Hamburg. Der Hamburger Klavierbauer hat Kurzarbeit beantragt und arbeitet in Wechselschichten. Ausgeliefert wird trotzdem.
Auch der Chef trägt Schutzmaske. „Das ist jetzt für alle Pflicht“, sagt Guido Zimmermann. Im edlen blauen Anzug steht der Geschäftsführer des Flügelbauers Steinway & Sons auf dem Betriebshof in Bahrenfeld und zieht einen weißen Mund-Nasen-Schutz vor dem Gesicht zurecht. Das gab es so auch noch nicht bei dem renommierten Instrumentenhersteller. Aber die Coronakrise trifft auch die Traditionsfirma mit 167-jähriger Geschichte, die seit 1928 in dem Backsteinkomplex am Rondenbarg Flügel und Klaviere herstellt und in die ganze Welt liefert.
„Um weiter produzieren zu können, haben wir ein Konzept mit zahlreichen Maßnahmen zum Schutz unserer Mitarbeiter entwickelt“, sagt Zimmermann. Gar nicht so einfach in einem Betrieb, in dem noch fast jeder Arbeitsschritt per Hand erledigt wird. Vor Ostern stand die Produktion deshalb für gut zwei Wochen still.
Stornierungen von Aufträgen kommen selten vor
Bei Steinway wird langfristig gearbeitet. Bis alle 12.000 Einzelteile montiert sind und ein Flügel die Fabrik verlässt, dauert es oft ein Jahr und länger. „Wir liefern auch jetzt weiter aus“, sagt Geschäftsführer Zimmermann. Zudem gehe der Verkauf weiter. Die Beratung für die Auswahl des passenden Instruments läuft per Videokonferenz.
Trotzdem: Auch bei Steinway, wo in normalen Zeiten unter anderem Starpianisten klaglos auf ihren Wunschflügel warten, ist der Auftragseingang rückläufig. Einige Konzerthäuser und Hochschulen hätten inzwischen signalisiert, dass sie Bestellungen aufgrund der schwierigen Situation im Entertainmentbereich verschieben müssen. „Erfreulicherweise haben wir kaum Stornierungen“, sagt Zimmermann. Bislang liege die Zahl bei wenigen Dutzend.
Wieder Aufträge aus China
Aus China, wo Covid-19 Ende 2019 ausgebrochen war, kämen bereits wieder Aufträge. „Es ist nicht so, dass wir nicht betroffen sind. Aber ich denke, dass wir uns gut durch die Krise manövrieren können“, sagt der Topmanager, der die Steinway-Regionen Europa und Asien verantwortet. Nach mehreren Jahren mit deutlich zweistelligen Wachstumsraten, gehe er davon, dass 2020 trotz der Krise ein ordentliches Geschäftsergebnis erzielt werden könne. Auch den geplanten Bau eines neuen Lackierhauses sieht er nicht in Gefahr.
Direkt nach Ostern ist der Betrieb in der Flügelmanufaktur wieder angelaufen. Allerdings reduziert. Am ersten Arbeitstag nach der Zwangspause kam nur gut die Hälfte der 500 Beschäftigten ins Werk. Steinway hat Mitte April Kurzarbeit am Standort Hamburg angemeldet. „Wir arbeiten in zahlreichen Bereichen mit wöchentlich wechselnden Schichten“, sagt Zimmermann.
Gewöhnungsbedürftige Maßnahmen
In der Flügelmontage, wo Klaviaturen und Mechanik in die Instrumente eingebaut werden, ist an diesem Vormittag nur jeder zweite der 60 Arbeitsplätze besetzt. „So können wir die Abstandsregel von zwei Metern einhalten“, sagt der stellvertretende Abteilungsleiter Ibrahim Muharemi. Die Schichtplanung sei individuell mit jedem einzeln abgesprochen worden. „Wir sind froh, dass es so läuft.“
In einem anderen Bereich des verzweigten Fabrikgebäudes stehen Markus Röpcke, Niclas-Jona Krause und Stefan Jühlke zwischen hohen Holzwänden, die ihre Arbeitsbereiche in der Klaviermontage seit Kurzem voneinander trennen. „Das ist gewöhnungsbedürftig. Aber jeder Schutz macht im Moment Sinn“, sagt Klavierbauer Jühlke. Alle Mitarbeiter bekommen am Beginn ihrer Schichtwoche ein Paket mit fünf Atemschutzmasken, für jeden Arbeitstag eine, sowie ein Fläschchen Desinfektionsmittel, das immer wieder aufgefüllt wird. Die Mitarbeiter in der Verwaltung wurden ins Homeoffice geschickt.
Zusätzliche Reinigungskräfte
Der Betrieb auf dem Gelände ist etwa für Lieferanten stark eingeschränkt. Es gibt zusätzliche Reinigungskräfte, die Türklinken, Handläufe und Flächen mehrfach täglich desinfizieren. Alle Maßnahmen seien in der Taskforce Covid-19 gemeinsam mit dem Betriebsrat beschlossen worden und in einer Betriebsvereinbarung festgeschrieben, sagt Zimmermann. So sieht er sich auch für die Situation abgesichert, dass sich ein Mitarbeiter mit dem Virus angesteckt haben könnte. „Noch haben wir aber glücklicherweise keinen Fall.“
Bislang sind die finanziellen Einbußen für die Mitarbeiter nach seinen Angaben eher gering. Die Betriebsschließung vor Ostern, bei der der überwiegende Teil der Mitarbeiter nach Hause geschickt worden war, sei mit Resturlauben und Überstunden sowie Freistellungen überbrückt worden. Auch für die nächsten Wochen rechnet er damit, dass die Schichten mit halber Belegschaft zu 70 bis 80 Prozent der eigentlich geplanten Produktionszahlen führen. „Wir haben genug Arbeit“, sagt Zimmermann. Obwohl die Zahl der Mitarbeiter in den vergangenen vier Jahren um 60 gestiegen sei, habe es vor der Krise mehrere Dutzend unbesetzte Stellen gegeben. Noch sei offen, inwieweit die Firma Kurzarbeitergeld in Anspruch nehmen müsse.
Massive Auswirkungen
Während Steinway mit seinem Portfolio im Premiumbereich und Standorten in New York und Hamburg hofft, einigermaßen unbeschadet durch die Krise zu kommen, sieht es für viele andere Musikinstrumentenhersteller weniger gut aus. „Die Auswirkungen sind massiv. Vor allem bei den größeren Betrieben“, sagt Winfried Baumbach, Geschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Musikinstrumentenhersteller, der 70 Mitglieder aus verschiedenen Bereichen vertritt. Der Markt sei komplett zusammengebrochen. „Alle sind von Kurzarbeit betroffen“, sagt er. Er rechne mit Entlassungen und mit Insolvenzen.
Bei Steinway in Bahrenfeld sollen in den nächsten Wochen noch weitere Schutzmaßnahmen eingebaut werden, um den Betrieb zu gewährleisten. Unter anderem sollen Gemeinschaftsbereiche wie Kantine, Umkleideräume und Duschen so organisiert werden, dass auch dort die Abstandsregeln gewahrt werden können. Zimmermann rechnet damit, dass die Einschränkungen noch bis Juni bestehen werden. Er selbst ist übrigens aus dem Homeoffice geflohen. Zu Hause finde er gerade nicht die nötige Ruhe zum Arbeiten: Seine Frau und beide Söhne sind rund um die Uhr da. Da hat der Steinway-Chef die gleichen Probleme wie viele andere.
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden