Hamburg. Interview mit dem einstigen Rebellenführer. Warum er froh ist, nicht mehr anzutreten und was das neue Plenum anpacken muss.

Er war der Mann, der den Umsturz vorantrieb: Der Hamburger Unternehmensberater Tobias Bergmann, Mitgründer der Kammerrebellen, wurde deren Führungsfigur und nach den Plenarwahlen 2017 Präses der Handelskammer. Er begann eine Strukturreform, sorgte für mehr Transparenz.

Bergmann brach mit Konventionen, verglich sich mit dem französischen Revolutionsführer Robespierre und wurde von der alten Wirtschaft abgelehnt. Lange konnte er nicht wirken: Ende Dezember 2018 trat Bergmann wegen interner Streitigkeiten in der Gruppe der Kammerrebellen zurück. In der Folge zerfiel diese. Im Interview sagt er, warum er nicht wieder antritt und was die neue Kammerführung schnell anpacken muss

Abendblatt: Die Handelskammerwahlen laufen gerade. Juckt es Sie noch mal, auch wieder mitzumischen?

Tobias Bergmann: Ich bin heilfroh, dass ich nicht mehr mitmische. Ich verfolge aufmerksam, was am Adolphsplatz geschieht. Es hat mein Leben mitgeprägt. Aus Vernunftgründen ist es aber sinnvoll, dass ich nicht mehr dabei bin.

Warum?

Bergmann: Weil jetzt neue Köpfe die Geschicke der Handelskammer in die Hand nehmen sollten.

Können die das besser?

Bergmann: Darum geht es nicht, sondern darum, dass derjenige, der das alte System zerstörte, nicht derjenige sein konnte, der das neue System aufbaut. Ich habe ja versucht, verfeindete Gruppen zu versöhnen und auch den alten Kräften die Hand gereicht. Sie wurde aber nicht angenommen. Ich kann nicht weitermachen, weil ich zu sehr polarisieren würde.

Die Revolution frisst ihre Kinder?

Bergmann: Ja, vielleicht. Mein damaliger Vergleich mit Robespierre war zwar plakativ, aber dennoch nicht falsch. Letztlich bin ich bildlich gesprochen auf der Guillotine der Handelskammerrevolution gelandet.

Bereuen Sie denn etwas?

Bergmann: Natürlich bedaure ich es, dass es mir nicht gelungen ist, eine neue Kammer aufzubauen. Ich bin aber mit vielem, was wir erreicht haben, im Rückblick zufrieden. Wir haben nicht alles richtig gemacht. Aber das, was passierte, war unumgänglich und notwendig.

Sind Sie eher stolz auf das, was Sie gemacht haben?

Bergmann: Auf alle Fälle. Die Kammer war rückwärtsgewandt und mittelalterlich. Das ist vorbei.

Wir wollen nicht wieder mit den unerfüllbaren Wahlversprechen anfangen. Aber letztlich hat das Wirken der Rebellen doch erhebliches Chaos verursacht. Ist das von Ihnen so beabsichtigt gewesen?

Bergmann: Das Chaos war natürlich nicht intendiert. Aber schauen Sie auf die Zeit zurück, als mein Wirken in der Handelskammer begann. Was mich zutiefst gestört hat und mein Antrieb war, das war diese Hybris der Handelskammer. Also der Glaube, zu allem die einzig richtige Meinung zu haben und alles danach zu beurteilen. Diese Hybris ist zerstört, und das ist gut so.

Diese Zerstörung führte zu einem Imageverlust der Kammer und zu einem Verlust ihrer Bedeutung ...

Bergmann: Aber der Imageverlust dieser Kammer ist doch vor unserem Auftreten losgegangen. Die Handelskammer hat sich zu wirtschaftspolitischen Themen geäußert, ohne tatsächlich mit den Hamburger Unternehmen gesprochen zu haben. So war die polarisierende Haltung gegen den Rückkauf der Energienetze beispielsweise weder von der breiten Unternehmerschaft gedeckt geschweige denn, dass sie dazu befragt worden ist. Der Imageverlust kam auch dadurch, dass die Kammer über Jahre Haushaltspläne vorgelegt hat, die von Gerichten kassiert worden sind. Und dass sie Mitgliedsbeiträge verschwendet hat. Wir haben das alles aufgedeckt. Der Imageverlust liegt also nicht in unserer Verantwortung.

Und der Bedeutungsverlust? Wer hört heute noch auf die Kammer?

