Hamburg. Neuer Chef des Hamburger Feinkostherstellers muss Gewinn steigern und will Sauergemüse zum hippen Produkt machen.
Daran, dass er jetzt bisweilen scherzhaft als Gurkenkönig bezeichnet wird, hat er sich inzwischen gewöhnt. An das andere halbe Dutzend mittelmäßig originelle Wortspiele um das gekrümmte Gemüse auch. Und nach fast elf Monaten beim neuen Arbeitgeber muss Alexander Kühnen seltener erklären, „dass ich leider null Prozent Anteile an diesem traditionsreichen Familienunternehmen besitze, sondern zu Hundert Prozent dessen Angestellter bin“.
Solche Klarstellungen sind notwendig, wenn man Kühnen heißt und in die Geschäftsführung des Feinkostherstellers Carl Kühne KG eintritt. Das 1722 in Berlin gegründete Unternehmen ist in zehnter Generation in Familienbesitz.
Neuer Kühne-Chef muss Gewinn steigern
Kühnen kam Mitte April 2019 in die Unternehmenszentrale in Bahrenfeld, wurde zuständig für Marketing, Vertrieb und das Chinageschäft. Zuvor hatte er fast 20 Jahre in Diensten von Unilever gestanden, zuletzt als Länderchef in der Schweiz. Seit 1. Dezember ist der 49-Jährige nun Vorsitzender der Geschäftsführung. Das Tempo des Aufstiegs überraschte ihn selbst. „Als ich anfing, war das nicht absehbar“, sagt Kühnen. Er ist Nachfolger von Stefan Leitz, der einst selbst von Unilever zu Kühne gewechselt war – und nach sieben Jahren andere Wege ging. Leitz trat vor einigen Tagen den Chefposten beim Schreibgeräte-Hersteller Faber-Castell an.
Kühnens Vorgänger hatte dem Unternehmen eine Verjüngungskur verordnet. Neben den Klassikern Essig, Gewürzgurken, Senf, Sauer- und Rotkohl sowie Salatdressings etablierte Leitz auf jüngere und Zielgruppen ausgerichtete Produkte im Sortiment: Etwa die Grillsaucenlinie Made for Meat. Unter der Sub-Marke Enjoy brachte der Mittelständler Jahr für Jahr Innovationen auf den Markt: Leichte Salatdressing, Snacks wie Gemüsechips, Knuspererbsen und – vor wenigen Monaten – Nachos aus Kichererbsenmehl.
Kühne leidet unter Klimawandel – Profitabilität gesunken
Die Neuerungen tragen inzwischen mehr als zehn Prozent zum Gesamtumsatz bei. Der war auf unter 300 Millionen Euro gesunken, bevor Leitz gekommen war, mehrere Jahre in Folge hatte das Unternehmen nicht mitgeteilt, ob Gewinne anfallen. Wohl nicht. Ohnehin ist der Konzern zurückhaltend bei Zahlen, Geschäftsberichte veröffentlicht er mit mehr als einem Jahr Verzögerung im Bundesanzeiger. Dort werden für das Mitte 2018 beendete Geschäftsjahr 2017/18 Erlöse in Höhe von knapp 340 Millionen Euro ausgewiesen und ein Konzernjahresüberschuss von 10,5 Millionen Euro. Das ist ordentlich, aber nicht überragend.
Kühnen will und soll nun gemeinsam mit den Co-Geschäftsführern Heiner Opdenfeld und Christian Strey, die beide nur wenig länger als er selbst beim Gewürzgurken-Marktführer tätig sind, die Profitabilität verbessern. Wie es 2018/19 um den Gewinn bestellt war, ist zwar vorerst nur einem kleinen Kreis von Anteilseignern und Führungskräften bekannt, doch Kühnen sagt: „Die Profitabilität ist deutlich gesunken.“ Und daran habe der Klimawandel großen Anteil.
Saure Gurken sind heikles Gemüse
„Unsere Beschaffungskosten sind stark gestiegen. In den beiden vergangenen Jahren war nach heißen, trockenen Sommern und großen Regenmengen in kurzer Zeit die Gurkenernte schlecht, beim Rotkohl sah es nicht viel besser aus“, sagt Kühnen. Gurken, die mit 80 Millionen Euro immerhin ein knappes Viertel zum Umsatz beitragen, sind ein heikles Gemüse, weiß er. „Die Pflanzen brauchen zur richtigen Zeit im Jahr die richtige Menge Feuchtigkeit, sonst sinkt der Ertrag.“ 2018 und 2019 war das so.
