Hamburg. Laborgeräte-Hersteller Eppendorf AG hat zwei Vorstandschefs. Was Eva van Pelt und Peter Fruhstorfer tun, damit das gut geht.

Gleich hinter dem Pförtnerhaus an der Zufahrt zum Betriebsgelände der Eppendorf AG liegt rechter Hand der Hubschrauberlandeplatz. Für diesen Zweck genutzt wird das gepflasterte Areal eher selten – vom Management des Hamburger Konzerns schon gar nicht. Eva van Velt (54) und Peter Fruhstorfer (51) können sich auch nur zusammenreimen, warum es ihn überhaupt gibt. Der Landeplatz war schon lange da, als sie ihre Jobs im Hauptquartier des Laborgeräteherstellers antraten. „Man wollte wohl vorbereitet sein, falls es einen Unfall auf dem Firmengelände gibt“, mutmaßt Fruhstorfer. Das hätten früher viele Unternehmen so gemacht.

Außerdem herrscht kein Platzmangel rund um das Verwaltungsgebäude und die Produktionshallen. Als das Unternehmen Mitte der 1960er-Jahre umzog an den Barkhausenweg in Hummelsbüttel, sicherte es sich großzügig geschnittene Erweiterungsflächen gleich mit. Davon profitieren heute die mittlerweile gut 950 Mitarbeiter am Standort. Es gibt reichlich Beschäftigten-Parkplätze. Und das ist gut so, weil die nächste S- oder U-Bahnstation weit entfernt und die Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zeit- und nervenraubend ist.

Hunderte neue Arbeitsplätze

Von dem vorausschauenden Grundstücksgeschäft profitiert mehr als 50 Jahre später auch das Unternehmen selbst. Ihre nächste Erweiterungsrunde kann die Eppendorf AG auf eigenem Grund und Boden realisieren – obwohl es große Pläne gibt. „Derzeit arbeiten wir am Rande der Kapazität. Deshalb denken wir unter anderem in Richtung Neubau eines zusätzlichen Verwaltungsgebäudes“, sagt Eva van Pelt. Auch die Produktion soll ausgebaut werden. „Wir werden in Hamburg in den nächsten drei bis fünf Jahren mehrere hundert neue Arbeitsplätze schaffen.“

Van Pelt und Fruhstorfer sind seit elf Wochen die neue Doppelspitze des Konzerns. Sie setzen mit der Standorterweiterung um, was ihr Vorgänger Thomas Bachmann in einer Zukunftsinitiative namens „be Eppendorf 2021“ angeschoben hatte, bevor der Vorstandschef Anfang Dezember das Unternehmen nach knapp viereinhalb Jahren vorzeitig und überraschend verließ. Über den Hintergründen des Vorgangs liegt ein aus fein ziselierten Sätzen des Dankes gewobener Mantel des Schweigens. Das ist so üblich. Auch die Bachmann-Nachfolger können, wollen, dürfen zur Aufklärung des Sachverhalts nicht beitragen.

Überraschender Chef-Wechsel

In der offiziellen Mitteilung zum Chefwechsel finden sich immerhin zarte und interpretierbare Andeutungen: Die neue Doppelspitze, so der Aufsichtsrat, werde bei der Umsetzung der vom Vorgänger angeschobenen Transformation „klare Prioritäten setzen“ und auf eine „hoch integrative Herangehensweise“ achten. Womöglich ist es das, was die Aufseher beim früheren Vorstandschef vermissten. In Unternehmenskreisen heißt es, der Aufsichtsrat habe die Fülle der Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen, Bachmann einen ihm gleichgestellten Co-CEO aber nicht akzeptieren wollen. Mit zwei gleichberechtigten Vorstandschefs in der Kombination Frau/Mann wandelt das vor 75 Jahren gegründete Unternehmen nun auf den Spuren eines großen Konzerns wie SAP.

Verdient wird gut bei der Eppendorf AG mit der Entwicklung und Herstellung von Laborgeräten wie Zentrifugen, Bioreaktoren, Zellmanipulations- und Ultra-Tiefkühlgeräten, mit Verbrauchsmaterialien wie Pipettenspitzen und Reaktorgefäßen wie den sogenannten Eppis. Der deutsche Astronaut Alexander „Astro-Alex“ Gerst arbeitete 2018 an Bord der Internationalen Raumstation ISS bei seinen Forschungen im Zusammenhang mit der Parkinson-Krankheit übrigens mit einer Pipette der Hamburger Eppendorf AG.

Nach den jüngsten veröffentlichten Zahlen erzielte der Konzern mit seinen Standorten in 26 Ländern weltweit 2018 einen Umsatz von knapp 730 Millionen Euro und 153,7 Millionen Millionen Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit). Vom Reingewinn gingen 30 Prozent an die Eigentümer, die Familien der Gründer Heinrich Netheler und Hans Hinz, der Rest in die Rücklage. Die summierte sich Ende 2018 auf fast 400 Millionen Euro. Schulden bei Banken existieren schlicht nicht. Im vergangenen Jahr habe sich das Unternehmen entwickelt wie erwartet. Der Umsatz sei im höheren einstelligen Prozentbereich gewachsen, der Gewinn konstant gewesen, heißt es. Die Zahl der Mitarbeiter stieg deutlich: Von gut 3300 auf etwa 3800 weltweit.

Glänzende Gewinne

Dass sich das Unternehmen auf glänzenden Wachstumszahlen und Gewinnen nicht ausruhen kann, hatte schon Ex-CEO Bachmann erkannt und das Zukunftsprogramm angeschoben. „Wir nähern uns dem Milliardenumsatz, das ist eine kritische Grenze. Für weiteres Wachstum müssen wir Eppendorf neu ausrichten und globaler denken“, sagt Fruhstorfer, der im Mai 2018 als Leiter der Gerätesparte ins Unternehmen kam und heute unter anderem die Fertigung, die Werke und die strategische Konzernentwicklung verantwortet. Die Kunden – zumeist Hochschulen, forschende Pharmaunternehmen, Medizin- und Umweltlabors – digitalisierten ihre Arbeitsabläufe. Darauf müsse sich das Unternehmen einstellen. „Wir wollen nicht mehr Geräte verkaufen, sondern unseren Kunden künftig maßgeschneiderte Komplettlösungen anbieten.“

Und damit besser sein, als die Konkurrenten aus Asien, die sich zunehmend in der Life-Science-Branche tummeln. Bei der Eppendorf AG trägt der Asien/Pazifik/Afrika-Markt immerhin 27 Prozent zum Gesamtumsatz bei. Allein in China, dem nach den USA zweitgrößten Ländermarkt generiert der Konzern im vergangenen Jahr 14 Prozent aller Erlöse. Die 260 Mitarbeiter in der Volksrepublik sind seit Anfang dieser Woche nach dem wegen der Ausbreitung des Coronavirus staatlich verordneten Zwangsurlaubs wieder zurück an den Arbeitsplätzen in Büros und Fertigung. Die Arbeitspause wird den Umsatz zwar etwas schmälern, gleichzeitig ergeben sich durch die Coronakrise neue Absatzchancen für die Hamburger.

Der Produktkatalog des Konzerns ist 475 Seiten dick

Zur notwendigen Neuausrichtung der Unternehmens gehöre auch, die Vertriebswege, Arbeitsweisen und die Führungskultur zu modernisieren, betont van Pelt, die im Herbst 2017 als Vorstand für Vertrieb, Marketing und Service kam. Jetzt zeichnet sie zusätzlich auch für Personal, Logistik, Recht sowie vorübergehend für die Finanzen verantwortlich – bis ein neuer Finanzvorstand gefunden ist. Zeitgemäße Vertriebsstrukturen sollen eingeführt werden, was allerdings nicht zwingend heißt, dass der immerhin 475 Seiten starke Produktkatalog abgeschafft wird, den die Kunden bekommen, wenn sie ihn denn wollen. Die wohl größte Herausforderung: Eine neue Verantwortungskultur. „Die Eppendorf AG war sehr lange ein recht hierarchisch strukturiertes und auf eine Person fokussiertes Unternehmen, bei der alle Kompetenzen angesiedelt waren und von der die wesentlichen Entscheidungen getroffen wurden. So möchte ich ein Unternehmen heute nicht mehr führen.“

Doppelspitze – kann das gut gehen?

Wie aber funktioniert so eine Doppelspitze? „Wichtig sind klar getrennte Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, gegenseitiges Vertrauen, Offenheit und eine gemeinsame Vision von Führungskultur“, sagt Fruhstorfer. Keiner von beiden habe das allerletzte Wort und es sei auch keine Interimslösung, in der sich einer als der bessere Topmanager herauskristallisieren solle, betonen die beiden Co-CEOs. Und wenn sie sich partout nicht einigen können? „Es ist eine Regelung unter Einbeziehung des Aufsichtsrats verabredet“, sagt Eva van Pelt. „Aber wir haben nicht die Absicht, davon Gebrauch zu machen.“

Unumstritten ist: Voraussichtlich noch 2020 soll ein Teil der Rücklagen in den Zukauf eines Unternehmens fließen. Auch die Investition in den Standort Hamburg ist Konsens. Die Tage des Hubschrauberlandeplatzes gleich rechts hinter dem Pförtnerhaus sind gezählt.