Hamburg. Die Zahl der Erwerbslosen schnellt in Hamburg auf ein Zehn-Jahres-Hoch. Die Prognosen sind nur wenig erfreulich.

Damit dürften selbst die größten Pessimisten nicht gerechnet haben: Die Zahl der Arbeitslosen in Hamburg ist im Zuge der Coronakrise bereits im April auf ein Zehn-Jahres-Hoch geschnellt. Exakt 77.518 Hamburger sind nun offiziell ohne Job – ein Anstieg innerhalb eines Monats um fast 11.000 Personen oder 16,5 Prozent.

Zum April 2019 beträgt die absolute Steigerung sogar fast 15.000 oder 23,5 Prozent. Die offizielle Arbeitslosenquote hat sich damit zum März um einen Punkt auf 7,3 Prozent erhöht.

„Die Coronapandemie hat den Hamburger Arbeitsmarkt voll erfasst“, sagte der Chef der Arbeitsagentur Hamburg, Sönke Fock, bei der Erläuterung des Monatsberichts. Auch er sei von dem starken Anstieg der Erwerbslosenzahl überrascht gewesen.

Offensichtlich hätten sich viele kleinere Betriebe aus der Kultur und Gastronomie gegen Kurzarbeit und für Entlassungen entschieden. Fock: „Gerade dort gibt es oft kaum finanzielle Rücklagen und damit keine Perspektive für einen Neustart im früheren Geschäftsumfang.“

Gastronomie wegen Corona nahezu komplett geschlossen

Besonders stark legte die Arbeitslosigkeit bei Beschäftigten aus der Lagerwirtschaft, der Gastronomie, im Verkauf, bei Büro- und Sekretariatsarbeiten sowie speziell unter Köchen zu. Vor allem gut ausgebildetes Küchenpersonal war vor der Krise in den Restaurants begehrt, nun findet es wegen der Coronakrise keine Anstellung mehr, denn die Gastronomie ist nahezu komplett geschlossen.

Auch bei Ungelernten steht ein deutliches Plus der Arbeitslosen von 16,1 Prozent. Mehr als 44.000 von ihnen suchen nun eine Beschäftigung. Damit dürfte sich die These bewahrheiten, dass vor allem weniger Qualifizierte im Zuge der Pandemie ihren Job verlieren werden.

Besonders dramatisch: Bei den Jugendlichen unter 25 Jahren meldeten sich zum Vormonat 23,5 Prozent mehr arbeitslos – ein deutlich überdurchschnittlicher Anstieg. Exakt 6605 junge Hamburger haben nun keine Arbeit. Das sind 1256 mehr als im März. Viele junge Hamburger sind aktuell verunsichert, wo und ob sie sich überhaupt noch auf eine Lehrstelle bewerben sollen.

Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze stark rückläufig

Die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze in der Stadt ist bereits stark rückläufig, nicht wenige Schulabsolventen fürchten, dass sie wegen des weitgehenden Shutdowns und der strengen Hygienevorschriften, eine Lehrstelle gar nicht antreten können oder ihr Vertrag womöglich kurzfristig wieder gekündigt wird.

Agenturchef Fock fordert die Mädchen und Jungen dennoch dazu auf, an ihrem Wunsch einer Berufsausbildung festzuhalten: „Es besteht kein Grund zur Verunsicherung, zumal fast alle Wirtschaftsbereiche Nachwuchs suchen: Handwerk, Logistik, IT, Gesundheitswesen und der öffentliche Dienst.“

Ein Blick in die Hamburger Bezirke macht klar, dass sich das Problem der steigenden Arbeitslosigkeit nicht lokal begrenzen lässt. Alle Bezirke haben mit deutlich mehr Erwerbslosen zu kämpfen. Den prozentual höchsten Anstieg gegenüber April 2019 hat Wandsbek mit einem Plus von 31,4 Prozent zu verkraften. Am unteren Ende rangiert der Bezirk Mitte mit plus 19 Prozent. Die höchste Arbeitslosenquote weist derweil Harburg mit 9,4 Prozent auf. Am niedrigsten war der Wert in Eimsbüttel mit 5,3 Prozent.