Die deutschen Vertragslandwirte, die für das Unternehmen anbauen, was später in Kräutersud eingelegt und zu Cornichons oder süßsauren Gürkchen wird, mussten viel künstlich und kostentreibend bewässern, der trotzdem geringere Ertrag musste durch Zukäufe zu hohen Preisen ausgeglichen werden. „Die deutlich höheren Beschaffungskosten können wir aber nicht durch Preiserhöhungen in der gleichen Größenordnung ausgleichen“, sagt Kühnen. Um sicherzustellen, dass trotz veränderter Wetterbedingungen Gurken in ausreichender Menge und in der richtigen Größe vorhanden sind, müsse nun in den Anbau investiert werden, etwa in Anlagen zur künstlichen Bewässerung der Felder.
So macht Kühne seine Gewürzgurken hip
Die Kühne-Kernkompetenz für Gewürzgurken und andere Sauergemüse steht im Vordergrund bei den Vorhaben des neuen Chefs zur Weiterentwicklung des Produktsortiments. Während viele der Neuerungen in der Ära Leitz jüngere Kunden an die Saucen- und Snackregale locken, will Kühnen sie nun auch wieder Richtung Gurkengläser lenken.
„Bestimmte Verbrauchergruppen sehen derzeit keinen Grund, zu diesen Regalen zu gehen. Das wollen wir ändern.“ Derzeit laufen Tiefeninterviews, die ergründen sollen, wie es gelingen kann, die Gewürzgurke zum hippen Produkt zu machen. Erste Ergebnisse kommen frühestens nach der Ernte 2021 in die Supermärkte.
Gemüsechips verschwinden vom Markt
Weitere Neuerungen im Snacksegment sind von den Hamburgern dagegen wohl nicht zu erwarten. „Die Lebensdauer eines neuen Produkts ist in diesem Bereich geringer“, sagt Kühnen. Ein Beispiel dafür liefern die Gemüsechips aus dem eigenen Hause. Die wurden 2017 eingeführt und verkauften sich gut. „Unsere Erwartungen wurden in Spitzenzeiten deutlich übertroffen.“ Doch es folgte ein Abstieg der frittierten Süßkartoffel- und Pastinaken-Scheibchen. Nun haben sie im Kühne-Portfolio keine Zukunft mehr. Bis Mitte des Jahres werden sie aus den Regalen verschwunden sein. Die vor Kurzem eingeführten Kichererbsen-Nachos sind schon der Nachfolger.
Obwohl Sauerkraut in Herstellung und Geschmack nicht weit weg ist vom koreanischen Kimchi, und fermentierte Lebensmittel gerade sehr angesagt sind, will Kühnen diesem Trend nicht folgen. „Kimchi ist ein Thema im Schanzenviertel und im Prenzlauer Berg, aber nicht bei unseren Kunden in Oer-Erkenschwick und in Krefeld“, sagt er, ohne dass es despektierlich klingt. Er ist in Krefeld aufgewachsen.
Bioanbau? Kein Thema für Kühne!
Die traditionell eher bodenständige Kundschaft und die Positionierung der Marke im mittleren Preissegment setzt einem anderen Trend Grenzen. Gewürzgurken aus Bioanbau sind nicht geplant. „Der Gurkenanbau nach Biostandards ist aufwendig und teuer, wir müssten die Preise verdoppeln.“ Das würden die Verbraucher hierzulande nicht mitmachen.
in China dagegen ist Kühne eine teure Premiummarke. Das rief vor einigen Jahren Produktpiraten auf den Plan, die gefälschte Kühne-Gewürzgurken in perfekt kopierten Gläsern auf den Markt brachten. Der Geschmack kam dem Original so nahe, dass dies selbst Experten Respekt abnötigte.
Chinesen haben besonderen Geschmack
Der chinesische Markt zeigt zudem, wie unterschiedlich die Geschmäcker international sind. Während in den USA die Krauts aus Deutschland, also Rotkohl und Sauerkraut, als kalter Burgerbelag beliebt sind, geben chinesische Feinschmecker gern Kühne-Kräuterdressing auf ihren Obstsalat.„Anfangs glaubten wir an ein Missverständnis. Das chinesische Schriftzeichen für Vanille war irrtümlich auf das Etikett geraten“, sagt Kühnen. Doch das war ein Trugschluss in Bahrenfeld. Das falsche Schriftzeichen ist längst vom Etikett getilgt. Chinesen aber gießen weiterhin gern Kräuterdressing über geschnippeltes Obst.