Bergmann: Die Kernfrage ist doch: Worauf begründet sich die Bedeutung dieser Institution? In der Vergangenheit hat sich eine Handvoll mehr oder minder schlauer Funktionsträger positioniert und gesagt, das ist die Meinung der Wirtschaft. Dagegen haben viele Unternehmer aufbegehrt und gesagt: So geht das nicht mehr – im Hinterzimmer Positionen zu beziehen, die überhaupt nicht mit uns rückgekoppelt sind. Die alte Art, Meinungen zu entwickeln, ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Schauen Sie, wie der ADAC beim Thema Tempolimit umschwenkt, weil er darauf hören muss, was seine Mitgliedschaft denkt.

Die Kammer gewinnt also an Bedeutung, wenn sie mehr auf ihre Mitglieder hört?

Bergmann: Genau. Es wird die Aufgabe des neuen Plenums sein, zu überlegen: Wie gelingt es uns künftig, wirtschaftspolitische Positionen zu entwickeln und diese einfluss- und machtreich in der Stadt zu vertreten? Die erste Übung wird sein, zuzuhören, was die Mitgliedschaft der Kammer denkt. Man kann keine Verkehrspolitik gegen Fahrradfahrer vertreten, wenn man im Auge hat, dass Fahrradkuriere Mitglieder der Kammer sind. Man sollte also nicht mehr für die Mitglieder denken, sondern mit ihnen.

Aber ist nicht gerade eine Ursache des Bedeutungsverlustes, dass alle derzeitigen Positionen der Kammer so weichgespült sind, weil sie es allen recht machen will?

Bergmann: Nein, die Kammer soll ja nicht nachplappern, was die Mitglieder sagen, sondern die Aufgabe ist es, aus dem Wissen darüber, was die Mitglieder bewegt, das Gesamtinteresse der Wirtschaft herauszukristallisieren. Der Einfluss der Kammer war früher unbestreitbar größer, als er es heute ist. Aber wenn man es richtig anpackt, wird sie ihren Einfluss wiedergewinnen. Und noch etwas muss sich ändern: Die Kammer hat in der Vergangenheit den einzelnen Branchenverbänden keine Luft zum Atmen gelassen. Die werden gestärkt, und die Stimme der Wirtschaft wird vielfältiger.

Wenn Sie sagen, dass es neue Köpfe benötigt, um die Handelskammer zu führen, sind Sie dann auch gegen den derzeitigen Vizepräses André Mücke?

Bergmann: Ich mache das nicht an Personen fest. Die Aufgabe ist, dass jetzt die richtigen Schritte ergriffen werden. Damit bin ich nicht für oder gegen Mücke.

Es gibt Leute, die sagen, die Zerschlagung der Handelskammer sei von den Grünen gesteuert worden. Was sagen Sie dazu?

Bergmann: Viele Unternehmen, die den Grünen nahestehen, hatten mit der Rolle und der wirtschaftspolitischen Positionierung der Kammer ihre Schwierigkeiten. Deshalb haben diese unser Bündnis unterstützt. Dass es einen grünen Masterplan gegeben haben soll, die Handelskammer zu zerstören, ist totaler Quatsch.

Streit hat es auch über das Spardiktat gegeben. Ihre alten Mitstreiter wollen die Mitgliedsbeiträge weiter senken. Gibt es dazu überhaupt Luft?

Bergmann: Ich glaube, dass ist keine Frage des Wollens. Im Moment sprudeln die Beiträge, weil es der Hamburger Wirtschaft so gut geht. Wie sieht es aber in einer Rezession aus, wenn die Zahl der Mitglieder und der Beiträge wieder sinkt? Da muss man sparen, wenn man nicht an der Beitragsschraube drehen will. Und ich weise noch einmal darauf hin: Die Hamburger Kammer ist im Bundesvergleich immer eine der teuersten für ihre Mitglieder.

Plädieren Sie für den ebenfalls umstrittenen Mitarbeiterabbau der Kammer?

Bergmann: Ich glaube immer noch, dass die Kammer mit deutlich weniger Mitarbeitern auskommen kann und auskommen muss. Die unendlichen Effizienzpotenziale der Digitalisierung sind ja noch gar nicht zum Tragen gekommen.

Was muss das neue Plenum als Erstes anpacken?

Bergmann: Egal wie die Wahl ausgeht, darf es nicht Gewinner und Verlierer geben. Sondern es muss überlegt werden, wie wir die unterschiedlichen Strömungen in der Wirtschaft zusammenbekommen. Zweitens muss bestimmt werden, wie die Führung künftig aussieht, und drittens müssen sich alle darauf verständigen, welche Rolle die Kammer in dieser Stadt künftig spielen soll. Das wird schon schwer genug.