We are Studio Studio bei dem Projekt dabei. „Immer haben wir die Ausgehmöglichkeiten Hamburgs für selbstverständlich genommen. Was sie für uns bedeuten und wie sehr sie uns fehlen, merken wir erst jetzt, wo es sie für uns nicht mehr gibt“, sagen Lasse Bagdahn und Per Völkel von Hafenholz. Unter dem Motto „Kauf einen Hocker und rette die Hamburger Kulturlandschaft“ offerieren sie seit Ende April ihre „Hocker for Help“. „Der Gewinn geht vollständig an den Verein Hamburger Clubkombinat“, sagt Anna Cray.
Im Angebot sind sechs Modelle zu Preisen zwischen 199 und 450 Euro. Drei Hocker in unterschiedlichen Höhen kommen von Jan Cray aus der Serie 6Grad mit einem Gestell aus pulverbeschichtetem Stahlblech in acht Farben und einer Platte aus recyceltem Bauholz. Die anderen Manufakturen haben jeweils ein Modell beigesteuert – wobei jedes eine individuelle Handschrift trägt. Je nach Anbieter sind die Hocker auf Lager oder werden in vier bis sechs Wochen geliefert. „Die Resonanz ist positiv. Die ersten 20 Hocker waren ganz schnell weg“, sagt Anna Cray. Sie hofft, dass sich die Aktion weiter rumspricht.
Der Gewinn, im Schnitt 20 bis 30 Prozent des Verkaufspreises, geht komplett an das Clubkombinat, in dem Clubbetreiber, Veranstalter, Booker und Agenturen vertreten sind und das das Geld weiterverteilt. „Es ist jetzt schon absehbar, dass Clubs und Veranstaltungshäuser vermutlich die letzten sein werden, für die die gültige Allgemeinverfügung wieder aufgehoben wird“, sagt Clubkombinat-Geschäftsführer Thore Debor. Für viele sei die Lage düster. Es gehe jetzt um Solidarität, sagt „Hocker-for-Help“-Initiator Jan Cray: „Aktuell ist es wichtiger denn je, als Unternehmer zusammenzuhalten und sich gegenseitig zu unterstützen.“ Damit hoffentlich bald wieder viele auf einem Hocker in einem Club oder in einer Bar sitzen können.
Suppen für Obdachlose vom Fernsehkoch
Tarik Rose und das Start-up Recyclehero versorgen Menschen auf der Straße.
Übergabe ist um 14.30 Uhr. Nadine Herbrich steht meistens schon mit ihrem E-Lastenrad vor dem Bahnhof Altona, wenn Tarik Rose kommt. Gemeinsam mit dem Inhaber des Restaurants Engel lädt sie die Fracht um: im Schnitt 100 Pappbehälter mit Suppe, in Papiertüten verpackt mit Besteck, Brötchen, einer kleinen Wasserflasche und Keksen. Dann radelt Herbrich los. Inzwischen kennt sie die Plätze, wo die Menschen sind, die auf der Straße leben. „Für viele ist es die einzige Chance auf eine warme Mahlzeit“, sagt die Mitgründerin des Start-ups Recyclehero, einem Abholservice für Altpapier, Altglas und Pfandflaschen. In Corona-Zeiten ist damit kaum ein Geschäft zu machen. Seit mehr als sechs Wochen nutzt sie ihre freien Kapazitäten und ist für die Initiative Strassensuppe unterwegs.
Nadine Herbrich ist die Logistikerin in dem Hilfsprojekt, das Nikolas Migut vom Obdachlosenverein strassenblues und Restaurantbetreiber Rose Ende März angeschoben haben. „Ich wollte in der Krise etwas tun. Aufgeben ist keine Option“, sagt der Koch, der regelmäßig im NDR zu sehen ist. Zu dem Zeitpunkt hatte er sein Lokal am Anleger Teufelsbrück wegen der Ansteckungsgefahr gerade dichtmachen müssen. Parallel waren auch die meisten Anlaufstellen für Obdachlose wegen der Ansteckungsgefahr geschlossen. In nur 48 Stunden ging Strassensuppe an den Start, mit einer Curry-Linsen-Suppe.
„Wir haben klein angefangen“, sagt Rose. Anfangs habe er die heiße Suppe in Styroporbecher gefüllt, die aber geschmolzen seien. „Ich musste schnell nachkochen.“ Inzwischen hat sich die Hilfsaktion eingespielt. 30 bis 40 Liter Suppe bereitet der Engel-Betreiber inzwischen pro Tag zu. Kartoffelsuppe, Steckrübensuppe, Rinderbouillon, auch mal Chili con Carne – Hauptsache warm und gesund. Einmal in der Woche stellt das Restaurant Eisenstein die warme Mahlzeit. Die Brötchen kommen von der Bäckerei Junge. Mehr als 3000 Suppen hat das dezentrale Versorgungsprojekt schon verteilt.
„Wir machen das, solange Bedarf besteht“, sagt Strassenblues-Chef Migut. Er hatte mit seinem Verein eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um die Corona-Hilfe für Menschen ohne Obdach zu organisieren. 100.000 Euro waren dabei zusammengekommen. Am Anfang der Krise waren 20 Euro in bar und Supermarkt-Gutscheine an Bedürftige verteilt worden. Auch Einmalmasken wurden gekauft. Ein Teil des Geldes soll jetzt an Recyclehero für entstehende Kosten gehen. Sicher ist, dass das Geld wohl noch einige Zeit reichen muss.
