Hamburg. Messe- und Veranstaltungsbranche ist vom Corona-Einbruch überrumpelt worden. “Müssen sehen, wie wir den Sommer überstehen.“

In der vergangenen Woche hatte Sebastian Goers einen Termin bei der Arbeitsagentur. Anders als sonst ging es nicht um Personalsuche. Der Chef des Norderstedter Messebauers Lüco musste Kurzarbeit für seine Beschäftigten anmelden. „Die gesamte Produktion ist eingebrochen. So gut wie alle kurzfristigen Aufträge wurden storniert“, sagt er.

Seit einer Woche bekommt der 40-Jährige wegen der Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus eine Terminabsage nach der anderen. Das ist besonders hart, weil der März ein besonders messestarker Monat ist. Normalerweise brummt der Laden dann, und es immer zu viel zu tun. Jetzt ist es das genaue Gegenteil. „Unsere Produktion ist quasi über Nacht von 100 Prozent auf null gegangen“, sagt Goers, der das Familienunternehmen in vierter Generation führt. Inzwischen ist er fast allein in der Firmenzentrale, von wo aus er mit einer Notbesetzung den Laden am Laufen hält.

Internorga traf den Messebauer besonders hart

Besonders hart hat Lüco die Verschiebung der wichtigen Gastronomiemesse Internorga getroffen. „Wir hatten das gesamte Material fertig und wollten es auf die Lkw laden“, sagt Geschäftsführer Goers, der 30 Mitarbeiter hat. Bau­elemente, Lampen, Displays, Podeste – zehn Lastwagenladungen fertig für den Aufbau. Mehr als 100 Stände sollten die Norderstedter aufbauen plus 15 Sonderflächen. „Allein durch die Verschiebung der Internorga fehlt die Hälfte des Umsatzes im März.“ Zwei Tage später kam der nächste Schlag, auch die Aircraft Interiors, die große Ausstellung für Flugzeugausstattungen, findet nicht wie geplant statt. Bei Lüco waren dafür Messebauten mit einem ähnlichen Volumen wie bei der Internorga gebucht.

In beiden Fälle war der Mittelständler, wie in der Branche üblich, für die Baumaterialien in Vorleistung gegangen. „Man kann sagen, dass mindestens 80 Prozent der Kosten schon entstanden sind“, sagt Goers. Seine schwierige Aufgabe: Er muss jetzt von seinen Auftraggebern Geld für etwas eintreiben, was zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht stattfinden wird. „Wir haben unseren Teil des Vertrags ja erbracht. Ein unerwarteter Umsatzausfall in dieser Höhe fordert von jedem Unternehmen eine enorme Kraftanstrengung.“

Jetzt wird Goers viele Gespräche führen. Aber es zeichne sich ab, dass einige Kunden nicht verstünden, dass sie die Rechnung jetzt bezahlen müssten. Selbst für ein größeres Messebau-Unternehmen wie Lüco werde es „eine Herausforderung, diese Krise unbeschadet zu überstehen“, so der Firmenchef. Er rechnet mit Absagen für Aufträge im niedrigen siebenstelligen Euro-Bereich allein im Frühjahr. Noch ist völlig unklar, wie viel er davon komplett abschreiben muss.

Messebauer befürchten Insolvenzwelle

Der Einbruch hat die Messe- und Veranstaltungsbranche komplett überrascht. „Es gibt kein Unternehmen, das nicht betroffen ist“, sagt Gerd Wutzler, Chef des Hamburger Messe- und Kongressspezialisten Step One und Vorstand im Fachverband FAMAB. Auch er hat einen Teil seiner 45 Mitarbeiter inzwischen nach Hause geschickt. „Kurzarbeit, Überstunden abbummeln, Urlaubsanordnungen – das ganze Programm“, sagt Wutzler.

Laut dem aktuellen Schadensreport der FAMAB sind in Deutschland 59 Ausstellungen abgesagt worden. Das Absagevolumen hat sich in nur einer Woche auf 870 Millionen Euro verdoppelt, der geschätzte Gesamtschaden inklusive weiterer Dienstleistungen liegt bei 2,13 Milliarden Euro. Wutzler berichtet von Firmenchefs, die verzweifelt gesagt hätten: „Kollegen helft mir, ich weiß nicht mehr weiter.“ Der Fachverband befürchtet eine Insolvenzwelle. Denn: Das Verschieben einer Messe, wie etwa bei der Internorga, „funktioniert nicht“, so Wutzler. Messebau sei ein Miet- und ein Saisongeschäft. „Menschen und Material sind gebucht und können für einen Verschiebungstermin nicht noch mal gebucht werden. Die Ressourcen sind nicht vorhanden.“

