Hamburg. Exklusiv-Interview mit Hamburgs bekanntem Schuhhändler: Ludwig Görtz ermahnt den Senat und äußert sich zu autofreier Innenstadt.

Es ist ruhig geworden um Ludwig Görtz. In den vergangenen Jahren hat man den Eigentümer der bekannten Hamburger Schuhhauskette nur noch selten bei offiziellen Anlässen gesehen. Nun lud der 85-jährige „Schuhkönig“ das Abendblatt zu einem Exklusiv-Gespräch in sein Büro in der Spitaler Straße ein. Und Görtz wirkte alles andere als scheu und zurückhaltend. Im Gegenteil: Er sprach Klartext – vor allem zu aktuellen Entwicklungen des Handels in der Hamburger City.

In den vergangenen Jahren hat man kaum noch Interviews von Ihnen gelesen – und auch bei öffentlichen Veranstaltungen sieht man Sie nur noch selten. Warum machen Sie sich so rar?

Ludwig Görtz Ich arbeite mehr hinter den Kulissen, engagiere mich stark beim Thema Stadtentwicklung – vor allem mit dem von mehreren Kaufleuten vor 35 Jahren gegründeten Trägerverbund Projekt Innenstadt, wo ich weiterhin Ehrenvorsitzender bin. Hier versuche ich Einfluss auf die Politik zu nehmen. Wir reden mit dem Bürgermeister, aber auch mit anderen Politikern.

Wie sieht Ihr Tag im Unternehmen aus?

Ich bin noch jeden Tag im Büro, komme so gegen 7 Uhr. Einer muss ja das Licht anmachen und den Drucker einschalten (lacht).

Sind Sie noch an Entscheidungen beteiligt?

Nein, aus dem operativen Geschäft bin ich raus. Dafür haben wir Geschäftsführer. Ich bin aber weiterhin im Verwaltungsrat, dessen Vorsitz mittlerweile mein Bruder Thomas innehat. Und ich sitze im Gesellschafterausschuss. Ich nehme am alltäglichen Geschäftsleben teil und stelle auch mal die eine oder andere unangenehme Frage.

Mit Ihrem Schuhhaus gehören Sie zu den traditionsreichsten Geschäften in der Hamburger Innenstadt. Immer mehr Läden geben in der City auf, ziehen weg. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Ja, das bereitet mir große Sorgen. Sowohl für einzelne Mittelständler als auch für die Innenstadt insgesamt. Der Onlinehandel sorgt hier für massive Veränderungen. Er kommt in Deutschland bereits auf einen Umsatz von 100 Milliarden Euro und hat damit einen Anteil von 14 Prozent. Zudem gibt es das Nachfolgeproblem. Viele mittelständischen Geschäfte finden keinen Nachfolger. Laut einer Studie müssen allein deshalb in Deutschland rund 50.000 Geschäfte schließen.

Seit Monaten wird intensiv über eine autofreie Hamburger Innenstadt diskutiert. Eine deutliche Mehrheit der Bürger befürwortet dies – was halten Sie von dem Vorschlag?

Ein generelles Verbot von Autos in der Hamburger Innenstadt lehne ich ab. Wir brauchen für die Hamburger Innenstadt eine Willkommenskultur und keine Verbote. Deshalb kann man Fahrzeuge aus der City nicht komplett verbannen. Immerhin kommt ein Drittel unserer Kunden aus der Metropolregion – und sie sind auf das Auto angewiesen. Die können wir doch nicht aussperren. Ohnehin gibt es in der Innenstadt bereits deutlich weniger Autoverkehr. Dieser hat in den vergangenen 15 Jahren um 13 Prozent abgenommen.

Befürworter der autofreien Innenstadt wollen vor allem die Mönckebergstraße von Fahrzeugen befreien, weil der Verkehr dort ein Überqueren der Fahrbahnen für Fußgänger nahezu unmöglich macht. Was halten Sie von einer autofreien Mönckebergstraße?

Die Mönckebergstraße darf ja bereits heute nur von Bussen, Taxis und Lieferfahrzeugen befahren werden. Das kann man doch nicht unterbinden – denn dabei handelt es sich ja auch um ein Serviceangebot für alle Hamburger und ihre Gäste. Ich könnte mir aber vorstellen, dass man die Reisebusse und die eine oder andere öffentliche Buslinie aus der Mönckebergstraße verlegt. Als Fußgängerzone kann ich mir die Mönckebergstraße definitiv nicht vorstellen. Ein wenig Urbanität, zu der auch Autos gehören, tut der Innenstadt letztlich gut. Hamburgs City braucht ein Fifth-Avenue-Feeling.

Können Sie sich andere autofreie Bereiche vorstellen?

Ja, so kämpfen wir unter anderem schon seit Jahren für eine Umgestaltung des Burchardplatzes am Chilehaus. Dort sollte man aus meiner Sicht die Autos verbannen und einen würdigen, schönen Platz herrichten.

Engagiert sich die Stadt aus Ihrer Sicht finanziell ausreichend, um die Innenstadt aufzuhübschen?

Nein, definitiv nicht. Hier müsste deutlich mehr passieren. In den vergangenen Jahren haben private Initiativen 50 Millionen Euro für die Verschönerung der City aufgewendet, davon allein zwölf Millionen Euro für die Mönckebergstraße. Von der Stadt kommt dagegen viel zu wenig.

