Hamburg. Kieler Radhersteller MyBoo expandiert in der Hansestadt. Künftig können Touristen auf dem ungewöhnlichen Vehikel die City erkunden.
In der Lobby des Gastwerk Hotels treffen die Gäste seit Kurzem auf ungewöhnliche Fahrräder – aus Bambus. Sie sehen ein wenig aus wie Fundstücke aus dem Urwald, mit braunen Bambusrohren statt Stahl, mit Sisal-Fasern statt Schweißnähten.
Die Hotelgäste können die Gefährte für Touren ausleihen, sagt Julia Weskott, Empfangsleiterin des Hauses in Bahrenfeld. Mit der Verleihstation startet der Fahrradhersteller MyBoo nun auch in Hamburg mit seinem Angebot für Touristen.
300 Bambus-Bikes für Aida-Schiffe
MyBoo war 2012 in Kiel mit den Bambusrädern an den Markt gegangen und schreibt seither eine rasante Wachstumsstory. Bis zum Frühjahr wird die Firma vier Aida-Schiffe mit insgesamt 300 Bambus-Bikes ausgestattet haben. Auf den Kreuzfahrtschiffen mit dem Kussmund am Bug stehen die Räder als Alternative zu den Busausflügen bereit. Die Passagiere können die Räder auch im Bord-Shop kaufen.
Auch die Kooperation mit Hotels – MyBoo hat inzwischen mehr als 200 Räder in Verleihstationen bei Hotels untergebracht – soll den Absatz ankurbeln, sagt MyBoo-Marketingchef Felix Habke über die Mieträder. Das Gastwerk Hotel ist als erstes Haus in Hamburg dabei. Schon länger können sich Gäste in Hotels an der Ostsee und in Lech am Arlberg auf MyBoo-Bikes schwingen.
Soziales Projekt in Ghana war Initialzündung
Die Firma betreibt eine ungewöhnliche Produktion: Als die beiden Kieler BWL-Studenten Maximilian Schay und Jonas Stolzke vor acht Jahren in ihrem WG-Zimmer an einer Geschäftsidee tüftelten, die Geld einbringen, aber auch den fairen Handel mit einbeziehen sollte, stießen sie auf eine Story aus Afrika. Ein Freund lebte in Ghana und erzählte von Fahrrädern mit Rahmen aus Bambus, die in einem sozialen Projekt gefertigt wurden.
Das war die Initialzündung der jungen Männer. Sie experimentierten mit der Stabilität der Konstruktion, erfanden die Verbindungsstücke aus einem Pflanzengeflecht und brachten die Modelle auf das Niveau europäischer Fahrradfertigung.
80 Stunden Handarbeit für ein Bambusgerüst
Die Rahmen werden auch heute noch ausschließlich in Ghana gefertigt, wo die Bambuspflanzen neben der Werkstatt wachsen. Jedes Bambusgerüst entsteht dort in 80 Stunden Handarbeit, das bringt 40 dauerhafte Arbeitsplätze. Außerdem hat MyBoo in dem westafrikanischen Land den Bau einer Schule
finanziert, in der mehr als 200 Kinder unterrichtet werden.
Neben den ungewöhnlichen Rahmen, an die in Kiel die sonstigen Bauteile wie Räder und Lenker montiert werden, verwendet MyBoo bewährte Technik: Shimano-Bremsen, Schwalbe-Reifen und Gepäckträger der Marke Racktime.
Der Rohstoff Bambus kommt gut an: Von einem „steifen, zugleich gut dämpfenden Bambusrahmen“, schreiben Fahrradtester in Fachmagazinen. „Würde man es nicht besser wissen, man könnte glauben, auf einem herkömmlichen Alurad zu sitzen“, bewertet ein anderer Profitester. Einzig das hohe Gewicht mindere den Fahrspaß. My Boo heißt übrigens übersetzt „Mein Liebling“ und ist eine Anspielung an das englische Wort für Bambus – „Bamboo“.
Bambusräder mit Elektromotor
Mittlerweile fertigen die Kieler auch Räder mit Elektromotor, sie kommen auch im Gastwerk Hotel zum Einsatz. Das „my Volta“-Bike kostet ab 3500 Euro, das teuerste Modell mit Elektroantrieb, ein E-Mountainbike, kommt auf 6000 Euro. Zu kaufen gibt es die My-Boo-Räder bei Händlern in ganz Europa. In Hamburg sind die Kieler bei XXL Marks in Bergedorf vertreten und bei Gräber Räder in Barmbek. Die Modellpalette ist in den vergangenen Jahren erheblich ausgeweitet worden: Es gibt Mountainbikes, Rennräder, Stadträder – mit oder ohne Elektroantrieb. Die Preise beginnen ab 1600 Euro.
„Wir verkaufen inzwischen 1000 Räder im Jahr“, sagt Felix Habke. 2019 setzte MyBoo rund vier Millionen Euro um. Für die kommenden Jahre peilt das Unternehmen mit 40 Mitarbeitern in Kiel ein Umsatzplus von jeweils 50 Prozent an. Das Wachstum ankurbeln soll dabei auch ein neues Angebot an Firmenkunden, welche die Räder für ihre Beschäftigten mieten können.
Nachhaltigkeitstrend und Fair-Trade-Gedanke
MyBoo hat gute Chancen auf steigende Erlöse, denn die Firma bedient nicht nur den Nachhaltigkeitstrend und den Fair-Trade-Gedanken, sondern agiert auch in einem florierenden Markt. Der Zweirad-Industrie-Verband schätzt, dass der Absatz von Fahrrädern und
E-Bikes im ersten Halbjahr 2019 um 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gewachsen ist.
Die Verbreitung der E-Bikes schreitet dabei besonders schnell voran. Für das Gesamtjahr 2019 rechnet die Industrie mit mehr als 1,1 Millionen verkaufter Elektroräder. Dies entspräche einem zweistelligen Wachstum von rund zwölf Prozent.
Bei den Kielern machen die motorisierten Bikes inzwischen ein Drittel des Erlöses aus, aber sie haben auch Fans, die selber gerne in die Pedale treten: Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer fuhr beim Triathlon in der Fördestadt die Holtenauer Hochbrücke mit 45 Kilometern pro Stunde hinunter. Auf einem Bambus-Rennrad.