"Wir müssen sehen, wie wir den Sommer überstehen"

Die Lage bringt immer mehr Firmen in Existenznöte. „Wir müssen sehen, wie wir den Sommer überleben“, sagt Benjamin Özgüc, aus der Geschäftsleitung von hmb Hanseatic Messebau in Stapelfeld mit 14 Mitarbeitern. Ein großes Problem sei, dass die Auftraggeber sehr verunsichert seien und dadurch keine neuen Messen für den Herbst gebucht würden. „So etwas hätte sich niemand von uns vorstellen können“, sagt auch Enrico Wacker, Inhaber von Wacker Messemontagen in Ahrensburg. 67 Aufträge seien für März storniert worden, 17 weitere für April. Den Umsatzausfall beziffert Wacker, der zumeist mit Subunternehmern arbeitet, auf eine halbe Million Euro. Diese Woche ist er unterwegs, um mit seinen Auftraggebern „vernünftige Lösungen“ zu finden, wie er sagt.

Noch schlimmer ist es für Menschen wie Andre Fischer, der seit 18 Jahren ein Gewerbe als Messemonteur betreibt. „Ich habe 100 Prozent Umsatzausfall und weiß im Moment nicht, wie ich meine Miete zahlen soll“, sagt der 41-Jährige. Er ist das letzte Glied in der Kette des lukrativen Messegeschäfts. In der Regel wird der Einzelkämpfer aus Stunden- oder Tagesbasis als Subunternehmer gebucht – ohne schriftliche Verträge und nur mit mündlichen Absprachen. Der März sollte für den Hamburger ein richtig guter Monat werden. „Außer an vier Tagen war ich voll gebucht“, sagt er. Jetzt wurden seine Aufträge ersatzlos gestrichen. Ob er überhaupt Geld sieht, ist offen. „Mein Geschäft geht den Bach runter“, sagt er, und es klingt Verzweiflung mit. Die Verdienstausfälle könne er wohl nicht hereinholen. „Wahrscheinlich muss ich Hartz IV beantragen.“

Zehn Millionen Euro Auftragsvolumen storniert – in einer Woche

Auch die Unternehmen in der Veranstaltungsbranche stehen massiv unter Druck. Die Production Resource Group (PRG), einer der weltgrößten Anbieter von Veranstaltungstechnik mit 400 Mitarbeitern in Deutschland und Aufträgen bei Olympischen Spielen und ESC, hat am Montag Kurzarbeit für alle deutschen Standorte angemeldet. In Hamburg sind 250 Beschäftigte betroffen. In den vergangenen fünf Werktagen sei ein Auftragsvolumen von zehn Millionen Euro storniert worden. „Wir befinden uns in einer hoch existenzgefährdenden Situation. Es ist unklar, ob wir da allein rauskommen“, sagen die Deutschlandchefs Jörn Kubiak und Udo Willburger. Sie hoffen auf weitere Unterstützung aus der Politik etwa Liquiditätshilfen und Steuererleichterungen.

Auch kleineren Firmen steht das Wasser bis zum Hals. „Wir können sechs bis acht Wochen durchhalten“, sagt Niels Kleenworth, Inhaber von Arentis Veranstaltungstechnik, der in März und April 80 Prozent der Aufträge verloren hat. „Wenn die Absage­welle anhält, wird der Betrieb abgewickelt.“ Inzwischen haben sich Hunderte Firmen in der Initiative für Veranstaltungstechnik zusammengetan, um für Unterstützung zu kämpfen.

Fachverband fordert Staatshilfe

„Die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung für die betroffenen Unternehmen müssen jetzt schnell umgesetzt werden“, fordert Gerd Wutzler vom Branchenverband FAMAB. „Sonst bringt es nichts.“ Bereits vergangene Woche hatte er einen Brandbrief an Hamburgs Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) geschrieben. Eine Antwort hat er bislang nicht bekommen.

Dazu kommt: „Wir sehen mit größter Verwunderung, dass Großveranstaltungen wie Fußballspiele und Konzerte stattfinden, Flughäfen und Shopping-center weiter geöffnet sind, aber in unserem Bereich hyperaktivistisch gehandelt wird“, so Wutzler. Angesichts der zu befürchtenden Folgen stelle sich die Frage, wer in Zukunft die Hallen der Messegesellschaften bespielen solle, wenn die Branche durch Aktionismus und mangelnde Unterstützung einen großen Schaden nehme.