Welche Summe wünschen Sie sich von der Stadt?

Ebenfalls 50 Millionen Euro in einem Zeitraum von drei Jahren wären angemessen. Neben der Neugestaltung wichtiger Plätze in der Stadt wünsche ich mir auch, dass Hinweisschilder auf Sehenswürdigkeiten und andere Attraktionen in drei Sprachen aufgestellt werden: Deutsch, Englisch und Chinesisch. Denn chinesische Touristen werden für Hamburg immer wichtiger.

Bereiten Ihnen die neuen Shopping-Pläne in der HafenCity mit Blick auf die alte Innenstadt Sorgen?

Die Konkurrenz mit 80.000 Quadratmetern Shoppingfläche im Überseequartier ist für viele Händler in der City unerträglich und existenzbedrohend. Das kann nicht gut gehen und ist eine fatale Fehlentscheidung des Senats. 100 Millionen Euro sollen in dem neuen Quartier umgesetzt werden. Aber wo soll das Geld denn herkommen? Dieser Umsatz wird aus der City abgezogen.

Wie kann man der Innenstadt gegen diese neue Konkurrenz helfen?

Man könnte zum Beispiel ein neues Naturkundemuseum auf dem Domplatz bauen, das zu einem zusätzlichen Wissenschaftsstandort werden könnte. Dieses könnte jährlich 500.000 Besucher anlocken und würde neue Kunden in die Geschäfte der City lenken.

Die Grünen forcieren ja sehr stark das Thema „autoarme Innenstadt“. Erwarten Sie, dass es für den Einzelhandel unter einer Grünen-Bürgermeisterin Katharina Fegebank ungemütlicher würde?

Da mache ich mir weniger Sorgen, denn auch Frau Fegebank müsste sich als Bürgermeisterin an den Fakten orientieren. Und Fakt ist: Verbannt man die Autos aus der Stadt, wird man dem Einzelhandel schaden. Wahlkampf-Rhetorik und reales politisches Handeln sind glücklicherweise selten identisch.

Was sagen Sie eigentlich zu den umstrittenen E-Rollern?

Ich finde die E-Roller so lange ein nettes Angebot, wie die Menschen zivilisiert und verantwortungsvoll damit fahren. Das ist nur leider häufig nicht der Fall. Die Roller werden wild geparkt, die Fahrer halten sich nicht an die Verkehrsregeln. Hier muss die Stadt auch stärker einschreiten. Schauen Sie nach München: Dort gibt es einen kommunalen Außendienst, der für Sicherheit und Ordnung in der City sorgt. So etwas braucht Hamburg auch, nicht nur. um das Verhalten der E-Roller-Fahrer zu kontrollieren. So ein städtischer Wachdienst müsste auch gegen Trinkgelage in Einkaufsstraßen vorgehen oder laute, nicht genehmigte Musik unterbinden. Hier gäbe es eine Menge Arbeit. Hamburgs Innenstadt muss sicherer werden. Und hier gilt: Von München lernen, heißt siegen lernen.

Kommen wir zum Unternehmen Görtz – wie zufrieden sind Sie mit der aktuellen Geschäftsentwicklung?

Sehr zufrieden. Unser Umsatz ist vor allem dank unseres erweiterten Onlinegeschäfts und der Übernahme der 21 Roland-Filialen gestiegen. Und wir schreiben insgesamt schwarze Zahlen. Die Roland-Filialen werden nun peu à peu auf Görtz umgeflaggt.

Werden Sie stationär weiter expandieren?

Grundsätzlich nein. Sicherlich kann es noch mal den einen oder anderen interessanten neuen Standort geben. Aber wir haben bereits 170 Filialen in Deutschland – und sind damit sehr gut aufgestellt. Wir setzen aktuell vor allem auf das Onlinegeschäft und auf die Verzahnung unserer Onlineaktivitäten mit den Filialen. So können Sie zum Beispiel Schuhe bei uns online bestellen und wenig später im Shop anprobieren oder direkt abholen.

Wie viel Prozent der online bestellten Schuhe werden bei Görtz wieder zurückgesendet?

Eine genaue Zahl möchte ich nicht nennen. Nur so viel dazu: Die Zahl ist nicht gerade gering.

Unter Umweltaspekten ist diese kostenlose Retourenmentalität desaströs – warum machen Sie als Unternehmer die Retouren nicht kostenpflichtig?

Weil wir dann gegenüber der Konkurrenz einen immensen Wettbewerbsnachteil hätten. Hier müsste die Politik agieren und Verordnungen oder Gesetze erlassen, die das kostenlose Zurücksenden generell untersagen. Denn ökologisch ist dies wirklich sehr fragwürdig. Bei den Plastiktüten hat die Politik ja auch gehandelt.

Es wird Ihnen nachgesagt, dass Sie immer perfektes Schuhwerk tragen. Was halten Sie von Topmanagern, die während der Arbeit Turnschuhe tragen?

Darüber wundere ich mich schon, aber ich muss ohnehin zur Kenntnis nehmen, dass sich die Bekleidungsgewohnheiten stark gewandelt haben. So bin ich bei uns in der Firma der letzte Krawattenträger. Und außer mir haben nahezu alle dann und wann Sneakers an den Füßen. In puncto Bekleidung hänge ich doch sehr an meinen alten Gewohnheiten.