Hamburg. Es wird noch Monate dauern, bis die globalen Beschränkungen wieder aufgehoben werden, schätzen Marktkenner.

Immer, wenn Warren Buffett eine Entscheidung zum Kauf oder Verkauf von Aktien fällt, hat dies Signalwirkung am Markt. Schließlich gilt der legendäre US-Investor als Anleger mit sehr langfristiger Perspektive. Dass er vor wenigen Tagen seine Beteiligung an zwei amerikanischen Fluggesellschaften verringerte – und das zu äußerst niedrigen Kursen –, werteten Beobachter als denkbar schlechtes Zeichen für die gesamte Branche. In den vergangenen Wochen hat die Coronakrise den Luftverkehr praktisch zum Erliegen gebracht.

Am Hamburger Flughafen spricht man von Rückgängen um bis zu 98 Prozent bei der Zahl der Passagiere. „Dies ist die dunkelste Stunde der Luftfahrt“, sagte Alexandre de Juniac, Generaldirektor des Airline-Weltverbands Iata. Doch was bedeutet die außergewöhnliche Situation für Fluggäste? Wie lange wird die Krise dauern – und wird sich das Reiseverhalten grundlegend ändern? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten dazu:

Wie schwer wird die Coronakrise die Fluggesellschaften finanziell treffen?
Die Auswirkungen der Reisebeschränkungen und des Nachfrageeinbruchs auf die Airlines seien „verheerend“, sagte der Vorsitzende des globalen Branchen-Dachverbands Iata, Alexandre de Juniac. Für das zweite Quartal erwartet er einen Verlust von weltweit 39 Milliarden Dollar (35,9 Milliarden Euro). Hinzu kämen potenzielle Belastungen von 35 Milliarden Dollar durch Rückzahlungsverpflichtungen der Airlines für Tickets. Ohne staatliche Unterstützung könnten die Finanzmittel der Fluggesellschaften im zweiten Quartal um 61 Milliarden Dollar abnehmen, hieß es von der Iata. Ihr Chefökonom Brian Pearce fügte an, dass Fluggesellschaften im Schnitt nur für zwei Monate ausreichend liquide Mittel hätten.

Wie wird sich die Nachfrage nach Flugreisen mittelfristig entwickeln?
Lufthansa-Chef Carsten Spohr sieht keine schnelle Rückkehr der Luftverkehrsindustrie auf das Niveau vor der Coronakrise. Nach seiner Einschätzung wird es Monate dauern, bis die globalen Reisebeschränkungen vollständig aufgehoben sind – „und Jahre, bis die weltweite Nachfrage nach Flugreisen wieder dem Vorkrisenniveau entspricht.“ Zumindest für 2021 erwartet auch Klaus-Dieter Scheurle, der Chef der Deutschen Flugsicherung, gemessen an der Zahl der Flugbewegungen über der Bundesrepublik noch keine vollständige Normalisierung. Auch im kommenden Jahr werde man das Niveau von 2019 mit 3,334 Millionen kontrollierten Flugbewegungen nicht mehr sehen, sondern möglicherweise noch 85 Prozent davon, sagte Scheurle.

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Führt die Coronakrise zu einer dauerhaften Änderung des Reiseverhaltens?
Der Hamburger Luftverkehrsexperte Cord Schellenberg glaubt nicht an eine nachhaltige Verhaltensänderung. „Die Branche hat es trotz aller Einbrüche geschafft, über längere Zeiträume gesehen um rund fünf Prozent pro Jahr zu wachsen“, sagte er, „allerdings kann ich mir vorstellen, dass die Rückkehr auf diesen Wachstumspfad diesmal länger dauert als bei vorherigen Krisen.“

Nach den eindringlichen Berichten über die Gesundheitsversorgung in verschiedenen Staaten anlässlich der Coronavirus-Pandemie werde sich so mancher Deutsche vor der Entscheidung für einen Urlaub im Ausland fragen: Was ist, wenn ich in dem Gastland ins Krankenhaus muss? In diesem und vielleicht noch im nächsten Jahr werde man aus solchen Überlegungen heraus tendenziell eher an die Nord- und Ostseeküsten oder nach Bayern in die Berge fahren. „Aber der Drang, Verwandte und Freunde im Ausland zu besuchen und an südlichen Stränden Urlaub zu machen, ist stark“, sagte Schellenberg.

Angesichts krisenbedingter Rückgänge der verfügbaren Einkommen werde sich jedoch die ohnehin schon länger zu beobachtende Tendenz zu kürzeren Reisen wohl noch verstärken. Schellenberg geht auch nicht davon aus, dass dauerhaft wesentlich weniger Geschäftsreisen unternommen werden. Einer der Gründe für seine Ansicht: „Videokonferenzen können den direkten menschlichen Kontakt nicht ersetzen, etwa wenn es um Einstellungsgespräche für wichtige Positionen geht.“ Allerdings würden die Unternehmen künftig noch seltener als bisher Geschäftsreisen in der teureren Business-Klasse genehmigen.

