Hamburg. Discounter wählt Start-up aus der Hansestadt aus. Im Frühjahr 2020 sollen die Mehrweg-Beutel bereits in den Filialen liegen.
Normalerweise beschäftigt Cornelius Voss sich mit neuen Büro- und Wohnungsimmobilien, vorzugsweise am Wasser und mit Holz. Der Architekt arbeitet bei einem Projektentwickler in der HafenCity. Daneben hat er noch ein persönliches Projekt. Das befindet sich in einem großen Pappkarton neben seinem Schreibtisch – und hat so gar nichts mit Bauen zu tun.
Mit einem schnellen Griff öffnet Voss den Karton und zieht schließlich einen Stapel mit Taschen heraus. „Das Besondere daran ist, dass man sie beim Einkaufen auch bequem als Rucksack tragen kann“, sagt der 34-Jährige. JohnJohn haben er und sein Geschäftspartner Dennis Rasch ihre Mehrweg-Beutel genannt. Mit dem Konzept haben die Hamburger Gründer jetzt den Discounter Aldi überzeugt. Im Frühjahr nächsten Jahres soll JohnJohn bundesweit in den mehr als 4000 Filialen der Kette erhältlich sein – als Alternative zur herkömmlichen Tragetasche.
Papier-Rucksack entstand im Wohnzimmer
Aldi ist schon länger auf der Suche nach neuen Lösungen für nachhaltigere Verpackungen und Plastikreduktion. Erstmals setzen die beiden Unternehmensgruppen Nord und Süd dabei gemeinsam auch auf Ideen von Start-ups. Über das Acceleratorprogramm TechFounders, das am Zentrum für Innovation und Gründung UnternehmerTUM an der TU München angesiedelt ist, waren der Lebensmittelhändler und die Gründer aus Hamburg zusammengekommen.
Aldi hatte JohnJohn und zwei weitere Start-ups unter 80 Bewerbungen ausgewählt, um die Geschäftsmodelle mit Mentoren weiterzuentwickeln. „Unser Ziel war es von Anfang an, uns nicht nur innovative Ideen von außen zu holen, sondern diese auch umzusetzen und sichtbare Ergebnisse zu erzielen“, sagt Kristina Bell, die im Einkauf des Discounters Aldi Süd für Qualitätssicherung und Unternehmensverantwortung zuständig ist.
Einkäufe auf dem Rennrad transportieren
Für Cornelius Voss und Dennis Rasch ist das wie ein Sechser im Lotto. Seit 2014 arbeiten die Jugendfreunde, die aus Hannover kommen, an ihrer Geschäftsidee. „Der Anstoß kam, weil wir etwas gesucht haben, um unsere Einkäufe auf dem Rennrad bequem nach Hause zu bekommen“, sagt Voss. Klar war am Anfang, dass die Lösung günstig sein sollte. Im Wohnzimmer bastelten der Architekt und der Jurist schließlich ihren ersten Papier-Rucksack.
„Wir haben eine normale Einkaufstüte genommen, die Henkel abgeschnitten und stattdessen längere Gurte angeklebt“, sagt Voss. Das hört sich einfach an, dahinter steckt aber eine ausgeklügelte Technik. Um die ersten 25 Musterexemplare zu produzieren, brauchte das Duo einen ganzen Tag. Damals entstand auch der Name JohnJohn, der sich von den Henkeln ableitet, die die Form des Buchstaben J haben. Das Duo ließ sich das Design schützen, gründete das Unternehmen Ogata.
Crowdfunding-Kampagne scheiterte
Denn, so Voss, „es sollte dann schon etwas für den großen Markt sein“. Aber ganz so einfach lief es nicht. Eine Crowdfunding-Kampagne scheiterte. Zudem war es schwierig, einen passenden Hersteller zu finden. Schließlich schlossen sie einen Lizenzvertrag mit einem polnischen Produzenten. Obwohl Voss und Rasch sich 2016 sogar ein Jahr Auszeit von ihren regulären Jobs nahmen, konnten sie – trotz Auszeichnungen wie dem German Design Award – nur Mini-Serien verkaufen, unter anderem als Tasche für eine große Verpackungsmesse in Zürich. Inzwischen lassen sie diese Papiertüten in Bulgarien produzieren.
Die große Chance kam mit der Teilnahme an dem Förderprogramm TechFounders. Die Papierrucksack-Macher setzten sich in dem dreistufigen Auswahlverfahren durch. „Wir haben aber schnell gemerkt, dass wir unseren JohnJohn aus einem anderen Material anbieten müssen, um ihn massentauglich zu machen“, sagt Voss. Bei der Endpräsentation für das Förderprogramm hatte er den ersten Prototyp aus Polypropylen dabei, einem strapazierfähigem Kunststoff, den Aldi bereits für Mehrweg-Tragetaschen einsetzt.
„Wir haben die vergangenen 20 Wochen genutzt, um den Schnitt und das Design des Tragerucksacks zu optimieren“, sagt Voss. Inzwischen ist der Lizenzvertrag mit Aldi geschlossen. Im nächsten Jahr sollen die 42 mal 36 mal 18 Zentimeter großen Rucksack-Beutel mit einem Fassungsvolumen von etwa 15 Litern in verschiedenen Farben als Aktionsartikel in den Aldi-Märkten liegen. „Unser Ziel ist es, die Einkaufstaschen noch nachhaltiger zu gestalten und bis Ende 2020 aus recyceltem Kunststoff anzubieten“, so Voss.
Hamburger sind offen für weitere Deals
Der Anstieg des Verpackungsmülls ist inzwischen eins der wichtigsten Themen im Handel. Nach den neusten Zahlen des Umweltbundesamts fielen 2017 rund 18,7 Millionen Tonnen an. Rechnerisch waren das 226,5 Kilogramm pro Person – und drei Prozent mehr als im Vorjahr. Private Verbraucher hatten daran einen Anteil von 47 Prozent oder 107 Kilo pro Kopf. Immer wieder im Fokus stehen dabei Einweg-Einkaufstüten.
Seit 2016 hat der Handel mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung, Plastiktüten nicht mehr umsonst abzugeben, den Verbrauch deutlich reduziert: 2018 waren es 24 Tüten pro Kopf und damit zwei Drittel weniger Plastiktüten als noch im Jahr 2012. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) will die klassische Plastik-Tragetasche per Gesetz verbieten lassen. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf hat sie im September vorgelegt.
Mehrere 100.000 Einkaufstaschen in Produktion
Die JohnJohn-Macher hoffen jetzt auf einen kräftigen Umsatzsprung. Gerade werden mehrere 100.000 ihrer Einkaufstaschen für den Discounter Aldi produziert. „Das heißt nicht, dass wir nicht auch mit anderen Handelsunternehmen zusammenarbeiten wollen“, sagt Cornelius Voss.
Gerade für Firmen im Bereich Mode und Sport könne JohnJohn aus seiner Sicht interessant sein. „Da passt ja locker ein Schuhkarton rein.“ Weiterer Vorteil aus Sicht der Händler: Das Firmenlogo ist auf dem Rücken gut sichtbar – quasi auf Augenhöhe. Parallel denkt das Gründerduo über weitere Verpackungslösungen nach.