Hamburg. Ringen um 800-Quadratmeter-Regel. Die Klage des Sporthauses dürfte für den gesamten Einzelhandel richtungsweisend sein.

Ein Verkäufer drückt jedem Kunden am Eingang von Sport Scheck einen schwarzen, rollenden Einkaufskorb in die Hand. Hier und da stehen Flaschen mit Desinfektionsmittel. Alle Verkäufer tragen Mundschutz. Einkaufen in Coronazeiten. Der Kassenbereich ist mit durchsichtigen Plastikscheiben geschützt. Durch einen Einlass können Geld und Waren ausgetauscht werden. Auf dem EC-Kartenlesegerät ist ein Film aus Reinigungsmittel zu sehen. Bargeld nehme man zwar auch, aber derzeit nicht so gerne, sagt eine Verkäuferin.

Im Erdgeschoss stehen vor allem Artikel rund ums Joggen, von Schuhen über Laufhosen und Shirts bis zu Socken. Die Artikel liefen derzeit ganz gut, offenbar wollen die Leute bei dem schönen Wetter nach draußen, so die Verkäuferin. Bei Bedarf könne man auch Waren aus den anderen Stockwerken holen. Den (am Donnerstagvormittag recht spärlich anwesenden) Kunden bleibt der Zutritt nach oben verwehrt. Körbe blockieren die Rolltreppen.

Geöffnet hat im 4000 Quadratmeter großen Sportfachgeschäft an der Mönckebergstraße nur das Erdgeschoss. Es hält damit die nach der Coronavirus-Eindämmungsverordnung der Stadt Hamburg zulässigen 800 Quadratmeter Verkaufsfläche offenbar ein – wenn auch widerwillig. Denn das Unternehmen geht auf juristischem Weg gegen diese Anordnung vor. Erst gab es vor dem Verwaltungsgericht einen Etappensieg für Sport Scheck, dann punktete die Stadt vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG). Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.


Worum geht es in dem Rechtsstreit?
In der vergangenen Woche hatte Sport Scheck die Klage eingereicht. Damals musste der Einzelhandel – abgesehen von Ausnahmen wie Supermärkten und Drogerien – noch geschlossen bleiben. Das Ziel des Unternehmens: die Wiederöffnung. Weil der Hamburger Senat am vergangenen Freitag dafür die Erlaubnis gab, aber die Verkaufsfläche bei größeren Geschäften auf 800 Quadratmeter (qm) begrenzte, beriet das Verwaltungsgericht auch über diese Regelung.


Was teilte das Verwaltungsgericht mit?
Die Größenvorgaben seien „nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht geeignet, dem mit der Rechtsverordnung verfolgten Zweck des Infektionsschutzes zu dienen“, teilte die Pressestelle des Gerichts mit (Az.: 3 E 1675/20). Die angeordneten Hygienemaßnahmen – wie zum Beispiel einen Mindestabstand von 1,50 Metern zwischen Personen – ließen sich in großflächigen Handelsgeschäften ebensogut wie oder sogar besser als in kleineren Einrichtungen einhalten. Zudem würde das Öffnen großer Geschäfte nicht zu einem Massenansturm von Menschen in der Innenstadt und in Bussen und U- und S-Bahnen sorgen, wie es der Senat vermute. Die Attraktivität von Geschäften entstehe durch ihr Angebot, nicht durch ihre schiere Größe. Der Kläger werde durch die bestehende Regelung in seiner Berufsfreiheit verletzt.

In Kraft ist diese Entscheidung aber nicht. Die Stadt legte durch das Bezirksamt Mitte als Beklagte Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) ein. Zudem pocht sie darauf, dass bis zur dessen Entscheidung die 800-qm-Regel weiterhin angewendet wird und beantragte dafür eine gerichtliche Zwischenverfügung.

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    Was entschied das OVG?
    Das OVG folgte in der Zwischenverfügung der Position der Stadt insofern, dass die Coronavirus-Eindämmungsverordnung zunächst weiterhin angewendet wird (Az.: 5 Bs 64/20). Heißt: Bis zum 30. April darf Sport Scheck maximal 800 qm Verkaufsfläche öffnen. Begründet wurde dies mit der „Vermeidung schwerer und unabwendbarer Nachteile“, so die Pressemitteilung. Würde das OVG später nämlich zu der Entscheidung kommen, dass die Begrenzung der Verkaufsfläche ein probates Mittel sei, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, könnte ein irreparabler Schaden für Bevölkerung bereits eingetreten sein – das soll verhindert werden. Eine Vorentscheidung im eigentlichen Verfahren bedeute dies aber nicht, hieß es vom Gericht: „Die Erfolgsaussichten der Beschwerde sind nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts offen.“ Weder Sport Scheck noch die Stadt Hamburg wollten sich auf Anfrage zu der Angelegenheit äußern.


    Sind auch andere Händler betroffen?
    Klar ist: Sollten auch die OVG-Richter pro Sport Scheck urteilen, gilt diese Entscheidung nur für das Unternehmen. Sport Scheck dürfte dann auf ganzer Fläche wieder aufmachen. Das Oberverwaltungsgericht kündigte eine Entscheidung bis spätestens nächsten Donnerstag an. Wollen andere Firmen eine komplette Öffnung ihrer größeren Verkaufsflächen erreichen, müssten sie den Klageweg beschreiten. Allerdings hätte eine entsprechende OVG-Entscheidung wohl Signalwirkung. Heißt: Die Stadt Hamburg würde wahrscheinlich drohenden weiteren Klagen aus dem Weg gehen wollen und würde die Coronavirus-Eindämmungsverordnung wohl ändern.

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    Was sagen Verbände und Politik?
    „Wir finden die Entscheidung des Verwaltungsgerichts richtig“, sagte Brigitte Nolte, Geschäftsführerin des Handelsverbands Nord in Hamburg. Man habe sich von Anfang an in der Coronakrise für Öffnung der Läden ohne Einschränkungen hinsichtlich Branche oder Größe eingesetzt. Auch auf größeren Flächen könnten die Hygienemaßnahmen eingehalten werden. Die Händler seien da sehr kooperativ und anpassungswillig. „Es ergibt nicht in jedem Warenhaus Sinn, das Angebot auf 800 Quadratmeter zu begrenzen. Zudem ist das sehr aufwendig“, sagte Nolte. Geschätzt seien während des Shutdowns pro Tag 25 Millionen Euro Umsatz dem Hamburger Handel verloren gegangen. Darunter würden die Geschäfte massiv leiden. Es drohe eine Insolvenzwelle. Seit Montag können die Läden zwar wieder öffnen, „aber die Konsumstimmung ist nicht da“. Der Umsatz liege dieser Tage bei etwa der Hälfte des sonst üblichen.

    Auch größere Geschäfte hätten berechtigte Existenzsorgen, sagt Götz Wiese. Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion zeigte sich aufgeschlossen für eine Öffnung von Geschäften mit mehr als 800 Quadratmetern, falls das OVG so entscheiden sollte. „Wenn ich mir ansehe, wie vorbildlich und innovativ die Bau- und Supermärkte die Hygienevorschriften umsetzen, bin ich überzeugt, dass dies der Einzelhandel ebenso vermag, unabhängig von der Größe des Geschäfts“, sagte Wiese. Am Ende komme es auf jeden Einzelnen an, dass durch hohe Disziplin und das Einhalten der Regeln die vorsichtigen Öffnungsmaßnahmen funktionierten „und ein Leben mit dem Virus möglich bleibt“.

    Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

    • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
    • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
    • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
    • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
    • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden