Hamburg. Teil des Einkommens soll von Klimaschutzzielen abhängig sein. Shell praktiziert ähnliches Modell. Aber Greenpeace genügt das nicht.
Im Jahr 1970 brachte Milton Friedman, der später den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt, ein radikales Argument vor: Die Verantwortung von Unternehmen gegenüber der Gesellschaft liege einzig und allein in der Steigerung ihres Gewinns. Nicht nur wegen seiner Einfachheit kam Friedmans Beitrag zur Wirtschaftsethik bei vielen Firmenchefs damals gut an.
50 Jahre später, unter dem Einfluss der „Fridays for Future“-Bewegung, sieht man das differenzierter: Am morgigen Mittwoch schlägt der Siemens-Konzern auf seiner Hauptversammlung den Aktionären ein neues Vorstandsvergütungsmodell vor, das einen Teil der Bezahlung an die CO2-Reduktion knüpft.
Ziel von Siemens: klimaneutral bis 2030
Mit diesem Gehaltsmodell wolle man die „langfristige Verantwortung von Siemens nicht nur gegenüber Aktionären, sondern auch den Kunden, Mitarbeitern und der Gesellschaft“ deutlich machen, sagte dazu Jim Hagemann Snabe, der Aufsichtsratsvorsitzende des Münchner Technologiekonzerns. „Als eines der ersten großen Industrieunternehmen weltweit hat sich Siemens schon im Jahr 2014 das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu sein“, erklärte Sonja Neubert, Leiterin der Niederlassung Hamburg. Der Konzern, der in der Hansestadt mehr als 2400 Menschen beschäftigt, hat die CO2-Emissionen firmenweit nach eigenen Angaben zwischen 2014 und 2019 um rund 41 Prozent gesenkt. So werde derzeit schon 58 Prozent des Stromverbrauchs durch Elektrizität aus erneuerbaren Energien abgedeckt, und der CO2-Ausstoß der Fahrzeugflotte soll von 2019 bis 2025 um ein Drittel abnehmen, unter anderem durch den verstärkten Einsatz von E-Autos.
Zwar haben Renditekriterien auch künftig den größten Einfluss auf die Vorstandsgehälter (siehe Grafik), an die Erreichung von CO2-Minderungszielen sind nur zwei bis drei Prozent davon gekoppelt. Doch gemessen an den sieben Millionen Euro Gehalt, die Siemens-Chef Joe Kaeser für das Geschäftsjahr 2017/2018 bekam, wären das immerhin bis zu 210.000 Euro – und für das abgelaufene Geschäftsjahr 2018/2019 erhielt Kaeser wegen einer Umstellung des Bonussystems einmalig sogar 14,25 Millionen Euro.
Auch Shell knüpft Management-Gehälter an CO2-Reduktion
Unter den Konzernen im Deutschen Aktienindex (DAX) sieht sich Siemens mit dem neuen System der Vorstandsvergütung als Vorreiter. Ein anderer unter den größten Arbeitgebern in Hamburg hat einen ähnlichen Schritt bereits im Dezember 2018 angekündigt: Der niederländisch-britische Energiekonzern Shell mit 1300 Beschäftigten in der Hansestadt knüpft ebenfalls einen Teil der Managementgehälter an die Erreichung von konkreten CO2-Reduktionszielen. Das gilt nicht nur für den Vorstand, sondern unter anderem auch für Fabian Ziegler, den Vorsitzenden der Geschäftsführung von Shell Deutschland mit Sitz in Hamburg.
Im Ausland gibt es weitere Beispiele für ein solches Vorgehen, darunter die Energiekonzerne Exxon Mobil (USA) und Total (Frankreich) sowie die französische Großbank BNP Paribas. In Deutschland hingegen ist das noch ungewöhnlich. „Grobe Nachhaltigkeitsindizes gehen schon seit längerer Zeit bei vielen börsennotierten Unternehmen mit in die Vorstandsvergütung ein“, sagte dazu Sebastian Pacher, der bei der Personalberatung Kienbaum Vergütungsmodelle für Vorstände und Aufsichtsräte entwickelt. „Mit spezifischen Nachhaltigkeitszielen, wie dem CO2-Kriterium, gestaltet Siemens dies jetzt aber sehr transparent – und man geht sehr offensiv damit um“, so Pacher. „Das ist tatsächlich ein neuer Ansatz und das ist aus unserer Sicht genau der richtige Weg.“
Greenpeace: Gehaltsanteil zu gering
Auch Volker Gaßner, Finanzexperte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace in Hamburg, begrüßt die Umstellung des Siemens-Vorstandsgehaltsmodells: „Das ist der richtige Schritt. Je konkreter Maßnahmen zum Umwelt- oder Klimaschutz in den Vorstandsverträgen festgehalten werden, umso besser.“ Allerdings, meint Gaßner, werde der geringe Gehaltsanteil, der daran geknüpft sei, der Bedeutung des Themas nicht gerecht: „Wir bräuchten deutlich zweistellige Prozentsätze.“ Außerdem werde in dem Zielwert die Umweltauswirkung von Siemens-Aufträgen nicht erfasst – wie etwa die Zulieferung einer Zugsignalanlage für ein geplantes Kohlebergwerk in Australien, das eines der größten der Welt werden soll.
Anlässlich der Hauptversammlung wird sich Kaeser mit entsprechenden Protesten konfrontiert sehen, auch Greenpeace will dabei aktiv sein. Kienbaum-Berater Pacher hält Konzernen wie Siemens jedoch zugute, dass sie es mit ihren Klimaschutzzielen durchaus ernst meinen: „Die Zeit des ,Greenwashing‘ ist vorbei, dafür ist der Druck heute zu hoch.“
Wenn es um Forderungen aus der Öffentlichkeit wie der nach einer Frauenquote im Management oder nach Umweltschutzmaßnahmen über gesetzliche Standards hinausgehe, hätten Aufsichtsräte lange Zeit Widerstand geleistet, so Pacher: „Jetzt haben sie erkannt: Widerstand ist zwecklos. Stattdessen lohnt es sich, die Themen aktiv mitzugestalten.“
Mit der Änderung bei den Vorstandsgehältern nehme Siemens etwas vorweg, womit sich viele andere börsennotierte Firmen schon bald ebenfalls auseinandersetzen müssen, erklärt der Experte: „Eine Änderung des Aktiengesetzes sieht vor, dass vom Jahr 2021 an auf den Hauptversammlungen über die Vorstandsvergütung durch die Aktionäre abgestimmt werden muss.“
Großinvestor BlackRock dringt auf mehr Klimaschutz
Dabei komme der Druck, zum Beispiel den Klimaschutz in den variablen Gehältern des Top-Managements zu berücksichtigen, ganz klar auch von langfristig ausgerichteten Investoren, so Pacher. Bei Shell war es nicht zuletzt der Pensionsfonds der anglikanischen Kirche (Church of England Pensions Board), der darauf drängte.
Doch auch ein überaus weltlich orientierter Investor wie die US-amerikanische Fondsgesellschaft BlackRock, mit einem verwalteten Kundenkapital von 7,4 Billionen Dollar (6,7 Billionen Euro) der weltgrößte unabhängige Vermögensverwalter, tut das. Vor wenigen Tagen forderte der BlackRock-Vorstandsvorsitzende Larry Fink die Chefs der rund 15.000 Unternehmen, an denen der Fondsanbieter beteiligt ist – darunter alle 30 DAX-Konzerne –, zum Umdenken auf.
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Zwar würde Fink der These des Wirtschaftswissenschaftlers Milton Friedman im Grundsatz womöglich sogar zustimmen. „Aber wie wir immer wieder erleben, fallen Handlungen, die der Gesellschaft schaden, letztlich auf das Unternehmen zurück und vernichten Vermögenswerte für die Aktionäre“, schreibt Fink. So sei der Klimawandel „für die langfristigen Aussichten von Unternehmen zu einem entscheidenden Faktor geworden“ und die Investoren erkennen nach den Worten des BlackRock-Chefs, „dass das Klimarisiko auch ein Anlagerisiko ist“. Schon bald werde es daher zu einer „erheblichen Umverteilung von Kapital“ kommen.
Larry Fink belässt es joch nicht bei einer allgemeinen Mahnung, sondern droht mit konkreten Konsequenzen: „Wenn ein Unternehmen wesentliche Belange nicht ernst nimmt, sollte seine Führung nach unserer Überzeugung dafür zur Verantwortung gezogen werden.“ BlackRock sei „zunehmend geneigt“, Vorständen und Aufsichtsräten die Zustimmung zu verweigern, wenn ihre Unternehmen bei der Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen und den ihnen zugrundeliegenden Geschäftspraktiken keine ausreichenden Fortschritte machen.
Bei Siemens will man es darauf offenbar nicht ankommen lassen – schließlich ist BlackRock dort mit einer Beteiligung von rund sechs Prozent neben der Siemens-Familie einer der beiden größten Einzelaktionäre.