Für den erfolgreichen Koch Tarik Rose ist das Projekt eine besondere Erfahrung. Oft ist er am Beginn der Strassensuppen-Tour dabei. „Es sind tolle Gespräche, die ich vorher so nicht hatte“, sagt er. Sein schönstes Lob war: „Das war die beste Suppe meines Lebens.“
Zu Hause trinken – und Gastwirte unterstützen
Brauerei Landgang bietet Craftbier zu Restaurantpreisen und gibt 50 Prozent weiter.
In einem Kessel der Brauerei Landgang brodelt derzeit ein besonderer Sud. Unter dem Namen „Land in Sicht“ haben die Craftbier-Brauer aus Bahrenfeld ein Helferbier angesetzt, mit dem sie Bars, Kneipen und Restaurants während der Corona-Schließungen unterstützen wollen. „Die Gastronomie ist von der Krise besonders hart getroffen“, sagt Geschäftsführer Lars Grosskurth, der Landgang vor fünf Jahren mit Sascha Bruns und Tim Becker gegründet hat. Inzwischen haben die kantigen Biere der Nordlichter eine stabile Fangemeinde. Mit 400.000 Litern im Jahr und 15 Mitarbeitern ist das Unternehmen die drittgrößte Brauerei Hamburgs.
Als Mitte März das öffentliche Leben wegen Sars-CoV-2 angehalten wurde, musste der Betrieb die Produktion runterfahren und ein Drittel der Beschäftigten in Kurzarbeit schicken. „Uns sind 40 Prozent des Absatzes weggebrochen“, sagt der Ex-Reemstma-Manager. Schnell sei die Idee entstanden, ein Charity-Bier anzubieten und damit einen Beitrag in der Krise zu leisten. „Land in Sicht“ haben sie es genannt – auch ein Zeichen der Hoffnung. Das Prinzip dahinter: Die Käufer müssen ihr Bier jetzt zu Hause trinken, zahlen aber den Preis, den sie sonst in einer Kneipe hinlegen. Ähnliche Initiativen für den Erhalt der lokalen Gastrokultur verfolgen die Brauerei Ratsherrn mit ihrem „Rettungsring Pilsener“ und die Bio-Brauer Wildwuchs mit ihrem „Likedeeler“.
„Wir haben dafür eine Sorte ausgewählt, die wir sonst nicht in Flaschen abfüllen“, sagt Landgang-Geschäftsführer Grosskurth. „Land in Sicht“ ist ein Zwickel mit wenig Kohlensäure und frischem Geschmack. Verkauft wird das Sechserpack für 20 Euro. Das entspricht einem Flaschenpreis von gut 3,30 Euro. „Die Hälfte des Umsatzes geht direkt an die Gastronomen.“ 80 Betriebe bekommen Geld aus der Aktion, alle Namen sind auf dem Etikett zu finden.
Möglich ist das Ganze, weil sowohl der Großhändler als auch Einzelhändler auf die üblichen Margen verzichteten. „Für uns als Hersteller bleiben nach Abzug der Steuern sechs Euro. Das deckt die Produktionskosten“, so Grosskurth. Der erste Sud, immerhin 2500 Liter, war innerhalb eines Tages ausverkauft. „Danach konnten wir die ersten 12.500 Euro verteilen.“
Am kommenden Dienstag sollen die nächsten 7500 Flaschen abgefüllt werden. „Wir hoffen, dass es wieder so gut läuft“, sagt der Landgang-Geschäftsführer. Am Freitag startet auch wieder ein Werksverkauf. Zudem ist „Land in Sicht“ auch über den Online-shop erhältlich. Inzwischen ist schon der dritte Sud in Planung. „Unser Konsum heute bestimmt die Welt von morgen“, sagt Lars Grosskurth. „Wenn wir uns in der Krise eingeschüchtert auf Dosenravioli, Dosenbier vom Discounter und TV-Serien schauen zurückziehen, wird die neue Normalität ziemlich traurig.“
Der Förderpreis
- Unter dem Motto „Unternehmer helfen!“ haben die Initiatoren des Gunnar-Uldall-Wirtschaftspreises kurzfristig einen zusätzlichen Förderpreis ausgelobt. „Wir wollen in Zeiten der Corona-Pandemie Beispiele für unternehmerische Solidarität prämieren“, sagt der Vorsitzende des Kuratoriums, Wilhelm Alms.
Der Preis ist mit 15.000 Euro dotiert. Besonderes Augenmerk liege auf Existenzgründern, die mit Kreativität und Erfindergeist einen Beitrag leisten, heißt es in der Ausschreibung, die sich an Unternehmen in der Metropolregion Hamburg richtet.
Bewerbungen und Vorschläge können formlos eingereicht werden. Weitere Informationen unter www.gunnar-uldall-wirtschaftspreis.de. Allerdings ist Eile geboten: Bewerbungsschluss ist Sonntag, der 10. Mai 2020.