Wie werden sich die Ticketpreise aufgrund der Krise ändern?
Nicht nur die Lufthansa-Gruppe hat bereits angekündigt, etliche ihrer Flugzeuge dauerhaft stillzulegen. „Außerdem werden Airlines jetzt mit Airbus und Boeing darüber verhandeln, ihre bestellten Jets erst später abzunehmen“, sagte Schellenberg. Somit werde die Kapazität der Fluggesellschaften in den nächsten Jahren geringer sein als vor der Krise – und das verringerte Angebot werde zu höheren Ticketpreisen führen. „Wahrscheinlich werden sich die Airlines auch stärker als bisher aus dem Weg gehen und weniger Strecken in Konkurrenz mit anderen bedienen, was ebenfalls Preisanhebungen möglich macht“, erwartet der Branchenexperte.

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    Wird es zu einer Pleitewelle bei den Fluggesellschaften kommen?
    Seit Anfang März haben bereits mehrere Airlines Insolvenz angemeldet. Dazu gehören die britische Regionalfluggesellschaft Flybe, die allerdings schon länger in Bedrängnis war, sowie die schwedische Regionalfluglinie Braathens. Auch Thomas Cook Aviation mit Sitz in Oberursel ist insolvent. Das Unternehmen betrieb sechs Airbus-Jets im Auftrag des Ferienfliegers Condor, hat diesen Auftrag aber verloren. Weitere Firmenzusammenbrüche in der Branche werden erwartet. Als vergleichsweise finanzstark und stabil gelten in Europa die drei großen Airline-Konzerne Lufthansa, IAG (British Airways und Iberia) sowie Air France/KLM, aber auch der Billigflieger Ryanair. Ohne staatliche Unterstützung dürften nach Einschätzung von Experten jedoch auch sie nicht überleben können. Die jeweiligen Staaten würden wohl dafür sorgen, dass als „systemrelevant“ eingestufte Fluggesellschaften erhalten bleiben: „Die Nationalflagge am Heck wird man nicht aufgeben wollen.“ So hat die italienische Regierung bereits beschlossen, Alitalia zu verstaatlichen.

    Wie wird sich die Krise auf Reiseveranstalter und Reisebüros auswirken?
    „Für diese Branche ist das eine ernstlich gefährdende Situation“, so Schellenberg. Das Problem bestehe nicht allein in den Einnahmeausfällen wegen nun ausbleibender Buchungen: „Die aktuellen Nachrichten sind sämtlich Reisestopper.“ Die Kunden erwarteten von den Veranstaltern auch, das Geld für bereits bezahlte Reisen, die jetzt nicht angetreten würden, zurückzuerhalten. Sollte dafür keine Lösung gefunden werden, könne daraus eine Vertrauenskrise mit gravierenden Folgen resultieren. Pläne der Bundesregierung für eine Gutscheinlösung sind politisch umstritten. „Es könnte aber wenigstens eine Notlösung sein, wenn die Reiseveranstalter anstatt des gebuchten Urlaubs in Marbella einen Hotelaufenthalt an der Nordsee organisieren“, findet Schellenberg.

    Informationen zum Coronavirus:

    Werden auch längerfristig weniger neue Flugzeuge benötigt ?
    Nach Einschätzung von Analysten der schweizerischen Großbank UBS wird das Wachstum des weltweiten Luftverkehrs im Zeitraum von 2018 bis 2028 nicht wie bisher prognostiziert 5,1 Prozent pro Jahr betragen, sondern nur noch bei 4,6 Prozent liegen. Die innereuropäischen Passagierzahlen, für die man bisher ein jährliches Plus von 4,1 Prozent angenommen hat, würden bis 2028 praktisch stagnieren. Damit benötigten die Fluggesellschaften weltweit jährlich knapp 200 Kurz- und Mittelstreckenmaschinen weniger als vor der Krise geplant – das wäre ein Minus von zwölf Prozent.

    Zwar hat Airbus am Mittwoch eine drastische Kürzung der Produktion beschlossen. Die UBS-Analysten sehen Airbus im Vergleich zu Boeing aber im Hinblick auf die veränderten Bedingungen als besser positioniert an: Airbus habe im Gegensatz zu Boeing mit der modernen A220-Reihe einen kleinen Kurz- und Mittelstreckenjet für höchstens 150 Passagiere im Programm, was günstig sei, weil die Abschwächung des Luftverkehrs vor allem die relativ kurzen Strecken innerhalb Europas, der USA und Chinas betreffe. Zudem biete Airbus aber auch kleine Maschinen an, die längere Reichweiten erreichten.