Arbeitsagentur meldet viele Kurzarbeiter

Auch die Zahl der Kurzarbeiter ist extrem hoch: 272.900 Beschäftigte sind der Arbeitsagentur von den Unternehmen gemeldet worden, das ist mehr als jeder vierte (26,9 Prozent) sozialversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer in der Hansestadt.

Allerdings dürfte die tatsächlich realisierte und abgerechnete Kurzarbeit sehr viel geringer ausfallen, weil viele Unternehmen Kurzarbeit pauschal für alle Mitarbeiter im vollen Umfang angezeigt haben, „um eine maximale Flexibilität des Personaleinsatzes in der aktuell schwierigen Auftragslage zu haben“, so die Arbeitsagentur. Wirklich abgerechnet wird sie wohl nur für Teile der Belegschaft.

Nicht nur der Hamburger Arbeitsmarkt wird von der Coronakrise voll erwischt. Bundesweit ist die Zahl der Erwerbslosen nach oben geschossen. So meldete die Bundesagentur für Arbeit im April 2,644 Millionen Menschen ohne Beschäftigung – ein Zuwachs von 308.000 gegenüber März. Die Quote legte um 0,7 Punkte auf 5,8 Prozent zu. Die sonst übliche Frühjahrsbelebung fiel wegen der Pandemie aus. Zugleich stiegen die Anzeigen auf Kurzarbeit auf ein Rekordhoch. Im März und April wurden 751.000 Anzeigen für 10,1 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland registriert.

Alarmierende Entwicklung

Auch in den an Hamburg angrenzenden Bundesländern gab es eine alarmierende Entwicklung. Schleswig-Holstein meldete 92.000 Arbeitslose (plus 12,6 Prozent zum März). Die Arbeitslosenquote im nördlichsten Bundesland liegt nun bei 5,8 Prozent, nach 5,0 Prozent im April des Vorjahres. In Niedersachsen stieg die Zahl der Erwerbslosen zum März ebenfalls um rund zwölf Prozent auf 247.000 Menschen.

Und die Zahlen für Mai dürften nach Meinung vieler Experten für Hamburg, den Norden und Deutschland noch schlechter aussehen. „Die Arbeitslosigkeit in Hamburg wird in den nächsten Monaten trotz großer Bemühungen aller verantwortlichen Akteure in Politik, Wirtschaft und Verwaltung weiter ansteigen“, so Fock. Auf eine genaue Zahl mag er sich für die Hansestadt aber nicht festlegen, dafür gebe es zu viele Unwägbarkeiten.

Bundesregierung rechnet mit drei Millionen Erwerbslosen

In Deutschland rechnet die Bundesregierung bereits mit drei Millionen Erwerbslosen wegen der Pandemie. Henning Vöpel, Direktor des renommierten Hamburger Wirtschaftsforschungsinstituts HWWI, nennt diesen bundesweiten Wert im Gespräch mit dem Abendblatt „eine realistische Untergrenze“. Aktuell würde es sich bei vielen in den Statistiken Erfassten noch nicht um „echte Entlassungen“ handeln. Vöpel geht eher davon aus, dass das Gros der Betriebe Zeitverträge hat auslaufen lassen. „Doch die echten Entlassungen werden zunehmen“, davon ist Vöpel überzeugt.

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    Und wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt aus seiner Sicht in Hamburg? Der Ökonom sieht die Hansestadt wegen ihrer vielen Jobs in der Unterhaltungsbranche, der Gastronomie und Hotellerie besonders gefährdet. „Ich halte es nicht für unrealistisch, dass wir in diesem Jahr noch mehr als 100.000 Arbeitslose in Hamburg haben werden.“

    Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

    • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
    • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
    • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
    • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
    • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden